Ist unsere Demokratie in Gefahr?

von Beate Seelinger

„Ja!“ – entfährt es mir auf diese Frage unmittelbar und umgehend. „Ja, ich denke schon“, antworte ich nach kurzem Innehalten. „Ja, sie ist in Gefahr – wie an so vielen anderen Orten auf dieser Welt.“ Ich halte nachdenklich inne. Oder doch nicht?

Es gibt viele, die meine Bedenken teilen. Wir beobachten auf der ganzen Welt ein Driften nach rechts oder rechts außen. Diese politische Verortung hat noch nie irgendwo zu viel Glück gebracht. Überall dort, wo populistische Regierungen das Ruder übernommen haben, wird und wurde an den Grundrechten gezerrt und gesägt. In vielen Fällen, ohne dass Gegenwehr allzu viel Erfolg gehabt hätte und hat. Schleichend  werden Verfassungen abgeändert und Menschenrechte eigeschränkt. Großartige Demokratien folgen eindeutig verfassungsfeindlichen Schreihälsen und riskieren blind Freiheiten, die ihre Vorfahren mit Mühe, Schweiß und Blut erkämpft haben. Überall auf der Welt kann man diese Entwicklung beobachten. Wieso ist dies so?

Unsere Zeiten erweisen sich als problematisch und dunkel. Ich gestehe selbst, dass ich den Medienkonsum teilweise bewusst einschränke und reduziere, um von der Flut an krisenbedingten, problematischen und beängstigenden Nachrichten nicht überschwemmt zu werden. Es ist in der Tat grauenvoll, was uns jeden Tag zu Ohren kommt, was unsere Grund-Lebensstimmung bedingt, und was wir an Krisen zu tragen und zu bewältigen haben – was wir nur lesen und hören, was andere weltweit aber erleiden müssen. Kriegerische Auseinandersetzungen an mehr als dreihundert Orten auf diesem Planeten und eine frappante Zunahme an gewaltsamen Taten in den Gesellschaften! Der Klimawandel mit seinen Katastrophen und die Zerstörung unserer Umwelt! Offensichtlich die Formierung einer neuen Weltordnung (die sich am Ende zwar durchaus auch als förderlich herausstellen könnte, die jedoch mit Sicherheit nicht krisenfrei ablaufen wird). Wirtschaftliche Probleme im Innern, im Außenhandel und im Privaten. Spaltungen von und Polarisierungen in Gesellschaften. Migrationsbewegungen in großem Ausmaß, die von Gesellschaften ein enormes Maß an Offenheit, Toleranz und Flexibilität fordern, die gelernt werden müssen. Eine nie dagewesene Individualisierung, die zu einem zunehmend egozentrierten Lebensstil führt – zumindest in den westlichen Gesellschaften – und die den menschlichen Zusammenhalt bedroht, wenn nicht gar zerstört. Verlust von ethischen und religiösen Werten in einer technisierten und intellektualisierten Welt, mit dem wiederum ein Werteverlust einhergeht und der Menschlichkeit an sich in Frage stellt. Die Aufzählung wäre fortzusetzen und all dies stürmt tagtäglich auf uns ein.

Wir beobachten von daher eine Überbelastung der Menschen – zumal wir uns auch noch der selbstgewählten Reizüberflutung durch Internet und soziale Medien aussetzen – die weitgehend schon zu einem biedermeierähnlichen Rückzug ins Private führt, und die die allerorts bemängelte Politikverdrossenheit mit sich bringt. Dies jedoch ist die logische Konsequenz der Lage. Wir können nicht mehr! Wir geben es zwar nicht zu, jedoch wir sind kurz vor der Kapitulation. Und damit sind wir bei der Gefahr, die auch der Demokratie droht, angelangt. Uninteressierten und überforderten Bürgern ist es egal, wohin der Staat und die Politik driften. Es soll nur jemand Ordnung schaffen, damit wieder Ruhe einkehrt. Wer, das wird zunehmend unkritisch hingenommen. Nur bitte endlich wieder Ruhe! Und Demokratie, das spüren wir, bringt gerade Ruhe nicht. Demokratie bringt Auseinandersetzung – viel zu oft „Streit“ genannt (was ein schon von vorne herein negativ konnotierter Begriff ist) –  Demokratie fordert – uns alle – und genau davon haben wir die Nase voll. So treten schon an vielen Orten die „starken Männer“ auf, denen man zutraut, dass sie den Karren für das Volk aus dem Dreck ziehen. Währenddessen das Volk googelt und fern sieht. Während das Volk zuschaut. Und übersieht, dass Demokratie in den Händen aller liegt, auch wenn das anstrengend ist.

