Gut Ding will Weile haben? Ein west-östlicher Dialog

von Maria Schmelter und Maja Prée

Maria, geboren 1953, im Sauerland aufgewachsen im Bundesland Nordrhein-Westfalen

Maja, geboren 1954 in Freiberg, aufgewachsen in Zwickau und zeitweise Leipzig (jetziges Bundesland Sachsen), früher Bezirk Dresden und später Bezirk Chemnitz

Maria: Welche Veränderungen der Frauenrolle habe ich in meinem kleinen Leben – es währt jetzt 67 Jahre – am eigenen Leib erfahren?

Geboren im Jahr 1953, also 4 Jahre vor der Verabschiedung des Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wer hätte gedacht, dass man ein solches Gesetz als ein irgendwie demokratisches Prinzip verabschieden kann, ohne über Jahrzehnte dafür zu sorgen, dass es tatsächlich umgesetzt wird? Meine Mutter war Hausfrau und mit ihrer Arbeit im Haushalt mit vier Kindern und in der Landwirtschaft war sie mehr als voll ausgelastet. Ihr als begabter Schülerin war der weitere Schulbesuch und auch eine Berufsausbildung verwehrt. Ihr Vater war früh gestorben. Es gab kaum Geld und es musste jeder mithelfen, um die Existenz zu sichern.

Maja: Die Frage nach Veränderungen stellte ich mir auch. Allerdings kam diese Frage für mich erst viel später. Erst in den letzten Jahren habe ich darüber bewusst nachgedacht.

Ich wurde Ende 1954 geboren, als zweites von drei Kindern. Unsere Mutter war Hausfrau, zum Wesentlichen wohl durch die Krankheit unserer jüngsten Schwester begründet, die keine normale körperliche und geistige Entwicklung nehmen konnte. Unsere Mutter verstarb, als ich sieben Jahre war, an einer unheilbaren Krankheit. Ich war anscheinend ein aufgewecktes Kind, denn ich musste damals nur ein einziges Mal zur sogenannten Vorschule, in der bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten vor der Einschulung getestet wurden. Ob es damals schon genug Kindergartenplätze gab, weiß ich nicht mehr. Es gibt auch niemanden, den ich jetzt noch fragen könnte. Als unser Vater 1964 wieder heiratete, war die Bedingung unserer neuen Mutter, dass sie ihren Beruf weiter ausüben würde.

Unsere Jüngste lebte da schon in einem Pflegeheim, meine große Schwester und ich besuchten nach der Schule den Hort. Ich fühlte mich dort wohl.

Maria: Ich profitierte in meiner Schulzeit schon von der Bildungsexpansion, dem Ausbau der Schulsysteme in den 1960er Jahren. Meinem Wunsch, auf eine weiterführende Schule zu gehen, begegneten die Eltern zunächst ablehnend, „Mädchen heiraten ja doch“, gaben aber meinem Drängen schließlich nach. Ich durfte auf die Realschule gehen, der Besuch des Gymnasiums und ein anschließendes Studium wurden strikt abgelehnt. Einen Beruf zu erlernen und ihn bis zur Geburt der Kinder auszuüben war unstrittig. Ich entschied mich für den Beruf der Krankenschwester, hatte aber den Wunsch zu studieren nicht aufgegeben.

Maja: Mein Weg war recht geradlinig. Bei uns gab es die Polytechnische Oberschule, die im Normalfall bis zur 10. Klasse führte. Kinder mit Lernproblemen durften im Ernstfall die Schule schon nach der achten Klasse verlassen. Das war aber gar nicht so einfach. In der achten Klasse entschied sich auch, ob man den Abschluss der 10. Klasse machen würde oder auf die Erweiterte Oberschule (EOS) wechseln würde. Dort wurde im 12. Schuljahr das Abitur abgelegt. Ob Mädchen oder Junge spielte keine Rolle. Mein Vater musste aber wegen eines anderen Problems zum Schulrat. Als sogenanntes „Intelligenzkind“ – mein Vater war Dr. der Naturwissenschaften – mit nicht nur sehr guten Noten, war ich en Zweifelsfall. Ich wollte aber studieren und durfte dann doch die EOS besuchen. Als ich dann in der zehnten Klasse war, wurde die Möglichkeit der Berufsausbildung mit Abitur eingeführt, drei Jahre nach der zehnten Klasse. Ich hatte aber noch keinen richtigen Berufswunsch und blieb in der bisherigen Klasse.

