von Beate Seelinger
Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.
Francis Bacon, englischer Philosoph
Und zum Dessert ein bisschen Glück
Wie vermessen wäre es, über `das Glück an sich` schreiben zu wollen! Das Thema ist so alt wie die Welt und wer hätte sich nicht zu dazu geäußert? Seit es Menschen gibt, wird von dieser Spezies versucht, sich das Leben angenehm, ja mehr – glücklich – einzurichten. Aller Fortschritt entspringt letztendlich der Suche nach Glück. Allerdings brauchen wir mehr als nur einen angenehmen Zustand, um uns glücklich zu fühlen. Zunächst einmal brauchen wir die Erfüllung unserer Grundbedürfnisse: Nahrung, Unterschlupf, Bekleidung. Hinzu kommen Sicherheit, soziales Dazugehören und ebensolche Anerkennung. Als Mensch brauchen wir Beschäftigungen, die uns befriedigen und erfüllen. Und da sind wir schon beim Schlüsselwort: erfüllen! Erst wenn wir uns erfüllt fühlen, bezeichnen wir uns als glücklich. Also wenn wir rund herum satt sind. Physisch, psychisch und geistig. Und selbst das reicht nicht, damit wir den beseelenden Zustand des Glücks erfahren. Wir brauchen noch den speziellen Kick. Satt allein reicht nicht. Es bedarf noch des Desserts sozusagen.
Und die Dessertkarte weist unzählige Angebote auf. Sie reicht von `immer mehr` bis hin zum Minimalismus. Was die einen in der Anhäufung von materiellen und immateriellen Gütern suchen, meinen die anderen in reduziertester Schlichtheit zu finden. Und dazwischen liegt die ganze Bandbreite der Möglichkeiten. Die Wege zum Glück sind offenbar disparat, und in der Tat, es gibt so viele wie es Menschen gibt und gab. Solche, die hingeführt haben und solche, die es krachend verfehlt haben. Von denen, die wir aktuell gehen, können wir nicht sagen, ob sie uns zu Erfolg oder Misserfolg in diesem Bestreben leiten werden, denn eben diese Wege entstehen erst beim Gehen. Jedoch da geht es ja auch um das große, umfängliche Glück, das Lebensglück. Dieses kann vielleicht nur im Rückblick erfasst werden. Ein gewichtiges Projekt. Wie wäre es mit dem kleinen? Das kennt doch jeder und dieses erreichen zu können, wäre doch realistisch.
Glück und rote Gummibärchen
Das kleine Glück zeigt sich vielfältig. Es fängt beim Zerkauen eines roten Gummibärchens an, lässt sich in einem Spaziergang in einem Buchenhain an einem Frühlingstag finden und endet unter Umständen in einer leidenschaftlichen Verliebtheit. Jedoch da verschwimmen die Grenzen schon. Liebe, Verliebtheit gelten doch gemeinhin als das große Glück. Verliebtheit allerdings hat etwas Flüchtiges an sich und kann schnell in Unglück umschlagen. Wahre, dauerhafte Liebe – ja, in der Tat – macht großes Glück aus. Sie kann das Glück des Lebens bedeuten. Echte, wahre Liebe erfüllt. Da haben wir es! Wahre Liebe zu einem Menschen, aber auch wahre Liebe zu etwas Immateriellen scheint vollkommen glücklich machen zu können. Vielleicht kennen wir es selber, vielleicht kennen wir es vom Hörensagen. Vielleicht kennen wir Menschen, denen dieses widerfährt, und wir spüren, dass sie glücklich sind. Sollte es so einfach sein? Hat Glück immer mit Liebe zu tun?
Ich möchte meinen, so ist es. Liebe scheint der Kick zu sein, von dem weiter oben die Rede war, das Dessert, die Süßigkeit, die alles abrundet. Denn egal, ob es sich um rote Gummibärchen, ein Lieblingskleidungstück, ein bevorzugtes Land, oder einen besonderen Menschen handelt, wir erleben erst Glück mit selbigem, wenn wir es oder ihn lieben. Grüne Gummibärchen sind auch gut, aber es macht die Liebe zu den roten, die uns, wenn wir so eines zerkauen, für den Moment mit Glück erfüllt. Wir können Afrika mögen, aber es macht die Liebe zur Uckermark, durch die wir uns genau dort so glücklich fühlen. Wir mögen viele Menschen, aber nur der, den wir lieben, macht uns rundherum glücklich. Vielleicht lieben wir aber auch das Zusammensein mit vielen Menschen. Dann brauchen wir nicht den einen, dann machen uns unsere vielen Kontakte glücklich. Wenn wir nur lieben, was wir tun oder erstreben. Dann ist das Glück nicht weit.
