Die kleinen Momente des Glücks

von Barbara Heinze

Mich haben Zeilen aus einem Brief von Goethes Mutter beeindruckt, sie passen meiner Meinung zu unserem Thema:

Brief von Goethes Mutter an Goethe 27.10.1807

“Ich freue mich des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht, suche keine Dornen, hasche die kleinen Freuden, sind die Thüren niedrig, so bücke ich mich und kan ich den Stein aus dem Weg Thun, so thue ich es, ist er zu schwer, so gehe ich um ihn herum und so finde ich alle Tage etwas, was mich freut. Und der Schlussstein, der Glaube an Gott, der macht mein Hertz froh und mein Angesicht fröhlich. Ich weiss, dass es mir und den Meinen gut geht und dass die Blätter nicht Einmahl verwelken, geschweige der Stamm”

Das Glück wartet nicht am Ende des Weges, sondern in vielen kleinen Momenten entlang des jeweiligen Lebensweges. Hier nun ein paar Episoden, die ich während meines Kurzurlaubs auf Rügen im Oktober 2024 erlebt und die mein Leben bereichert haben.

Wellenrippen im Wasser (Foto Barbara Heinze)

Am Strand

Am Sandstrand des Ostseebad Binz bin ich morgens gegen 10Uhr unterwegs. Die Luft ist zurzeit erst 7 Grad warm, aber Mitte Oktober wärmt die Sonne doch noch recht gut. Nach einem prächtigen Sonnenaufgang am Morgen sind schon viele Menschen auf der Strandpromenade und am Ufersaum unterwegs. Ich werde gefragt. warum heute alle so freundlich grüßen, ich entgegne, natürlich wegen des Wetters! Kein Wunder, denn die Tage davor hatte es gestürmt und es war kalt und regnerisch, der Himmel grau in grau.

Hier am Meer zu sein war immer schon meine Sehnsucht, unabhängig von dem Wetter, das mich hier erwartet: der Blick bis zum weiten Horizont, das Plätschern der Wellen am Strand, der unaufhörliche Ruf der Möwen und Seeschwalben. Am Vortag – es war noch nicht so sonnig – hatte ich es gewagt einige wenige Spaziergänger nachzuahmen und ging barfuß durch den sanft leckenden Wassersaum am Strand spazieren. Das 14grad kalte Wasser fühlte sich gar nicht so eiskalt an, wohl wegen der gleichen Lufttemperatur. Kinder rannten mit Gummistiefeln oder auch barfuß zwischen dem Meerwasser und ihren Strandburgen hin und her, und drei Generationen hatten ihre Freude daran und genossen den Strandurlaub. Stolz erzählte man mir, dass zwei Kinder mit dem Vater sogar kurz ins kalte Wasser eingetaucht waren. Am Tag darauf beobachte ich eine junge Frau, die im Badeanzug aus ihrem Hotel Richtung Strand rannte, nur mit großem Handtuch vor der Kälte geschützt. Auf unsere lobende Anfeuerung hin sagt sie lachend: wenn, dann jetzt!

Seeschwalbe, schwimmend, spiegelnd
(Foto Barbara Heinze)

Suche und Finde

Heute Morgen wurde ich auf ein älteres Paar aufmerksam: der Mann hatte tatsächlich einen Krümel Bernstein gefunden, den man mir stolz zeigte. An den Vortagen waren andere bisher nicht fündig geworden. Am nächsten Tag ging ich wieder am Strand entlang und sprach eine ältere Frau an, ob sie wohl auch Bernstein sucht. Daraufhin zeigte sie mir in ihrer Hand das Ergebnis ihrer Sammlung: viele winzige Bernsteinkügelchen. Sie zögerte nicht, mir zwei davon gleich zu schenken. Ich fragte sie dann noch, in welchem Strandbereich sie den Bernstein findet. Sie sagte, in dem braunen Modder am Wasserrand. Dieser Modder hat etwa das gleiche Gewicht wie der Bernstein und sie werden deshalb zusammen angeschwemmt. Ich fragte ihren Mann, ob er auch sammelt. Er meinte nein, und wenn sie zu lange braucht verziehe er sich zum Kaffeetrinken ins Café. So war es dann auch, er hielt es nicht mehr lange aus. Die geschenkten Bernsteinkügelchen sind mir leider verloren gegangen.

Kaffeedurst und Hunger

Die zwei großen Konditoreien und Bäckereien sind am Samstag Nachmittag bei gutem Wetter auch im Oktober ausgebucht. Es gibt zwar genügend Plätze, aber kein Personal zum Bedienen. Denn hier bedient offensichtlich Aushilfs-Personal, die einfach nicht sehen, ob und wie jemand bestellen will. Diese Cafés liegen auf der Sonnenseite der Straße. Auf der Suche nach einem weiteren Café “im Schatten” werde ich fündig bei einer von außen etwas unscheinbaren Cafébar. Dort wird nur Selbstbedienung angeboten, aber der Kuchen sieht vielversprechend aus. Kaffee und Kuchen gibt es für mich “ruckizucki”, der gedeckte Apfelkuchen schmeckt wie selbst gemacht.