Vielleicht jedoch sind die Bürger aber auch deswegen so politikmüde, weil sie allerorts und in geradezu allen Medien immer das mehr oder weniger Gleiche lesen und hören. Eine weitere große Gefährdung der Demokratie liegt nämlich m. E. auch in der schon beinahe überall auffindbaren Gleichschaltung der öffentlichen Berichterstattung. Diese zeigt sich als nicht mehr besonders vielfältig, sie ergeht sich in tendenziösen Artikeln und Kommentaren, unterdrückt abweichende Meinungen, wertet sie ab bis hin zur Diffamierung. So geht es nicht und eine nicht funktionierende Berichterstattung bedeutete schon immer den ersten Sargnagel für eine demokratische Gesellschaft. Wir vermissen die Vielfalt der Meinungen, die Akzeptanz des Andersdenkenden. Wir waren da schon mal besser dran. Und hier sehen wir wahrscheinlich die größte Bedrohung unserer demokratischen Gesellschaftsordnung. Meinungsfreiheit und die Toleranz des Andersartigen und Andersdenkenden waren schon immer der Maßstab für eine funktionierende Demokratie. Und genau dieses sehen wir in diesen Zeiten bedenklich bedroht.

Es gibt noch viele rufende Stimmen, die verzweifelt auf den Wert der Demokratie hinweisen, auch bei uns. Und es gibt bei uns noch Menschen, die sich an die nicht allzu lange vergangenen Zeiten erinnern, als es auch hier den „Starken Mann“ gab, der dem Volk den Himmel auf Erden versprach und dann einen ganzen Kontinent in den Untergang führte. Und es gibt kritische Bürger, die sich schon immer informierten, und die es bemerken, wenn sich in der öffentlichen Berichterstattung verdächtige Veränderungen entdecken lassen. Schon tun sich auch Stimmen auf, die versuchen, die Geschichte umzuschreiben. Dennoch – die Zeitzeugen unserer noch nicht so alten Vergangenheit und deren direkte Nachkommen sind unsere Chance. Die Jugend scheint anderes zu bewegen als die Frage nach Demokratie: das Klima, die Bildung, der Frieden und vor allem der Lebensstandard. Alles hehre Ziele, jedoch sie gehen nicht für die Demokratie auf die Straße – wenn sie auf die Straße gehen. Ist Ihnen dieser Wert nicht bewusst? Wahrscheinlich nicht so sehr, wie denen, die sich an Zeiten ohne sie noch erinnern. Noch werden Vorsichtsmaßnahmen getroffen: Kürzlich, die Reformierung der Rechte und Pflichten des Verfassungsgerichtes. Das war tröstlich und da war man sich auch einmal einig. Ich hoffe nicht, dass unsere Demokratie schon ganz und gar auf tönernen Füßen steht und vom Durchschnittsbürger undurchschaut komplett den falschen Weg geht. Denn es gibt eine Abzweigung auf dem Weg, die die Gefährdung vorantreibt, wenn wir sie gehen. Wir müssen also noch viele unübersehbare Wegweiser aufstellen, damit diese Abzweigung als ungangbar verstanden wird. Und damit die beste aller zugegeben schlechten Staatsformen erhalten bleibt.