von Cornelia Kutter
Es ist schon spät. Ich muss mich beeilen, damit ich pünktlich da bin. Schließlich hat dieses familiäre Treffen Tradition und es ist mir ein echtes Bedürfnis, mich mit ihm über Gott und die Welt auszutauschen.
Immer wieder sonntags:
„Da kommt mein Bruderherz ja endlich. Na, musste der Herr Pfarrer mal wieder besonders viel danken? Seit dem Erntedankfest kommst du immer später zum Schrat.“ „Der heißt nicht Schrat, der heißt Oskar. Und seine Kneipe heißt ‘Zur Jagdkapelle‘“. „Schon klar, aber der sieht nicht nur so aus, der benimmt sich oft auch so mürrisch wie ein Waldschrat. Wenn du ihm Trinkgeld gibst, sagt der nicht DANKE sondern allenfalls JAU.“ „Wieso kommst du nicht mal zur Abwechslung mit in die Kirche, anstatt gleich die Kneipe anzusteuern, Harald?“
Tun, was Freude macht:
„Es reicht doch, dass ich dich und die Gemeinde singen höre ‚Danke für diesen guten Morgen. Danke für jeden neuen Tag…‘ Dann gehe ich immer in mich und bin auch dankbar. Dafür, dass wir uns noch guter Gesundheit erfreuen und uns so nahestehen. Darüber hinaus habe ich Freude daran, bei der Skatrunde zu kiebitzen und den neuesten Klatsch und Tratsch zu hören. Das erfüllt mich auch irgendwie mit Dankbarkeit.“ „Na, SCHÖNEN DANK AUCH, da habe ich aber Besseres zu tun.“
Bitten oder Danken:
„Da siehst du es selber, Heiner, Danksagung wird immer wieder überstrapaziert oder für das Gegenteil benutzt. Du kannst froh sein, dass ich hier sitze. Gestern sind mir im Wald vier zwielichtige junge Männer begegnet. Die haben sich sofort vor mir aufgebaut mit den Händen in die Hüften gestemmt. Da wollte ich vorsichtshalber schon meine Jagdflinte entsichern. Aber – Gott sei Dank – sagte der eine dann: ‚Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie etwas zur Seite gehen könnten. Wir sind Geo-Cacher und hinter Ihnen ist ein Cache versteckt.‘ Du weißt, das ist diese elektronische Schnitzeljagd per GPS-Daten. Ja, wie soll ich denn auf so etwas kommen? Der hätte mich doch von Weitem bitten können, Platz zu machen.“ – „Harald, du bist Jäger und solltest wirklich nicht so schreckhaft sein. Sei froh, dass sie sich bedankt haben.“
Aufrichtige Dankbarkeit:
„Echte Dankbarkeit entspringt einem tiefen Gefühl. Denk an Oma Luise. Wie dankbar die wohl gewesen ist, dass ihr Ludwig heile aus dem Krieg wieder nach Hause gekommen war. Und Opa Ludwig war von Dank erfüllt, dass er das alles überstanden hatte und eine Zukunft in Frieden mit der Familie haben durfte.“ „Dankbarkeit hat wohl auch etwas mit Glücksgefühl zu tun. Ich erinnere mich, wie glücklich du warst, als deine Marie geboren wurde und du verkünden konntest, dass das Kind und deine Gabi wohlauf sind.“ „Ja, dafür war ich unendlich dankbar. Manchmal erkennt man erst später, dass man Glück hatte, wofür man danken sollte. Ich denke an die Zeit, als du, lieber Heiner, aus Liebeskummer unbedingt ins Kloster gehen und fortan allen weltlichen Freuden entsagen wolltest. Da kannst du im Nachhinein doch dankbar sein, dass du noch rechtzeitig deine Katharina kennengelernt hast und die Freude am Leben zurückgekommen ist. Man weiß nie, wofür etwas gut ist.“
Anständiges Benehmen ist wichtig:
„Dankbar zu sein und gute Umgangsformen zu haben, das steht schließlich auch für eine gute Erziehung. Wir haben alle früh gelernt, dass wir uns für Zuwendungen bedanken müssen, die nicht selbstverständlich sind. Unsere Mutter hat immer hinter uns gestanden und gefragt ‚was sagt man‘, wenn wir beim Metzger eine Scheibe Wurst oder von der Oma Schokolade bekommen haben. Auch haben wir uns immer für die Geschenke zum Geburtstag oder zu Weihnachten aus tiefer Freude heraus bedankt. Darüber hinaus wurden unsere Wünsche nur erfüllt, wenn wir darum gebeten haben. BITTE und DANKE waren zwar oft nur Höflichkeitsformeln, aber auch immer dem Sachverhalt angemessen.“
Danke – nur eine Floskel?