Dass wir Mädchen irgendwann heiraten und Kinder bekommen würden, war normal. Inzwischen war aber das Kinderkrippen-und Kindergartennetz so stark ausgebaut, dass wir Mädchen uns darum keine Sorgen machten.

Maria: Ich profitierte von der im Rahmen der Bildungsreform größeren Durchlässigkeit des Bildungssystems und konnte, dank der Unterstützung eines guten Freundes, nach Beendigung meiner Ausbildung, ohne Abitur an einer Fachhochschule Sozialarbeit studieren. Ich habe so manchen Tag mit meinen Büchern weinend im Park gesessen und gedacht „das schaff´ ich nie“, aber ich habe es geschafft.

Maja: Auch hier hatte ich es einfacher. Manche machten an der Abendschule ihr Abitur, andere studierten neben ihrer Berufstätigkeit im Fernstudium. Ich ging nach dem Abitur direkt zum Studium. Unser stellvertretender Direktor hatte an der EOS eine gute Analyse der vorhandenen Studienplätze und der benötigten Leistungen erarbeitet. Damals wurden viele Studenten in technischen Studienfächern immatrikuliert. Mir gefiel das, da Mathematik eines meiner Lieblingsfächer war. 2/3 der Bewerber auf diese Fächer waren weiblich. Leider gab es dann aber vor allem in den ersten beiden Jahren auch viele Abbrecher(innen), die sich das anders vorgestellt hatten.

Für uns war eine Geburtenregelung mit Hilfe der Pille leicht möglich. Ich wollte Kinder. Und man wusste auch in den Betrieben, in die wir vermittelt wurden, dass viele von uns in den ersten Jahren nach dem Studium Kinder bekommen würden. Entsprechend wurden uns dann nicht ganz so verantwortungsvolle Aufgaben zugeteilt oder wir kamen in ein Kollektiv, in dem die Übernahme der Aufgaben durch Kollegen/Mitarbeiter möglich war.

Maria: Nach Erreichen des Studienabschlusses wollte ich den Einstieg in den Beruf schaffen. Ich erhielt eine Stelle in einem Mütterkurheim. Als ich dort eine Diskussionsrunde zum Thema „Gleichberechtigung“ vorbereitete, stieß ich darauf, dass die Gleichberechtigung zwar seit 1957 gesetzlich verbrieft war, aber bis 1977 durften Frauen – mit Zustimmung des Mannes – nur arbeiten, wenn es mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war. Das hat mich mit großem Zorn erfüllt. Ich habe noch den männlichen Kommentar im Ohr: „Meine Frau muss nicht arbeiten, ich verdiene genug.“

Maja: Lach. Das ist nun etwas, was ich mir gar nicht vorstellen konnte. Wir Frauen hatten studiert, wir wollten auch „unseren Mann stehen“ und arbeiten. Da gab es die Frage der Erlaubnis durch den Ehemann gar nicht. Ich war 1977 mit dem Studium fertig, hatte noch 1976 geheiratet, bekam sofort eine Arbeit und ging allerdings nach 2 Monaten in den Schwangerschaftsurlaub.

Maria: Als ich 1982 heiratete, gab es die Diskussion um den Familiennamen. Ich gab mich, wie viele Frauen damals, mit dem Doppelnamen zufrieden, allerdings erst nach zähen Diskussionen.

