Erhellendes Verschwinden

von Maria Schmelter

Heute fand ich unter der Fußmatte einen Zettel, darauf stand: „Erhellendes Verschwinden“. Ich nahm den Zettel auf. Was sollte das bedeuten, was wollte mir das sagen?

Viel Zeit darüber nachzudenken hatte ich nicht. Ich musste ins Büro. Ich stopfte den Zettel in die Manteltasche und trat, ich gebe es zu, noch etwas unkonzentriert auf die Straße. Ich blickte in den hellen Scheinwerfer eines Autos, dessen Fahrer fluchte „Können Sie nicht aufpassen?“ Er konnte ja nicht wissen, dass in meiner Manteltasche der Zettel vom erhellenden Verschwinden steckte. Hätte der Autofahrer nicht aufgepasst, so wäre ich unter dem Auto verschwunden, nachdem ich vorher hell angeleuchtet wurde. War das gemeint?

Den Weg zur Straßenbahn schaffte ich ohne weitere Zwischenfälle. Ich reihte mich in die Schlange der Wartenden ein. Plötzlich verschwand mein Vordermann. Er war einfach weg, nachdem ihn zuvor ein heller Lichtstrahl getroffen hatte. Wieder „Erhellendes Verschwinden“.

In mir kroch die Angst empor. Was hatte es mit diesem „Erhellenden Verschwinden“ auf sich. Konnte ich es mir zu nutze machen, statt einfach nur ängstlich zuzusehen? Im Büro gab es doch diesen alten Griesgram, der immer an allem was zu meckern hatte und der mir schon oft die Laune verdorben hatte. Dem würde keiner nachweinen, wenn er einfach von der Bildfläche verschwände. Ich würde ihn mal kurz mit meiner Taschenlampe anleuchten und schauen, ob das „Erhellende Verschwinden“ auch auf meinen Wunsch hin funktionierte.

Gerade öffnete sich die Tür und Herr Griesgram kam hinein. Ich hatte die Taschenlampe in der Hand, ließ sie kurz aufleuchten und…. weg war er, „Erhellendes Verschwinden“ eben.

Jetzt bekam ich es wirklich mit der Angst zu tun. Wer hatte den Zettel ausgerechnet unter meiner Fußmatte deponiert?

Und weiter dachte ich, alles kann doch auch für was gut sein. Mit Hilfe des „Erhellenden Verschwindens“ könnte man doch die ganze Welt verändern. Alle diese unliebsamen Herrschergestalten (Frauen inbegriffen) könnte man einfach verschwinden lassen. Klar, damit wären nicht alle Probleme gelöst, aber es könnte doch ein guter Anfang sein.

Ich geriet fast ins Schwärmen: Mir fiel meine Aufgabe für die nächste Ausgabe des LC ein, „Demokratie in Gefahr“; darüber wollte ich etwas schreiben: wie wäre es, wenn ich die Macht hätte, mit Hilfe meines Zettels und einer Taschenlampe jeden demokratiefeindlichen Redner zu „erhellen“ und zum Verschwinden zu bringen? Unsere Demokratie wäre gerettet!