Buchbesprechung von Ute Lenke
Aus dem vergeblichen Versuch, seinem 3jährigen Sohn die Weihnachtsgeschichte zu erzählen, entstand eine Vorlesungsreihe an der Münchener Universität, die seit 2002 als Veröffentlichung vorliegt. In dem hier besprochenen Taschenbuch von 2011 zeigt der Autor anhand der Geschichte vom Jahr Null als dem vermeintlichen Jahr von Christi Geburt bis in die Gegenwart den Bedeutungswandel der christlichen Familie.
Dem Bild der Heiligen Familie als innigem Familienidyll, wie sie regelmäßig zu Weihnachten dargestellt wird: treusorgender Vater, glückliche Mutter, gesundes Baby trotz widrigster äußerer Umstände – widerspricht der Autor anhand zahlreicher Beispiele aus der Geschichte und der Literatur. Die Rolle Josephs als Vater von Jesus wird ebenso hinterfragt, wie die Marias als „Muttergottes“. In der Auseinandersetzung mit den Theorien von Freud, Marcuse, Girard, Weber und Luther zeigt er, wie sich in der Folge im Laufe der Jahrhunderte das Familienbild und die Rollen von Vätern und Müttern gewandelt haben; wie in der Neuzeit der Übergang vom »Hausvater« im Sinne Luthers, dessen Autorität in einer Kette patriarchaler Mächte bis zu Gott reichte, zum Familienvater als Freund, Bruder und Bürger zu einem Grundpfeiler der bürgerlichen Ordnung des 19. Jahrhunderts werden konnte, bis schließlich in der Gegenwart der Wohlfahrtsstaat mehr und mehr die fürsorgenden Aufgaben des Familienvaters übernommen hat.
Was als väterlicher Versuch, dem 3jährigen Sohn die Weihnachtsgeschichte zu erklären, begann, endete in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung eines Literaturwissenschaftlers und Germanistikprofessors – nicht leicht, aber interessant zu lesen (und seinem Sohn hat er die Geschichte hoffentlich einfacher erklärt).
Bestellung:
Die Heilige Familie und ihre Folgen (Albrecht Koschorke, Fischer TB Ffm. 2011)
Über Albrecht Koschorke:
https://www.litwiss.uni-konstanz.de/germanistik/personen/personen-a-z/prof-dr-albrecht-koschorke/