Adolph Freiherr von Knigge (1752-1796)
Die Dankbarkeit ist eine der heiligsten Tugenden; wer Dir Gutes getan hat, den ehre! Danke ihm nicht nur mit Worten, die ihm die Wärme Deiner Erkenntlichkeit zeigen, sondern suche auch jede Gelegenheit auf, wo Du ihm wieder dienen und nützlich werden kannst. Fehlt Dir aber dazu die Veranlassung, so entfalte ihm wenigstens durch ein unterscheidend liebreiches äußeres Betragen Dein dankbares Herz. Miss dies Betragen nicht pünktlich nach der Größe der Wohltat ab, die Du empfangen, sondern nach dem Grade des guten Willens, den Dein Wohltäter Dir gezeigt hat.
Nie aber lasse Dich zu niederträchtiger Schmeichelei herab, um entweder Wohltaten zu erschleichen oder für den empfangenen Schutz auf unedle Weise Dich zum Sklaven eines schlechten Mannes zu machen. Wo Pflicht und Rechtschaffenheit es fordern, da müsse Dein Mund nie zum Unrechte schweigen und keine Art von Bestechung die Stimme der Wahrheit zum Schweigen bringen. Du bezahlst reichlich die Wohltat, wenn Du dafür die Pflichten eines echten Freundes erfüllst und, selbst mit Gefahr, den Schutz zu verlieren und für undankbar gehalten zu werden, dem Wohltäter sagst, was ihm nötig und heilsam ist zu hören.
Die Art, wie man Wohltaten erzeigt, ist oft mehr wert als die Handlung selbst. Man kann durch dieselbe den Preis jeder Gabe erhöhen, sowie von der andern Sei te ihr allen Verdienst rauben. Wenig Menschen verstehen diese Kunst; es ist aber wichtig, sie zu studieren; auf edle Weise Gutes zu tun; die Delikatesse dessen zu schonen, dem wir es erzeigen; keine schwere Last von Verbindlichkeit aufzulegen; erwiesene Wohltaten weder auf feine noch auf grobe Art vorzuwerfen; dem beschämenden Danke auszuweichen; nicht Dank zu erbetteln und dennoch dem dankbaren Herzen nicht die Gelegenheit zu rauben, sich seiner Pflicht zu entledigen. Der gibt doppelt, der gleich zu rechter Zeit, ungebeten und mit Freuden gibt, aber dränge niemand Deine Dienste auf. Kalkuliere nicht, ob es erkannt und belohnt werden wird. Weise nicht die Bittenden Deiner Tür zurück. Wenn Dich jemand um Rat, Hilfe, Wohltat anspricht, so höre ihm freundlich, teilnehmend und aufmerksam zu.
Keine Wohltat ist größer als die des Unterrichts und der Bildung. Wer jemals etwas dazu beigetragen hat, uns zu weisem, bessern und glücklicheren Menschen zu machen, der müsse unseres wärmsten Dankes lebenslang gewiss sein können. Hat er dabei nicht alles geleistet, was wir jetzt, bei reifen Jahren, bei weitem Fortschritten in der Kultur von einem Lehrer und Hofmeister fordern würden, so sollen wir doch nicht unerkenntlich gegen das wenige sein, das wir von ihm empfangen haben.
Auszug aus „Über den Umgang mit Menschen”