„Heute frage ich mich manchmal, warum ich diese Höflichkeit auch ‚Stinkstiefeln‘ gegenüber an den Tag legen soll. Da stand ich neulich im Supermarkt an der Fleischtheke und wartete geduldig. Obwohl sonst kein Kunde vor mir war, kam die Verkäuferin nach einer gefühlten Ewigkeit mit lustlosem Gesichtsausdruck auf mich zu. Meine Wünsche waren ihr augenscheinlich lästig. Ich habe mich zwar für das Überreichen meines Einkaufs bedankt, fand das aber sehr fragwürdig. Es ist der Job dieser Frau, mich zu bedienen. Wieso muss ich mich dafür bedanken, wenn sie derart unfreundlich ist?“ „Reg dich nicht auf. Das macht man halt so, das ist eben höflich.“
Senk ju vor träwelling:
„Das hier ist noch schlimmer. Man muss nicht erst die Bücher von Mark Spörrle und Lutz Schumacher gelesen haben. Es reicht, wenn man – wie ich – öfter mit der deutschen Bahn fährt. Da stehst du bei Kälte auf dem zugigen Bahnsteig und der Zug sollte bereits längst da sein. Dann kommt die Ansage: ‚Es gibt ein technisches Problem, der ICE597 von Berlin nach Frankfurt hat ca. 45 Minuten Verspätung. Wir danken für Ihr Verständnis.‘ Ja, sag mal, geht’s noch? Ich habe dafür kein Verständnis! Und wenn überhaupt, dann haben die mich um Verständnis zu bitten!“
Etwas Demut wäre nicht verkehrt:
„Und wo ich mich manchmal noch drüber aufregen kann, sind meine Enkelkinder Nicole und Frederic. Die haben beide Smartphones, womit sie ständig mit allen möglichen Leuten chatten. Mit ihren Tablets sehen sie Serien und Filme per Streamingdienst und dann spielen sie auch noch online mit Gott und der Welt. Für Minecraft, Fortnite etc. stehen jeweils Playstation, Switch und Xbox bereit. Wohl bemerkt, das haben die schon immer so gemacht. Aber seit Corona ausgebrochen ist, sind sie nur am Jammern, dass sie nicht ständig abfeiern und sich mit zig Leuten auf einmal treffen können. Nur Forderungen stellen und jeden Luxus als Selbstverständlichkeit empfinden. Das bringt mich auf die Palme.“ „Na ja, sie haben eben noch nichts einschneidend Negatives erlebt, was sie zum Nachdenken anregen würde.“ „Sicher bin ich froh, dass sie von schlimmen Erfahrungen bisher verschont geblieben sind und dass es ihnen gut geht. Aber etwas Dankbarkeit und Demut würde ich schon erwarten.“
Versprechen aus Dankbarkeit:
„Neulich hat sich Nicole wieder beschwert, dass ihr Taschengeld vorne und hinten nicht reicht und ob ich ihr nicht etwas zum Erwerb der angesagten Cowboystiefel dazugeben könnte. In solchen Fällen spreche ich ihren Namen etwa so aus: ‚Nie Kohle‘, das kann ich mir dann nicht verkneifen.“ „Aber du gibst es ihr doch gerne. Seit sie damals krank war und der Verdacht auf Leukämie bestand, hast du gesagt, du würdest ihr nie wieder einen Wunsch abschlagen, wenn sie nur wieder gesund wird.“ „Gott sei Dank hat sich die Diagnose dann nicht bestätigt und ich habe vor Glück und Dankbarkeit Tränen in den Augen gehabt. Und in der Tat, sie weiß seitdem, wie sie mich herumkriegt.“
Was wirklich wichtig ist:
„So, jetzt wird es höchste Zeit, nach Hause zu gehen, das Mittagessen wartet. Aber sag mal, Heiner, wieso bitten und danken wir immer Gott, wenn sich Wünsche und Dankbarkeit nicht an bestimmte Personen richten?“ – „Die Antwort darauf, mein lieber Harald, ist so komplex, darüber diskutieren wir ein anderes Mal. Bis bald, Bruderherz, wir sehen uns nächsten Sonntag und danke für eure Einladung zu Gabis Geburtstagsbrunch.“
Quellen und weiterführende Links:
https://www.mindance.de/blog/dankbarkeit-der-schlussel-zu-einem-erfullteren-leben
https://www.resilienz-akademie.com/dankbarkeit/
Bild-Lizenznachweise (CC0):
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