von Maria Schmelter
Es gibt doch so ein Gefühl, nicht in diese Familie zu gehören. Das jedenfalls hatte ich. Aber ich war eine Hausgeburt und konnte nicht im Krankenhaus vertauscht worden sein. Ich hätte mir so sehr eine intellektuelle Herkunftsfamilie gewünscht, dachte, nur die haben das Rüstzeug, dass aus ihnen etwas werden kann. Das Buch „Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben“, hat die Perspektive etwas zurechtgerückt. Ben Furmann hatte das Buch 1999 geschrieben. Er hatte sich mit dem Mythos beschäftigt, dass eine schwierige Kindheit immer den Rest des Lebens überschatten würde. Pech gehabt.
Ben Furmann setzt eine Forschung dagegen, die die Lebenswege von Menschen untersuchte, deren Kindheit nicht leicht gewesen war, und stellte fest: etwa 1/3 scheitern, 1/3 entwickeln sich normal und 1/3 gehen gestärkt und resilient daraus hervor.
Der Glaube, zu diesem letzten Drittel zu gehören, ließ lange auf sich warten. Zwar hatte ich, aus bildungsfernem Milieu kommend, mit Hilfe eines Freundes, einen Platz an einer Fachhochschule bekommen, wo ich ohne Abitur studieren konnte. Aber im 1. Semester saß ich mit meinen Fachbüchern oft weinend im Park. Ich konnte sie einfach nicht verstehen , spürte aber, es müsse sich etwas Gewichtiges darin verbergen. Ich führte alles darauf zurück, dass ich kein Abitur hatte, denn meine Eltern hielten das für eine Fehlinvestition, nach dem Motto „Mädchen brauchen das nicht, sie heiraten ja doch“.
Aber eine Gabe hatte mir mein Elternhaus vermittelt, die ungeheuer nützlich war – Zähigkeit. Und so biss ich mich mit vielen Zweifeln durch.
Es wurde besser, als zu den theoretischen Inhalten praktische dazukamen. Daran hatte ich großes Interesse, eine erfahrene Praxis mit Hilfe der Theorie besser zu verstehen. Ich erinnere mich gut an das Buch “Asyle” von Irving Goffman, das mich verstehen ließ, warum ich während meiner Ausbildung zur Krankenschwester unter den unsäglichen Bedingungen in der Psychiatrie so gelitten hatte.
Und das ist eigentlich bis heute so geblieben, Theorien sind für mich nur dann hilfreich , wenn ich sie mit meiner Praxis verknüpfen kann, und es gibt auch heute noch hochgestochene Bücher, die ich mir nicht erschließen kann.
Heute kann ich verstehen, was meine Herkunftsfamilie mir an Gutem und an Hinderlichem mit auf den Weg gegeben hat.
Für mich hat sich der Buchtitel bewahrheitet: „Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben“, was ja nicht heißt, man solle seine Kindheit nachträglich schön tünchen, sondern, dass es darauf ankommt, aus dem, was man hat, etwas zu machen.
Dieses Werk wurde übrigens in die Liste der einhundert Meisterwerke der Psychotherapie aufgenommen.