Gefährdete Demokratie – Gefahr aus der Mitte

von Martin P. Wedig, ein Demokrat.

„Wer aber für den Tyrannen ficht und gegen Gerechtigkeit das mordische Schwert zieht, dessen Name ist verflucht bei seinem Volke und sein Gedächtnis blüht nimmer unter dem Menschen.“

– Ernst Moritz Arndt: Katechismus für den Teutschen Kriegs- und Wehrmann, Köln 1815, S. 10

Was ist das eigentlich eine Demokratie?

Freie Wahlen, Bürgerrechte, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und politische Teilhabe sind notwendige Kriterien einer demokratischen Staatsform. Hinreichende Kriterien sind eine transparente Regierungsführung, Bürgerbeteiligung, politische Bildung, Chancengleichheit, und eine starke Zivilgesellschaft, die mit Nicht-Regierungsorganisationen die Regierung kontrolliert.

Korrosion beginnt an der Oberfläche einer Struktur und wird oft durch Pigment verdeckt.

Die Demokratie korrodiert an ihrer Oberfläche

1. transparente Regierungsführung
Die Parteienspenden im Wahlkampf werden in Deutschland verdeckt verwaltet. Der SWR3 berichtete zur Zerstückelung von meldepflichtigen Großspenden als gängige Praxis. Die Bereitschaft, zu Spenden Auskunft zu erteilen ist bei den Parteien unterschiedlich ausgeprägt und nicht reguliert und kontrolliert.

2. Bürgerbeteiligung ist auf kommunaler Ebene in Form von Bürgerfragen möglich. Die Antworten gibt der Rat. Beteiligung ist also eine bittende Form.

3. Politische Bildung kann in Form eines Bildungsurlaubes erzielt werden. Nur ist dessen Genehmigung durch Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes allenfalls bei verdienten Bannerträgern der Parteien zu erwarten. Diese erhalten auch zur Kräftigung Rückzugsseminare in reizvoller Umgebung. Der Arbeiter aber muß seinen Erholungsurlaub ins nächste Jahr retten. Wenn er ihn sich auszahlen läßt, so erfolgt das gestückelt.

4. Die Presse, zur Zeit ihrer Gründung eine scharfe Lanze wider die Regenten, redet ihren Lesern ins Gewissen und vereinnahmt den richtigen moralischen Standpunkt. NGOs vertreten Reizthemen und gewinnen damit Spender und Mitglieder. Einen Aufsichtsrat der Regierung durch beauftragte Bürger gibt es nicht. Schwach erscheint die Zivilgesellschaft in ihren Möglichkeiten der Kontrolle.

5. Chancengleichheit gibt es, aber auf unterschiedliche Art und Weise. Die dringend gesuchte doppel-approbierte Fachkraft wird durchaus zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, aber Reisekosten übernimmt der Arbeitgeber nicht. Zu weiblich, zu klein, leicht zu diskriminieren. Die Übernahme von Kosten für der Arbeit fern stehende Menschen, auch für deren notwendige Reisen, kennen die Bürger.  Schwer, diese Rechte einzuschränken.

Die Demokratie ist in ihren Nebenkriterien nicht nur gefährdet, sie ist vielmehr korrodiert. Wir denken an Reichsbürger und an den Verschwörer Heinrich XIII. Prinz Reuß, wenn wir an die Gefährdung des Kernes der demokratischen Prinzipien denken. Ja, auch diese sind nicht nur gefährdet, sondern angegriffen worden. Extremistische Parteien begleiten die Demokratie. Verboten werden sie nicht. Sie zehren an den Leistungen des Steuerzahlers, und würden sie Regierungsgewalt gewinnen, wäre ein Verbot von demokratischen Parteien gewiss. So ist die Demokratie zaghaft und nicht wehrhaft.

Sind wir eine Demokratie?

Lesen wir das Etikett. Da steht „Bundesrepublik Deutschland“. Aber auch in der Parteienlandschaft vermisse ich überwiegend das Wort „demokratisch“. Allenfalls im Kompositum „sozialdemokratisch“ sind ein Betreffendes und ein Zugehöriges zu einer eigenen Entelechie verschmolzen. Und da war doch noch so eine Partei, einst Bannerträger der deutschen Revolution gegen Feudalismus und Aristokratie. Wie hieß die doch nur? Ach ja, Freie Demokratische Partei Deutschlands – FDP.  Runtergerammt auf 0,8% in der Wahlprognose eines Bundeslandes. Wie kommt’s, dass Demokratie so wenig Anklang findet? Ja, wenn ein Minister dadurch sein Amt und ein weiteres dazu erhält, dass er aus seiner demokratischen Partei austritt, dann und genau dann ist Demokratie gefährdet. Demokratie ist der Wille des Volkes. Die Vergabe von Ämtern entgegen freier Wahlen, nach Willkür und Gefallen ist die Axt, die mit einem Schlag auch die politische Teilhabe weghaut. Übrig bleibt der Baumbart der Radikalen.

Wir müssen schon das Kleingedruckte lesen, um zu verstehen, dass wir in einer Demokratie leben. 

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“ heißt es in Artikel 20 des Grundgesetzes. Und Widerstand gegen die Gegner dieser volkseigenen Demokratie zu leisten haben alle Bürger das Recht.

Wo finden wir denn Inhaltsstoffe der Demokratie?

“Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“

In Artikel 38 des Grundgesetzes also. Aber diese Vertreter des ganzen Volkes sind von Aufträgen und Weisungen entbunden. Also müssen die Wähler das Versagen im Mandat ahnden. Demokratie korrodiert und muß geschliffen werden, damit sie glänzt.

Wenn ich es recht überlege, so reicht mir meine eine und einzige Wahlstimme gar nicht.

Spruch

Ich bin der Sieg
mein Vater war der Krieg
der Friede ist mein lieber Sohn
der gleicht meinem Vater schon

Erich Fried, 1945/46

aus: Erich Fried: Gesammelte Werke Bd. II, Wagenbach Verlag, Berlin 1993