von Peter Schallock
Radikales Gedankengut und krude Verschwörungstheorien breiten sich aus und bedrohen zunehmend unsere Demokratie. Sie sind längst nicht mehr nur Thema in Nachrichten oder spätabendlichen Talk-Shows. Manchmal findet man sie schon in nächster Umgebung.
Mittagszeit. Ein Postamt in der Fußgängerzone meiner Stadt, es könnte überall in Deutschland sein. Hochbetrieb, die Schlange der Wartenden ist lang, nur zwei von vier Schaltern sind besetzt, Hinter mir unterhalten sich zwei Frauen. Durchschnittliches Aussehen, mittleres Alter, eher legere Erscheinungen, gar nicht konservativ.„Überhaupt hat sich meine politische Einstellung verändert, ich wähle jetzt nur noch die Rechten!“, meinte eine der beiden. Sie wirkt ungeduldig, leicht erregt. Dann erzählt sie die Geschichte einer Freundin, deren Antrag auf irgendeine Beihilfe abgelehnt wurde. Bei ihrem nächsten Besuch auf dem Amt wolle sie sich schwarze Schuhcreme ins Gesicht schmieren, dann bekäme sie schon, was sie brauche Die Zuhörerin nickt, bemerkt meinen Blick, schaut leicht verunsichert nach unten, flüstert etwas. Das Gespräch verstummt.
Deutschland, im Jahr 2025. Das wird man doch noch sagen dürfen! Man lässt sich schließlich nichts mehr gefallen. Die Zeiten haben sich geändert. Zweifellos.
Die Corona-Verschwörung
Manche glauben, die Corona-Pandemie mit all ihren Begleiterscheinungen hätte die Menschen verunsichert.
Rückblende. Covid ist noch ganz neu, aber in den Nachrichten immer präsenter. Es ist Sonntagmorgen, ich hole Brötchen beim Becker. Dort bedient eine Nachbarin. Eine freundliche Frau, die immer ein Lächeln und einen freundlichen Gruß übrig hat, wenn man sich begegnet. Gerade bedient sie eine Bekannte. Die beiden wechseln ein paar Sätze, auch über Covid. „Da steckt etwas ganz anderes dahinter!“ meint die Kundin und meine Nachbarin pflichtet ihr bei: “Natürlich! Da haben welche ganz andere Ziele!“
Wie bitte? Die? Wer soll das sein? Und welche Ziele?
In der Bibliothek, in der ich manchmal ehrenamtlich arbeite, treffe ich einige Wochen später einen regelmäßigen Kunden. Gefragt nach seinem Wohlbefinden antwortet er, es ginge ihm prima. Er habe sich glücklicherweise nicht impfen lassen. Es sei ja die reinste Giftbrühe, die man den Menschen verpasse.
Mehr geht immer. Zufällig entdecke ich im Internet ein kurzes Video, das bei einem Protest gegen Impfungen gedreht wurde. Es spricht ein Arzt, der einst in meiner Stadt praktizierte. Ich habe ihn als beliebt, kompetent, ja geschätzt in Erinnerung. Jetzt warnt er vor Impfungen, denn die würden nicht schützen, sondern krank machen, manchmal töten. Und bei der Impfung bekämen die Menschen auch noch einen Chip verpasst.
Sagt ein Arzt. Und das ist kein Einzelfall.
Während der Pandemie entstanden neue Bündnisse. Verschwörungstheoretiker und politische Extremisten demonstrierten zusammen gegen das, was sie so abfällig als System bezeichnen. Gegen unsere Demokratie.
Richtig wählen!
Europawahl, zahlreiche Menschen warten vor dem Wahllokal. Gerade verlässt ein Mann, der regelmäßig mit seinem Hund in meiner Nachbarschaft spaziert, das Gebäude.. Er bleibt irgendwo hinter mir stehen, beginnt ein Gespräch mit einer Frau; „Rechts wählen! Die anderen taugen alle nichts!“ Das geht mir zu weit. Ich fordere ihn auf, damit aufzuhören, direkt vor dem Wahllokal seine Ansichten zu verbreiten. Leicht entrüstet entgegnet er mir, er dürfe doch wohl noch seine Meinung sagen, auch wenn es den Linken – damit meint er wohl mich – nicht passen würde! Er geht, es bleibt bei dem kurzen, aber ärgerlichen Scharmützel. Die Frau vor mir flüstert mir zu, mein Einwand sei richtig gewesen,. Sie sagt es kaum vernehmbar, so, als fürchte sie, dass es jemand mitbekommen könnte.
Tatsächlich gewinnt an diesem Tag „die Partei“ massiv dazu. „Die Partei“ – das ist jene am rechten Rand. Sie wissen, wen ich meine, ich muss sie nicht mit Namen nennen.
Aber noch scheint Europa mit einem blauen Auge davongekommen zu sein.
Längst keine Einzelfälle mehr
Am nächsten Tag studiere ich Wahlergebnisse. Wie wurde in meiner Heimat gewählt, in meinem Geburtsort, in der Kleinstadt, in der ich später die weiterführende Schule besucht habe? Wie in anderen Orten, die aus unterschiedlichen Gründen für mich bedeutsam waren oder es noch sind?