Dank der Pille konnte ich aber über den Zeitpunkt der Schwangerschaft bestimmen. Es war für mich immer klar, dass ich Kinder wollte und dass ich Familie und Beruf miteinander vereinbaren wollte.  Die Chancen dazu waren schlecht. Nach der Geburt des 1. Kindes musste ich meine Stelle aufgeben. Meine Stelle erforderte Schicht- und Wochenendarbeit und die meines Mannes auch, und das hätten wir mit der Kinderbetreuung nicht koordinieren können, außerdem hätte der Arbeitgeber meine Stelle nicht geteilt. Das Recht auf Teilzeitarbeit ist erst seit 2001 gesetzlich verankert.

Ich war arbeitslos, bekam aber nach einigen Monaten eine befristete Vollzeitstelle angeboten und gab mein Kind mit schlechtem Gewissen bei einer ganz liebevollen Tagesmutter ab. Dazu verbrachte es die Vormittage in einer selbstorganisierten Kindergruppe. Die dort entstandenen Freundschaften sind noch heute ein ganz starkes Band sowohl zwischen den erwachsenen Kindern als auch zwischen den Eltern.

Der Preis für diese neue Rolle als berufstätige Mutter, für die ich ja auch kein Vorbild hatte, war für mich sehr hoch. Ich wurde ein 2. Mal schwanger und blieb mit viel Freude zu Hause, um mich meiner „eigentlichen Rolle“ zu widmen. Nach 3 Jahren bekam ich für das 2. Kind nach zähem Suchen einen Kindergartenplatz, – den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab 3 Jahren gibt es erst seit 2013.

Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit erhielt ich wieder eine befristete Vollzeitarbeitsstelle. Und wieder hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich immer als Letzte mein Kind abholte, das sichtlich vergnügt allein in der Riesensandkiste spielte.

Maja: Der Name spielte für mich keine Rolle. Auch den Krippenplatz bekam ich nicht gleich nach Ablauf des Mutterschutzurlaubes von 20 Wochen nach der Geburt des ersten Kindes. Immer im September rückten die Kinder in die größere Gruppe auf, und dann gab es auch die Chance auf einen Krippenplatz. Beim zweiten Kind konnten wir schon eine bezahlte Freistellung für ein Jahr Anspruch nehmen. Meine Kinder sind beide gerne in die Kinderkrippe, später in den Kindergarten gegangen und ich hatte nie ein schlechtes Gewissen. Sie haben in der Gruppe viel gelernt und die Erzieher waren gut ausgebildet.

Wichtig für uns war, wir konnten immer wieder in unseren bisherigen Betrieb zurück. Zwar wechselten meine Arbeitsaufgaben etwas, aber das war letztendlich später sogar ein Vorteil. Denn ich lernte durch die unterschiedlichen Aufgaben, mich um verschiedene Problemlösungen zu kümmern

Maria: Wenn ich zurückblicke, hat sich einiges verändert, dabei hatte die Elternzeit für Väter und Mütter, die es seit 2007 gibt, einen großen Einfluss. Aber die Ungleichheit zeigt sich noch immer. „Im Jahr 2020 stieg der Anteil der Väter, die Elternzeit beantragten, auf knapp 25%, aber während Frauen im Schnitt 14,5 Monate Elterngeld beziehen, sind es bei Männern nur 3,7 Monate.“ (nach faz.net vom 25.3.2021)

Bin ich trotz meines Alters immer noch zu ungeduldig ? – Gut Ding will Weile haben?

Maja: Ich gebe Maria recht, die Gleichberechtigung bei Elternzeit gab es bei uns damals auch nicht. Und auch jetzt lässt sie noch zu wünschen übrig. Ich bin froh, dass ich meine Kinder jung bekommen habe, und es war für mich selbstverständlich, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Über vieles kann man noch reden. Fakt ist, ich habe das Glück, auch nach 89 fast durchgängig gearbeitet haben zu können und damit eine gewisse finanzielle Sicherheit zu erreichen.