von Beate Seelinger
Dass das Leben kein reines Zuckerlecken ist, hat wohl jeder schon einmal auf die eine oder andere Weise verspürt. Doch so lange es ihn gibt, sucht der Mensch nach dem Schönen und Guten, das es ihm lebenswert und lobenswert machen kann. Rezepte und Philosophien dazu gibt es reichlich. Eine Idee, die zu einer Lebensauffassung geworden ist, formuliert Horaz in der Sentenz am Ende der Ode „An Leukonoe“ aus der Zeit um 23 v. Chr.. Im Carpe Diem klingt die Aufforderung an, den Tag aufgrund der kurzen Lebenszeit zu genießen und nicht auf das Morgen zu warten. So fordert das Carpe Diem den Menschen auf, die schönen Dinge und Werte des Lebens „mitzunehmen“, wie er sie findet, um so das Erfreuende und Lebenswerte auszuschöpfen.
Cello, Violine, Posaune, Flöte, Trompete, Gesang – was wären wir ohne die Musikinstrumente, ohne die Musik! Schöne Klänge können uns in andere Welten entführen, können uns verwandeln. Sie erheitern das Gemüt, können jedoch ebenso Stimmungen anderer Art einfangen und ausdrücken. Musik überschreitet Grenzen der Verständigung, sie ist universell. Sie begleitete den Menschen durch alle Zeiten und hat immer sein Leben bereichert.
Ausstellungen, Museen, Galerien – dort treffen wir auf die bildenden Künste. Malerei, Bildhauerei, Töpferei, Holzwerken, in unserer Zeit Fotografie u.a. bringen Schönheit, Ästhetik und Erleben in unsere Existenz. Überhaupt bereichert die Ästhetik das Leben in allen Aspekten und bestimmt für uns, was wir „schön“ finden. Die bildenden Künste stellen das Gedächtnis unserer Kultur dar und weisen uns den Weg durch die Zeiten.
Romane, Gedichte, Dramen, Essays – wer am Lesen Freude hat, ist ein wahres Glückskind. Für die Zeit des Lesens vergessen wir die äußere Welt, entfliehen wir in andere Sphären, werden wir zu Zeit- und Weltreisenden. Ein gutes Buch kann zum Freund werden und Menschen ersetzen. Wie die bildenden Künste und die Musik sammelt sich in Büchern das Archiv und das Gedächtnis der Menschheit, und sie eröffnen den Weg in die Freiheit, in Vergnügen und Lehre.
Pasteten, Braten, Soufflés, Torten und Gebäck – wie gut, dass wir die leiblichen Genüsse kennen! Nicht umsonst heißt es: „Essen hält Leib und Seele zusammen“. Essen bedeutet Befriedigung, es schafft Gemeinschaft und hat oft festiven Charakter. Wir feiern, indem wir essen. Essen bleibt unverzichtbar und schenkt uns eine so gut wie immer erreichbare Beglückung im Leben.
Erde, Gewächse, Geschöpfe – die Natur bietet uns überall zugängliche Freude und Bereicherung. Im Grün der Wälder finden wir Erholung und Entspannung, die Vielfalt der Pflanzen und die Originalität der Tiere können uns immer wieder begeistern und verblüffen. Jeder, der einen Garten sein Eigen nennt, kann ein Lied davon singen. Natur gibt es für alle und das kostenlos. Die Natur beschert uns auch das Wasser. Im Sommer kalt, im Winter heiß, schafft es Genuss und Wohlbefinden für Leib und Seele. Es ist „so köstlich und so rein“ (A. Branduardi, Sonnengesang des hl. Franziskus) und nichts ist schöner, als seinen Durst mit klarem, kühlem Wasser zu stillen.
Daunen, Federn, Decken, Kissen – wie gut tut erholsamer Schlaf im eigenen Bett! Wie oft hat er uns vom Grübeln und Trauern erlöst, wie oft hat er Kräfte wiedergeschenkt! Großer Dank, dass Gott uns den Schlaf gestattet hat! Ein kleiner Tod, der Abstand bringt und das Rad des Lebens anzuhalten vermag. Ohne Schlaf geht es nicht, und wer nach einer guten Nacht erneuert aufwacht, weiß nur zu gut um dieses wertvolle Geschenk.
Ich allein, das kann nicht sein! Es sind unsere Beziehungen, die uns zwar gelegentlich Leid, andererseits jedoch auch einen Sinn ins Leben geben. Freundschaften, Verwandtschaft, Kameradschaft – wir alle kennen diese und als soziale Erfahrungen gehören zu unseren reichsten Schätzen. Der Mensch ist für die Gemeinschaft geschaffen und findet Erfüllung in ihr. Es sind die Beziehungen, die das Leben wertvoll machen. Auf sie kommt es an und oft sind sie Garant für Freude und Glück.
Engel, so wünschen wir, sollen unser Leben begleiten! Das Spirituelle, die Religion, machen uns glücklich, geben uns Inhalt in unserer Existenz, können Sinn geben, wo nach menschlichem Ermessen Sinn fehlt. Der Glaube füllt alles mit Bedeutung, lässt alles sinnvoll erscheinen. Wir brauchen ihn, wir ersehnen ihn – bewusst oder unbewusst – er ist der Schlüssel zum Leben.
Mutterliebe, Freundesliebe, Geschwisterliebe, Feindesliebe, Nächstenliebe, die erotische Liebe – viele Arten der Zuneigung gibt es und von allen Freuden ist die Liebe wohl die größte. Mehr noch – für alle anderen Freuden ist sie Grundlage, ist sie Bedingung. Ohne Liebe ist alles nichts. Liebe ist die größte Gabe, der wir uns rühmen dürfen, und ihr gilt das wahre Lob des Lebens. In ihr preisen wir alles, was das Herz erfreut. Allein für die Liebe lohnt es sich zu leben.
Es werden sicher für jeden andere Dinge und Werte sein, die das Leben lebenswert und lobenswert machen. Einige davon jedoch sind universell und werden wohl in jeder Kultur gepflegt. Jedoch das „WIE“, die Frage nach der Umsetzung, die Frage nach dem „WIE“ des Glücks, beschäftigt seit eh und je die Gemüter. Ein Rezept liefert der Gedanke des Carpe Diem. Den Tag zu „pflücken“, seine Angebote reuelos wahrzunehmen und auszukosten, etwas aus jedem Tag zu machen, verspricht Erfüllung, Lebensfreude und Lebenssinn. Gerade heute, in schnelllebigen und unbeständigen Zeiten, kann das Warten auf die bessere Gelegenheit zum Trugschluss werden. Das „Pflücken der Tage“ verheißt uns unseren kleinen Anteil am Glück des Lebens tagtäglich und es ist damit auch die Aufforderung verbunden, dieses unverdrossen ebenso in den kleinen Freuden zu suchen und zu finden. (In den großen natürlich erst recht!) Die Aufforderung zum Carpe Diem ist heute wieder besonders attraktiv. Sie bedeutet nicht rücksichtslosen Lustgewinn, sie bedeutet, in jedem Tag seinen Anteil an Schönem und Gutem – und sei er auch noch so klein – zu entdecken. Gerade in düsteren Zeiten wie den unseren, könnte dies ein Rezept sein, Licht und Freude ins Leben hereinscheinen zu lassen.