Ich komme aus der dicksten Provinz im Westen unserer Republik. Es gibt ein paar Kleinstädte, relativ wenige Menschen in vielen Dörfern, jede Menge Landschaft. Und es gibt erstaunlich viele Wähler, die „der Partei“ ihre Stimme gegeben haben. Im Schnitt um die 20 Prozent. Nicht irgendwo im Osten, wo das mittlerweile Alltag ist. Wo „die Partei“ längst als ganz normal, als eine von vielen, akzeptiert wird.
Ich könnte fortfahren und z.B. über den ehemaligen Arbeitskollegen schreiben, der meint, dank Angela Merkel wäre Deutschland nicht mehr zu erkennen, es wimmele ja nur so von Ausländern und man sei nirgends mehr sicher. Über den anderen Arzt, der meint, die „Partei“ spreche die richtigen Themen an, ohne genauer sagen zu können, welche das denn wären. Oder auch über Landsleute, die regelmäßig auf der anderen Seite der nahen Grenze tanken, weil das Benzin dort billiger ist, aber gleichzeitig die EU lieber heute als morgen beerdigen möchten.
In diesen Tagen muss man viel aushalten. Meinungen, Kritik, Theorien, die einen ungläubig, oft zweifelnd, manchmal verzweifelt zurück lassen. Diskussionen, aufrichtige Gespräche mit solchen Leuten sind mittlerweile fast unmöglich. Längst sind das keine Einzelfälle mehr, auch wenn die Mehrheit in meinem Land zur Demokratie steht. Noch jedenfalls.
Immerhin, es gibt immer wieder Demonstrationen. Gegen jene, die vorgeben, Volk und Nation retten zu wollen, denen aber vermutlich ein ganz anderes Deutschland vorschwebt. Aber es werden weniger, die noch auf die Straße gehen. Die „Omas gegen Rechts“ sind immer dabei, neuerdings auch ein paar Opas. Es sind zum großen Teil wohl immer die gleichen, die öffentlich Stellung beziehen, hauptsächlich gegen „die Partei“. Die sorgt zwar immer wieder für Schlagzeilen, wenn ihre Spitzenleute ihre Radikalität nicht mehr unter Kontrolle halten wollen. Und die trotzdem in Umfragen stabil bleibt, ja sogar dazugewinnt.
Die sind doch für Deutschland!
Es gibt zahlreiche Erklärungsversuche, warum sich Menschen in Deutschland so auffällig radikalisiert haben. Manchmal berechtigte, oft aber irrationale Ängste mögen eine Rolle spielen. Eine unbestimmte Wut auf die da oben, auf jene, die uns angeblich bevormunden wollen. Neid auf vermeintliche Faulenzer und natürlich auf Migranten, denen man, wie man hört, all das gratis serviert, wofür wir hart arbeiten müssen. Einige Unbelehrbare glauben noch immer an die grundsätzliche Überlegenheit alles Deutschen – ein unausrottbarer Gedanke, der nur nicht Wirklichkeit wird, weil finstere Mächte uns permanent betrügen und klein halten.
Natürlich, die Anderen sind schuld, Als ob man selbst keine Verantwortung mehr für die eigene Stimme bei der Wahl hätte, nur noch in Notwehr handle.
Denn „die Partei“ sei doch wenigstens für Deutschland. Frage ich einen bekennenden Anhänger, was das bedeutet, bekomme ich keine Antwort, werde auf ein Parteiprogramm verwiesen, das die meisten Unterstützer scheinbar selbst nicht kennen. Wozu auch. Ihnen reicht, was sie in „der Partei“ sehen wollen.
Besonders schlimm ist die Stimmung in den sogenannten Sozialen Medien. Wer sich tatsächlich noch dorthin traut, spürt förmlich die wachsende Begeisterung für radikale, extremistische, manchmal gewalttätige Lösungen.
„Das sind doch nicht alles Nazis!“ Vielleicht, nein, wahrscheinlich nicht. Aber waren denn alle Nazis, die damals NSDAP wählten?
Zwischenzeitlich ist viel passiert. Trump ist wieder US-Präsident. Elon Musk, der reichste Mensch der Welt, mischt sich in die deutsche Politik ein, wirbt für „die Partei“ und zeigt öffentlich den Hitlergruß.
Mut zum Optimismus?
Dieser Text entstand im Januar, also vor den Wahlen zum Bundestag. Sie, liebe Leser*innen, wissen, wie der Wähler zwischenzeitlich entschieden hat, wenn sie diese Zeilen lesen. Und vielleicht haben Sie jetzt Grund, optimistischer zu sein, als ich es bin. Man darf doch den Mut nicht verlieren.
Was kann man tun? „Macht endlich ordentliche Politik, dann verschwindet der ganze Spuk wieder von selbst“, las ich jüngst ein einem Zeitungskommentar, der an unsere demokratischen Politiker gerichtet war.
Ich habe da so meine Zweifel. Vielleicht ist es dafür schon zu spät.