…und noch ein paar Überlegungen zum Danke-Sagen
von Beate Seelinger
Jedes Mal, wenn ich Bilder von geschmückten Altären an Erntedank sehe, bedauere ich zutiefst, dass ich keine Kirchgängerin bin und ich dieses reiche, farbenfrohe und naturbejahende Fest nicht mitfeiern kann. Natürlich, ich könnte ja hingehen und für dieses eine Mal dabei sein. Das jedoch widerstrebt mir. Entweder ganz oder gar nicht. Sich nur die Rosinen des Kirchenjahres heraussuchen, das geht nicht.
Denke ich an dieses kirchliche Herbstfest, erscheinen orangefarbene Kürbisse, gereifte Ähren, Weintrauben, Kohlköpfe, frisch gebackene Brote und vieles dieser Art mehr vor meinem inneren Auge. Die Gedanken schweifen zu in Mittelgängen gelegten Bildern aus Körnern und Samen und zu überquellend mit guten Gaben gefüllten Körben, die zur Segnung vor Altäre gebracht werden. Außerhalb der Kirchen findet Erntedank in den Köpfen und im Kulturgut der Menschen allerdings entscheidend weniger Beachtung. Schade eigentlich und bedauerlich. Mehr noch, ist es nicht eine Schande, dass wir, während wir doch heutzutage und in diesen Breiten in den Supermärkten die Qual der Wahl und Angebot im Überfluss haben, es nicht für notwendig erachten, diesen Reichtum in irgendeiner Art ganz selbstverständlich und allerorts zu feiern? Wir halten doch so vieles hoch! Wieso wird die Tatsache, dass die Mehrzahl der Menschen hierzulande tagtäglich restlos satt wird, nur hinter verschlossenen Kirchentüren gefeiert? Und nicht wie Weihnachten oder Ostern in so gut wie jedem Haushalt, inklusive typischer Symbolik und spezieller Genüsse?
Gut, Ende August beginnen die einschlägigen Frauenzeitschriften damit, an den bevorstehenden Herbst zu erinnern. Auch da geht es um Kürbisse, Weintrauben und Rüben. Allerdings als Deko-Versatzstücke. Wir werden machtvoll aufgefordert, die anbrechende farbenfrohe Jahreszeit in jeder Hinsicht zu feiern, allerdings erinnern dabei nur ein paar Kochrezepte an Erntedank. Ist uns bei all diesem Deko-Rausch bewusst, mit welcher Selbstverständlichkeit wir das Jahr über unsere hochbeladenen Einkaufswagen zur Kasse fahren?
In den USA gibt es den Thanksgiving-Day, den nationalen Feiertag am vierten Donnerstag im November, der jährlich vom Präsidenten persönlich angekündigt wird. Ein Dank-Tag, nicht nur für die Lebensmittel, die einen übers Jahr gebracht haben. Ein großes Familienfest, zu dem die Angehörigen aus allen Landesteilen zusammenkommen, bei dem ein üppiges – zumeist Abendessen – eingenommen und traditionell ein ausdrückliches Dankgebet für das, was im vergangenen Jahr gut gelaufen ist, an den Himmel gerichtet wird. Schön ist das, und ein so gefeierter Dank mit Ferientagen und allem drum und dran bleibt dann vielleicht auch noch längere Zeit im Gedächtnis.
Früher habe ich häufig im Kreise meiner Freunde ein Erntedankfrühstück veranstaltet. Karierte Tischdecke, schönes, frisch gebackenes Brot, ein Ähren-Strauß, ein paar Zierkürbisse, ein Sammelsurium an Teelichtern und alle möglichen guten Speisen. Lustvoll haben wir gemeinsam geschlemmt. Doch hielten wir uns den Anlass wirklich vor Augen? Ich hatte ihn wohl im Hinterkopf, sonst hätte ich die Einladung nicht ausgesprochen. Jedoch ich glaube beinahe, wir alle hätten uns ein wenig betreten gefühlt, hätte man uns aufgefordert, uns ganz offiziell aufs Danke-Sagen für das abgelaufene Jahr zu besinnen. So haben wir gegessen wie immer und der eigentliche Dank-Tag wurde auch wieder zum Konsumier-Tag. Ein Hoch auf unsere Lebensmittel, aber dafür danken? Wem überhaupt?
Solch einen Tag wie Thanksgiving wünsche ich mir auch. Staatlich abgesegnet, ein spezieller Tag, an dem das Sich-Bedanken Ritual ist, wie Ostern das Eier-Suchen. Nicht nur für die Kirchgänger, sondern für alle. Der würde uns sicher gut stehen und wäre doch wahrscheinlich auch im Sinne der zahlreichen Anhänger von Strömungen in Bezug auf bewusstes Essverhalten. Und ich meine, wir hätten noch eine ganze Reihe an weiteren guten Gründen, zu danken, außer für hochgefüllte Einkaufswagen: Frieden, recht gut funktionierende Demokratie, ein großes Maß an Freiheit, Pluralismus, Bildungsmöglichkeiten, ein gutes Gesundheitswesen und, und, und. Vorausgesetzt, wir könnten über den Rand unserer mit herbstlichem Rehbraten und Pilzragout hoch gefüllten Teller schauen…