Auf einmal war ich „Begine“

Vom Leben in der gGmbH „Beginenhof Blaubeuren“

von Erla Spatz-Zöllner

Umzug aufs Land

Seit gut 15 Jahren bin ich nun schon im Ruhestand und wohne auf dem Land. Und das kam so: Nach 33 Jahren in Ulm beendete ich meine berufliche Tätigkeit Ende 2005. Ich zog zu meiner Partnerin in deren Haus auf der Schwäbischen Alb in einen Ortsteil 5 km oberhalb von Blaubeuren, in einen kleinen Weiler mit seinerzeit etwa 100 Einwohnern. Außer einem Briefkasten, einem Telefonhäuschen und einer Bushaltestelle gab es hier keine öffentlichen Einrichtungen und keine Geschäfte. Inzwischen existiert auch das Telefonhäuschen nicht mehr, und die Einwohnerzahl ist auf um die 80 gesunken. Aber der Bus fährt noch jede Stunde, außer in den Schulferien. Und es gibt kostenlose Fahrdienste, die die Bürgerstiftung Blaubeuren organisiert.

Gekommen, um zu bleiben

Ich hatte mir vorgestellt, etwa 10 Jahre hier zu leben, um dann wieder nach Ulm zu ziehen, wenn meine Freundin ebenfalls in Pension gehen würde. Es kam anders: Hier werden die Fensterscheiben nicht schwarz von den Autoabgasen – wie in der Stadt. Man ist nach wenigen Schritten vom Haus in der Natur, in den Feldern oder im nahen Wald. Hier oben ist es hell. Es gibt seltener Nebeltage, und bei Föhn sieht man die Alpen in der Ferne vom Säntis bis zur Zugspitze. Man hat keine Anfahrtswege für Spaziergänge, Radtouren oder zum Langlaufen. Freilich musste ich mich auch an eine nahe Hochspannungsleitung und diverse Windräder in Sichtweite gewöhnen. Aber das ist der Preis des Energiewandels, den ich gerne mittrage. Es gibt Milch und Eier vom Biohof vor Ort. Blaubeuren und Ulm sind nah genug zum sonstigen Einkaufen, Bummeln, um ins Kino und Theater zu gehen oder an anderen kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen. Im pittoresken Blaubeuren gibt es ein leistungsfähiges Krankenhaus, Arztpraxen und einen Bahnhof mit halbstündiger Verbindung ins 16 Minuten nahe Ulm. All dies bewog mich, im kleinen Wennenden auf der Schwäbischen Alb zu bleiben.

Neue Pläne

Etwa ab 2015 kamen Freundinnen von uns auf die Idee, auf unserem gemeinsamen gut 4000 m² großen Grundstück eine Wohngemeinschaft für alleinlebende ältere Frauen zu gründen. Bis dahin hatten wir zu dritt unser älteres Haus mit Nebengebäuden auf diesem Grundstück bewohnt und den Garten gemeinsam gepflegt. Überwiegend per Mundpropaganda warben unsere im Haus lebende Freundin und deren Partnerin jetzt für ihre neuen Pläne einer Frauenwohngemeinschaft. Meine Freundin und ich begleiteten das Vorhaben wohlwollend, aber noch aus Distanz. Es fanden sich schnell interessierte Frauen, und bei regelmäßigen Treffen über 3 Jahre kristallisierten sich allmählich konkrete Vorstellungen zur Realisierung des Projekts heraus, und man lernte sich kennen. Wir nahmen an allen Treffen teil. Zuletzt fanden wir die Idee so überzeugend, dass wir unsere Teilnahme zusagten. Wir wollten in einer Gemeinschaft alt werden und damit etwas tun gegen die Vereinsamung im Alter. Wir wollten bezahlbaren Wohnraum für ältere Frauen zur Verfügung stellen, die oft nur kleine Renten haben. Und wir wollten das Projekt in ökologischer Bauweise umsetzen.

 Der Beginenhof nimmt Gestalt an

Beginenhof im Winter (Bild: E.Spatz-Zöllner)

Von anfänglich bis zu 20 Interessierten blieben letztendlich 7 Frauen übrig, die den Plan in die Tat umsetzten. Das waren wir 3 Frauen, die schon im „alten“ Haus wohnten, und 4 neue Frauen. Wir 7 Frauen gründeten einen Hausverein (51%), der zusammen mit der Beginenstiftung Tübingen (49%) eine gemeinnützige GmbH (gGmbH), den „Beginenhof Blaubeuren“, bildete.

