Geschwister

von Maria Schmelter

Ich lebe jetzt seit vier Jahren, mit meiner an Alzheimer-Demenz erkrankten Schwester, zusammen. Als Kinder waren wir nicht gerade ein Herz und eine Seele. Sie und unser ein Jahr älterer Bruder bildeten immer eine Einheit, zu der ich als drei Jahre jüngere Schwester nicht gehörte. Wann immer es möglich war, wurde ich ausgeschlossen.

Erst in der Pubertät, als in uns beiden der Wunsch, diesem Dorf den Rücken zu kehren, immer stärker wurde, entstand so etwas wie schwesterliche Solidarität, die ein Leben lang hielt.

Sie als die Ältere ging zuerst nach England und natürlich besuchte ich sie dort. Sie hatte für mich das Tor zur Welt geöffnet.

Wir sind sehr unterschiedliche Charaktere und lebten dementsprechend sehr unterschiedliche Lebensentwürfe. Ich war in Darmstadt sesshaft geworden und hatte eine Familie gegründet. Sie lebte noch weitere Jahre im Ausland und dann an verschiedenen Orten in Deutschland. Sie lebte allein, hatte aber an all ihren Lebensorten Freundschaften geknüpft, die sie begleiteten.

Ihre letzte Lebensstation war Hildesheim. Als ihr dort die Wohnung gekündigt wurde, schlug ich vor, ihr eine Bleibe in Darmstadt zu suchen, damit wir uns im Alter umeinander kümmern könnten. Wir suchten, wie sie es wünschte eine Wohnung in einem Wohnprojekt. Doch bevor  sie dort einziehen konnte, wurde die Krankheit deutlich. Es war zu Corona Zeiten und ich sagte, sie könne bei mir wohnen – und das war gut für uns beide.

Und so schließe ich meine Geschwisterbetrachtung mit einem Ausspruch von Kurt Tucholsky:

„Wilde Indianer sind entweder auf Kriegspfad oder rauchen Friedenspfeife – Geschwister können beides.“

So ist es bis heute.