Die harte Nuss mit der Liebe
Wenn es so einfach wäre! Wie oft lieben wir das, womit wir uns umgeben oder beschäftigen nicht. Wie oft finden wir keinen Zugang zu einem Menschen. Oder wir mögen grundsätzlich keine Gummibärchen. Wie oft sind unsere Lebensumstände gestört, so dass kein Platz für Liebe bleibt. Durch Zwang. Durch Krankheit. Durch Unvermögen. Und da stellt sich auch schon die Frage: was ist denn Liebe? Was fördert sie? Was bringt sie hervor?
Zunächst einmal braucht es für die Liebe die Erfüllung der Grundbedürfnisse. Ein unbehauster Mensch, der hungert und friert, wird wenig mit Liebe im Sinn haben. Genauso wenig wird ein Mensch lieben können, wenn er sich grundsätzlich sozial abgelehnt und ungesehen fühlt. Zu seinem allgemeinen Hunger wird noch der Hunger nach Liebe hinzu kommen. Anstatt Liebe empfinden zu können, wird er Liebe ersehnen. Unter diesen Umständen wird sich ein Mensch unerfüllt fühlen. Er wird unglücklich sein…
Halt – hatten wir das nicht bereits? Damit ein Mensch lieben kann, bedarf es offenbar der gleichen Voraussetzungen wie der zur Erlangung von Glück. Genauer gesagt, es bedarf im Vorfeld einer Portion Glück, das die Liebe beflügelt. So scheinen Glück und Liebe also in einer Wechselwirkung zu stehen, eines bedingt das andere. Wer glücklich ist, liebt, wer liebt, ist glücklich.
Und wie liebt man? Hängt Liebe vom Gegenüber ab – materiell oder immateriell? Kommt Liebe – im romantischen Sinne – `angeflogen` oder müssen wir sie uns erarbeiten? Können wir Liebe halten, oder ist sie flüchtig? Wird uns Liebe geschenkt? Finden wir Liebe überall, wenn wir nur wollen, oder müssen wir sie mühsam suchen? Kann jeder lieben?
Offenbar stehen wir der Verwirklichung von Liebe genauso unsicher gegenüber wie der Erlangung von Glück. Wir kennen uns letztendlich nicht aus mit diesem Glück, mit dieser Liebe. Wir ahnen, dass es beides gibt, wir meinen sogar Beweise dafür zu haben, jedoch wir kennen nicht den Weg dorthin. Es bleibt ein Tasten und Suchen, ein bruchstückhaftes Erfahren. Beides scheint auf dem Weg zu kommen und zu gehen, aufzuflammen und zu verebben, ist einmal da und einmal dort. Wir zählen beides zu unseren höchsten Gütern. Wir wissen alles Mögliche durch die Anstrengungen unseres Intellektes zu verwirklichen, bei der Verfolgung dieser Ziele aber irrt unser Verstand in gleichbleibender Regelmäßigkeit. Liegt es an uns oder liegt es an der Sache?
Also doch ein rotes Gummibärchen
Jeder von uns kennt Glück. Jeder kennt Liebe. Wir kennen die Phänomene und kennen sie nicht. Wir brauchen sie und wir brauchen unsere Suche nach ihnen, sie hält die Welt in Gang. Als ich sechzehn war, galt bei uns die Mode, unsere Lebensleitsprüche irgendwie in die Öffentlichkeit zu tragen. Und so hatte ich in schönen Lettern auf meine alte Lederschultasche zusammen mit einer Friedenstaube den Spruch graviert:
Solange wie den Bau der Welt
Philosophie zusammenhält,
erhält sie das Getriebe
durch Hunger und durch Liebe.
Und was ist das Streben nach Glück anderes als ein nagender Hunger?
So war ich also doch vermessen genug, einen Text über Glück zu verfassen. Ich muss sagen, es hat mich glücklich gemacht. Weil ich das Schreiben liebe, weil ich das Formulieren von Sprache liebe, weil ich es liebe, über ein Thema zu räsonieren. So kam tatsächlich beides zusammen. Ich habe das Glück heute nicht gesucht. Es hat mich gefunden, sozusagen. Ein kleines Glück. Am großen arbeite ich noch. Ein gewichtiges Projekt…!