Den Namen „Beginenhof“ wählten wir in Anlehnung an die mittelalterlichen Beginen. Das waren alleinlebende Frauen, die in Gemeinschaft leben wollten und ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschafteten, meist durch wohltätige Dienste. Sie durften oder wollten nicht in ein Kloster eintreten, hatten aber einen kirchlichen Verwalter.

Wie die Beginen wollen wir in Gemeinschaft und trotzdem selbstbestimmt leben. Wir sind aber keine religiöse, sondern eine freie säkulare Gemeinschaft mit unterschiedlichen weltanschaulichen Überzeugungen.

 Der Bau beginnt

Beginenhof im Sommer (Bild:E.Spatz-Zöllner)

Ein Teil des Grundstücks wurde an die gGmbH verkauft, um dort vier kleine Häuser in Holzständerbauweise mit Luftwärmepumpenheizungen und Photovoltaik zu errichten. Die in einem Halbkreis stehenden Häuser verkörpern durch diese Anordnung die Gemeinschaftsidee des Projekts. Zwischen den neuen und alten Gebäuden befindet sich ein parkähnliches Gelände zur gemeinsamen Nutzung. Dank eines großen Privatdarlehens, weiterer Darlehen und privater und öffentlicher Spenden (Stadt Blaubeuren) brauchten wir keine Bankkredite aufzunehmen. Jede der vier neuen Frauen musste eine Einlage von 50.000 € einbringen. Diese Einlage wird bei Auszug oder Tod (an die Erben) erstattet. Einer Frau wurde die Einlage aus sozialen Gründen erlassen. Alle wohnen zur Miete, niemand erwirbt Eigentum. Die Häuser gehören der gGmbH. Mit den Mietzahlungen werden die Darlehen und Zinsen getilgt. Die Miete für die etwa 50 m² großen Häuser beträgt z. Z. 600 € monatlich warm.

Leben in der Gemeinschaft

Gemeinschaftshaus im Beginenhof (Bild: E.Spatz-Zöllner)

Im Juli 2019 war es so weit. Die Frauen konnten einziehen. Im gleichen Jahr verstarb leider eine unserer Gründerinnen, wenige Monate nach Bezug ihres Hauses. Dieser Schicksalsschlag brachte uns als Gemeinschaft noch näher zusammen. Seitdem meditieren wir jeden Morgen (Mo – Sa) gemeinsam 20 Minuten und tauschen uns anschließend über unsere jeweiligen Vorhaben aus. Seit 8 Monaten haben wir eine neue Mitbewohnerin gefunden, die aus Berlin zu uns gekommen ist. Auch wenn es für die Frauen meist nicht leicht war, ihre gewohnten, meist städtischen Lebensumstände zu verlassen und aufs Land zu ziehen, hat keine den Schritt bereut. Alle schätzen es, in einer achtsamen Gemeinschaft zu leben, ohne ihre individuelle Freiheit aufzugeben. Wir sind zwischen 62 und 80 Jahre alt. Wir entscheiden im Konsens. Wir unterstützen und helfen uns gegenseitig, aber wir können keine eigentliche Pflege übernehmen, sollte sie notwendig werden. Dazu müssten professionelle Kräfte engagiert werden. Wir treffen uns, um Spaß zu haben und Organisatorisches zu besprechen. Wir gehen häufig in unterschiedlichen Gruppen miteinander spazieren, essen zusammen oder treffen uns zum Spielen, Radfahren, Einkaufen, zum Feiern, um Vorträge zu hören, Filme zu schauen, um über Bücher zu diskutieren oder zum Tanzen. Im Sommer gehen wir zum Schwimmen und treffen uns zur gemeinsamen Arbeit im Garten.

Unsere Gemeinschaftsräume befinden sich in den Nebengebäuden des alten Hauses.

Durch die Anbindung an die Beginenstiftung Tübingen hoffen wir, unserem Projekt eine lange Lebensdauer zu ermöglichen.

Wohnen extrem im Beginenhof in Blaubeuren
Landesschau Baden-Württemberg vom 20.11.2010
über den Beginenhof
https://www.swrfernsehen.de/landesschau-bw/gemeinsam-alt-werden-im-beginenhof-in-blaubeuren-100.html