Gemeinschaftlich wohnen bis ins hohe Alter

von Inge Kellersmann

„Wir ziehen in ein Mehrgenerationenhaus“, verkündeten wir unseren Freunden und Bekannten, die diesen Entschluss nicht wahrhaben wollten.  Wir wohnten in einem idyllischen westfälischen Dorf bei Münster. „Aber einen Mehrgenerationenhof gibt es auch in Münster“, so der Einwand. Ja und nein, ein Mehrgenerationenhaus, das es in rund 500 Orten gibt, ist „nur“ eine Begegnungsstätte. „Wir aber werden dort auch wohnen,  und zwar in Landau in der Südpfalz.“ Uns war bewusst, dass  es nicht einfach sein würde, im Alter von ca. 70 Jahren noch einmal in einer fremden Gegend Fuß zu fassen und uns mit völlig neuen Lebensumständen vertraut zu machen. Aber wir begriffen es auch als große Chance.

Was hat uns an der Idee des gemeinschaftlichen Wohnens fasziniert. Ein zentraler Gedanke ist das generationenübergreifende Zusammenleben von Familien, Singles, Paaren und Alleinerziehenden in den unterschiedlichsten Lebens- und Altersphasen. Der Generationenhof Landau ist ein genossenschaftliches Wohnprojekt. Voraussetzungen für’s Mitwohnen: Gemeinschaftsgeist und Mindesteinlage von 25 % der Baukosten der Wohnung zuzüglich einer monatlichen „Nutzungsgebühr“.

In den beiden Häusern gibt es insgesamt 37 Wohnungen, in denen 50 Erwachsene und13 Kinder leben. Alle Wohnungen sind individuell gestaltet und haben Terrassen oder Loggien und sind durch Lifte und Laubengänge schwellenfrei erreichbar.  Beruhigend ist deshalb, dass jeder Bewohner bis ins hohe Alter in den Wohnungen bleiben und mit nachbarschaftlicher Hilfe rechnen kann.

Ein geführter Rundgang überzeugte uns zu dem Umzug in diese Anlage: Beide Häuser umschließen einen großen Innenhof mit Garten, Gemüsebeeten, die jeder anders bepflanzen kann.

Im Gemeinschaftsraum trifft man sich alle zwei Wochen, um anfallende Probleme und Fragen zu diskutieren. Hier werden auch Feste gefeiert, man kann am Sonntagsfrühstück teilnehmen oder an der Gymnastikstunde, am Yoga oder Meditation. Die kleineren Kinder trifft man oft im Kinderraum und Bastler in der  Werkstatt. Gäste können in einem eigenen Appartement wohnen.

Jährlich im Herbst luden zwei Familien aus dem Münsterland die Bewohner zum Grünkohlessen im Gemeinschaftsraum ein. (Foto: Inge Kellersmann)

So selbstverständlich ist es allerdings nicht, in die Genossenschaft aufgenommen zu werden. In einer Vorstellungsrunde wurden wir „getestet“, ob wir in die Gemeinschaft passen. Die Runde beschloss positiv.

Das neue Zuhause

 Am Einzugstag konnten wir sofort erleben, wie lebendig diese Gemeinschaft war, denn mitten im Chaos durften wir uns bei Wohnungsnachbarn an den gedeckten Tisch setzen. Ein sog. Pate machte uns vertraut mit den Besonderheiten des gemeinschaftlichen Lebens: Alle Bewohner übernehmen ehrenamtlich und – soweit möglich – Aufgaben In der Gemeinschaft, u.a. in der Verwaltung, der Müllentsorgung, der Gartenarbeit, Reinigungsarbeiten oder der Organisation von Veranstaltungen und der Pflege unserer Homepage. Denn jeder  bringt seine unterschiedlichen Fähigkeiten ein. Da man aus verschiedenen Berufen und Lebenskreisen kommt, kann man aus einem großen Potential von Fähigkeiten schöpfen: eine Schriftstellerin leitet den Literaturkreis, eine ehem. Buchhalterin übernimmt Büroarbeiten. Zwei frühere Sozialarbeiterinnen kochen gerne, so wird im Wechsel jeden Monat mal ein Mittagessen für 15 Bewohner angeboten. Beliebt sind die Filmabende mit einem passenden Essen zuvor, oder Spielabende und gemeinsame Ausflüge zu Ausstellungen und Sehenswürdigkeiten in der Umgebung.

Wenn Mäxchens Eltern zum Elternabend müssen, gibt es genügend Wahlgroßeltern, die sich um ihn und seinen kleinen  Bruder kümmern. Muss die 80-jährige Klara zum Arzt gefahren werden oder braucht Einkaufshilfe, hat sie sofort eine Auswahl von spontanen Hilfsangeboten, und wenn mein Computer wieder mal „streikt“, brauchte ich nicht lange auf einen Retter zu warten. Das alles funktioniert vor allem durch unsere Verbindung per „Rundmail“, so dass auf  Angebote und Anfragen  sehr schnell reagiert werden kann. So eine  Nachricht kann aber auch ganz fröhlich und lapidar heißen:  „Lust auf Kaffee und Kuchen? 15 Uhr in der Gartenlaube!“ Wenn abends jemand gut sichtbar mit einer Flasche Wein in der Laube sitzt, bekommt man bald Gesellschaft.

Gemütliches Miteinander am Feuer (Foto: Manfred Eberle)

Im Büro des Generationenhofes hängt eine Liste mit diversen Angeboten, wer z.B. mal auf die Kinder aufpassen kann oder an einer Fahrradtour teilnehmen möchte bzw. schnell jemanden zum Arzt fährt. Aber auch eine Rundmail für allerlei Anfragen funktioniert bestens.

Schon zweimal, als wir in Landau wohnten, haben wir um den Tod eines lieben Mitglieds trauern müssen. Unsere bewegenden Gedenkstunden und die still brennenden Windlichter, um die wir uns abends im Garten versammelten, brachten uns einander sehr nahe.

Aber fünfmal durften wir auch mit großer Freude die Geburt eines neuen Kindes feiern. So entsteht durch das Mit-Freuen und Mit-Trauern und den vielen alltäglichen oder festlichen Begegnungen ein wertvolles Miteinander. Vor allem bei Menschen,  die vorher allein lebten.

Gemeinsames Singen – coronabedingt mit Abstand (Foto: Inge Kellersmann)

Der Wunsch, gemeinsam mit anderen Menschen jeglichen Alters – jedoch in den eigenen vier Wänden – zu leben, wird immer größer. Und der Bedarf an altersgerechtem, barrierefreiem  und gemeinschaftlichem Wohnraum steigt stets. Sei es mit den sog. Baugemeinschaften, als Genossenschaft oder in einem Beginenhof.

Wohnen in der Gemeinschaft ist für viele Menschen ein Gewinn, vor allem für Alleinstehende. Andere wiederum möchten – solange es geht – selbstbestimmt in ihrer gewohnten Umgebung leben. Vor allem für mich war das Leben in dieser Gemeinschaft zu eng geworden und so manche basisdemokratische Abstimmungen nervten auch meinen Mann. So sind wir nach fünf Jahren in meine alte liebe Heimat Ulm gezogen, haben wieder engere Kontakte zu den alten Freunden aufgenommen und werden offen für neue Beziehungen sein.

                                                                                                                     

Informationen:

Generationenhof Landau,  www.gehola.de

https://www.mehrgenerationenhaeuser.de/mehrgenerationenhaeuser/was-ist-ein-mehrgenerationenhaus

https://www.pflege.de/altenpflege/mehrgenerationenhaus