Spielepartner

In unserer Unterkunft hat es sich ergeben, dass ich mich den Spielen mit einem älteren Ehepaar anschließe. Deren Spiele kannte ich nicht, wir hatten viel Spaß dabei, so ergaben sich noch weitere Spieletreffen. Bei dem dritten Treffen entstand ein Gruppenfoto. Am nächsten Morgen war unser Abreisetag. Beim Frühstück meinte die Frau dieses Ehepaars, unser Zusammentreffen machte sie richtig glücklich (nicht von mir in den Mund gelegt). Sie ist vermutlich Köchin gewesen, aber wegen körperlicher Behinderung schon in Frührente, ebenso wie ihr Partner, ein ehemaliger LKW-Fahrer. Ich musste ihr Alter schätzen, was mir ganz gut gelang weil ich ein jüngeres Alter angab, als ich selbst geschätzt hatte. Sie hat zwei Kinder aus erster Ehe, was ich alles natürlich ohne Nachfrage erfahre. Von mir wollten sie glücklicherweise nichts wissen, weder Alter noch Beruf noch Familienstand. Wir tauschten uns allerdings darüber aus, woher wir jeweils kommen, auch die Vornamen wissen wir, aber email oder Telefonnummern blieben tabu. Das hatte dann allerdings den Nachteil, dass ich auf das Gruppenfoto verzichten mußte, und das alles war gut so.

Erlebnisse im ICE

a) Meeresmuseum

Auf der Rückfahrt mit der Bahn von Binz nach Ulm stieg in Berlin ein neuer Zuggast ein und setzte sich mir gegenüber. Ein Schüler auf der gegenüberliegenden Seite fragte ihn, ob er ein Franzose sei. Das führte nun dazu, dass wir zu dritt über die Freude an verschiedenen Sprachen diskutierten.

Museum, Skelett von oben (Foto Barbara Heinze)

Im Gespräch stellte sich nun heraus dass unser neuer Gesprächspartner ein Biologe ist. So kamen wir beide als Biologen natürlich sofort in unser “Fahrwasser”: Er ist sowohl in Biologie und auch in Tiermedizin promoviert und hat sich über “oxidativen Stress bei Wildtieren” habilitiert. Bis vor kurzem war er im Meeresmuseum von Stralsund beschäftigt und erzählte u.a. über den Anfang des Museums: Um 1960 war nämlich eine Karret-Schildkröte auf Rügen angelandet worden, was zur Gründung des Museums führte. Seine Erzählungen ergänzten wunderbar meine Besichtigung vom Vortag im Meeresmuseum in Stralsund, von dem ich sehr beeindruckt war: Es war erst kürzlich renoviert worden und zeigte riesige Modelle von teils ausgestorbenen Tieren. Die Ausstellung dieser der teils meterhohen Modelle war möglich, weil das Museum in einer ehemaligen Klosterkirche untergebracht ist. Es wurde mit moderner Digitaltechnik über die Arten, Verbreitung, Lebensweise usw informiert. Unsere Zeit im Zug verging über unsere Unterhaltung wie im Flug, nach 5 Stunden Fahrt waren wir plötzlich schon in Augsburg, wo sich unsere Wege trennten. Wir haben keine Kontaktdaten ausgetauscht, noch nicht einmal die Namen! Aber es war ein interessantes Gespräch und das Meeresmuseum ist einen weiteren Besuch wert. Übrigens hatte ich eine angenehme Reise mit der Bahn: Hin und zurück gab es keine Ausfälle oder Verspätungen!

b) Vergessene Freunde

Im Zug von Binz nach Augsburg spricht mich ein fremder Mann an: Ich bin der Franz und wir kennen uns aus Ulm. Ich selbst konnte nur sagen, dass mir sein Gesicht ein wenig bekannt vorkommt, hatte aber keine Ahnung mehr woher: Er ist der Bruder von Petra, die wiederum mit Moritz verheiratet ist. Moritz hatte ich über seine Mutter kennen gelernt, und wir haben über Jahre gemeinsame Familienfeiern erlebt. Es sind also gute Freunde aus Ulm. Allerdings habe ich diese Freunde schon einige Jahre nicht mehr gesehen, denn sie gehören einer jüngeren Generation an, und der Kontakt zu ihnen ist durch einen Todesfalls in der Familie unterbrochen worden. Nun ist der Kontakt wieder aufgelebt. Franz wohnt in Augsburg, seine Frau ist Augsburgerin, und hat natürlich auch noch regelmässigen Kontakt zur Familie seiner Schwester.