Zugehörigkeit

von Michael Scheier

Zunächst eine kleine Geschichte. Ich habe mir als Student in den späten 1970er / frühen 1980er Jahren meinen Lebensunterhalt vornehmlich durch Taxifahren verdient. Wenn ich meine Schichten fuhr, kam es immer mal wieder vor, dass ich von Fahrgästen nach meiner Herkunft befragt wurde. Das waren vorwiegend deutschstämmige Männer, und sie fragten das mit mehr oder weniger Charme und mit unterschiedlichem Nachdruck. Ich habe dann oft erst mal nach dem Grund des Interesses gefragt; einem mir besonders sympathischen Fahrgast habe ich auch schon mal meine Geburtsstadt verraten. Aber das wollten die meisten nicht wissen, damit habe ich sie wohl eher frustriert. Es ging eindeutig um etwas ganz Bestimmtes: Es ging um meine Nationalität.

Vom Bedürfnis nach Zugehörigkeit, nach dem gemeinsamem Stallduft: davon kann sich wohl niemand ganz ausnehmen. Aber warum muss es ausgerechnet die nationale Zugehörigkeit sein? Ich fühle mich jedenfalls anderen Menschen nicht unbedingt näher, nur weil wir aus demselben Land stammen. Und es kann auch niemand von einem verlangen, die eigene Staatsangehörigkeit zu outen – schon gar nicht, wenn man sich persönlich nicht kennt. Sie gehört zu den im öffentlichen Leben geschützten Daten, die man nicht ohne besonderen Anlass Preis geben muss.

Ganz anders damals bei unserer Taxizentrale: dort durften sogar „deutsche Fahrer“ bestellt werden. Wenn Zugehörigkeiten benutzt werden, um Andere von der Teilhabe auszuschließen, geht mir die Sache mit dem gemeinsamen Stallgeruch eindeutig zu weit. Bezogen auf das Thema dieser Lerncafe-Ausgabe: Entwurzelung ist bei uns Menschen nicht unbedingt Schicksal, wir stellen die Situation auch schon mal aktiv her. So wie damals in Frankfurt am Main, als nicht-deutsche Taxifahrer-Kolleg_innen wegen ihrer Herkunft von Fahraufträgen ausgeschlossen wurden.

Auch heute noch wird die Herkunft gerne benutzt, um Mitbürger_innen besonders zu markieren, selbst wenn sie schon lange die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen: z.B. mit der Bezeichnung vom “Migrationshintergrund”. Wie sollen Menschen in Deutschland Wurzeln schlagen können, wenn sie sich immer wieder auf ihre Herkunft reduziert fühlen müssen? Wenn man sich wirklich für anderer Menschen Herkunft interessiert, kann man ja vielleicht erst mal eine kleine Vorgabe machen, indem man etwas von sich erzählt. Vielleicht auch von den eigenen Wurzeln. Ganz freiwillig. Dann wird es – für mich jedenfalls – erst richtig spannend…

Foto: Michael Scheier