von Beate Seelinger
Verheiratet war ich nie. Vielleicht, weil Männer und Frauen so anders sind. Vielleicht hatte es aber auch ganz andere Gründe. Männer durfte ich jedoch kennen lernen, und ich darf auf ein ganzes Kaleidoskop von Freunden und Bekannten zurückblicken. Und auch Freundinnen traf ich im Laufe meines Lebens einige. Und auch ich stellte fest: Frauen sind anders – und Männer auch.
Dennoch fällt es mir schwer, in meinem Sammelsurium der Bekanntschaften einen gemeinsamen Nenner zu finden, unter dem ich Frauen an sich und Männer an sich in bestimmten Wesenszügen festlegen könnte. Jede/r von diesen Frauen/Männern erwies sich als ein ganz eigener, spezifischer Charakter. Ganz speziell, ganz individuell. Selbstverständlich. Und im Folgenden möchte ich diese – eigentlich Binsenweisheit – erst einmal an ein paar Beispielen aufzeigen.
Ich will mich bei jedem der angerissenen Charaktere auf vier (natürlich an sich völlig unzureichende) Wesensmerkmale beschränken. Der erste Aspekt, den ich immer als sehr aussagekräftig empfinde, soll die Art sein, die Wohnung zu gestalten. Dann weiterhin, ein Wesensmerkmal, das den Typ bestimmt. Zusätzlich die Themen, die diesen Charakter bewegen. Und zum Schluss, ein paar treffende Eigenschaften, die an ihm immer wieder besonders hervorstechen.
Die Frauen
Da gab es zunächst einmal – nennen wir sie Caren. Carens Wohnung – eine Einladung zum Schwelgen in Kreativität und Stil. Originell, unverwechselbar, stilsicher. Sie einzurichten – eine Lebensaufgabe. Unvergleichlich.
Caren, die Urmutter von fünf Kindern. Ihre Jungs und Mädels, ihre Familie – das Zentrum ihres Denkens und Fühlens, ihr Universum. Caren, der Familienmensch, ausgerüstet mit Häuslichkeit und Aufopferungsgabe. Von daher inspiriert auch ihre Themen: Kinder, Kirche, Küche – die klassischen K`s. Und darin Fachfrau in jeder Beziehung.
Es klingt nach Klischee, aber Konservatismus und Moral passend dazu als hervorstechende Eigenschaften, grenze ich sie gegen die anderen Charaktere in meinem Bekanntschaften-Spektrum ab. Eine Vollblutfrau, die sich abzugrenzen weiß.
Dann wäre da – hier heißen wir sie Frauke. Ihre Wohnung – ein gepflegtes bis ungepflegtes Chaos. Die Absicht aufzuräumen, ein ständig wiederkehrendes Thema, ein running gag, den niemand mehr ernst nimmt. Regale, die überquellen, und Topfpflanzen, die sich in diesem Klima extrem wohlzufühlen scheinen. Gewöhnungsbedürftig, aber trotzdem geht man gerne hin.
Denn Frauke zählt, wenn auch innerlich und äußerlich eher Chaotin, zu den Genusswurzeln. Ihre Formen sprechen Bände von heißen Schokoladen mit Sahnehaube im Winter und Erdbeerbechern im Sommer. Verwöhnungen dieser Art bietet sie auch überschwänglich an. Und schon deswegen fühlt man sich wohl bei ihr.
Fraukes Thema – und das einzige – Psychologie. Ein Thema, das immer etwas hergibt. Jedoch, da sind auch ihr schauspielerisches Talent, ihr Witz und Esprit. Ihre komödiantischen Einlagen lassen die Gäste weinen vor Lachen. Sie kommt aus dem Rheinland und könnte innerlich und äußerlich Trude Herr Konkurrenz machen. Vielleicht ist es auch ihr Wissen um die Psychologie, das sie so offen macht. Humor und Herzlichkeit sind oft ein Paar. Frauke lädt ein mit Haut und Haaren. Innerlich und äußerlich. Frauke umarmt.
Wir hätten da noch Candy, wie wir sie nennen. Ihre Großraumwohnung – wertvoll, stylisch, modern mit Touch zur Originalität. Zu Weihnachten hängen große Spiegelsterne und Glitzerkugeln, die sie aus dem Fundus des Theaters herbeigezaubert hat, von der Decke. Einem begabten, befreundeten Künstler hat sie Werke abgekauft, um ihm über finanzielle Durststrecken zu helfen. Man sieht sich um in Candys Wohnung. Ihr Mann ist Tänzer, und das Künstlerische sticht überall hervor.
Candy ist die Lady unter den Typen meiner Frauensammlung. Sie trägt Giftgrün und Sonnengelb und arbeitet in der kulturellen Szene. Sie gilt als – nicht Emanze – aber emanzipiert. Sie spricht mit ausladenden Gesten. Trägt weinroten Lippenstift. Und zum dritten Mal verheiratet ist sie auch.
Kultur und Tanzen, wie könnte es anders sein, hat sie sich als Hobbys gewählt. Sie pflegt nebenher ihren Dachgarten – mit Erfolg – und lädt darauf zum Candle Light Dinner an lauen Sommerabenden ein.
Candy, der Paradiesvogel, zählt zu den Gebildeten mit ihrem Charme und mit ihrem Anflug von Verführungskunst. Candy fällt auf und besticht. Man bleibt an ihrer äußeren Erscheinung hängen, wenn man sich an sie erinnert. Und an ihrem kollernden Lachen.
Da gäbe es noch Judith mit ihrer experimentfreudigen Wohnung, die gemäßigte Emanze, mit Vorlieben für Kino und Gruppenerfahrungen, die sich als streitbar und extrem selbständig erweist. Und man hätte da noch Marga, ohne Interesse überhaupt an einer Wohnungseinrichtung. Die noch immer in den Möbeln ihrer Mutter lebt. Als Kontakttausendsassa, der auch keine Wohnung braucht. Immer für irgendjemanden kreativ gestaltend und werkend, Hans Dampf in allen Gassen, in allen Eventualitäten verfügbar und über die Maßen sozial engagiert. Ach, es gäbe noch einige unter meinen Frauen, die man solchermaßen abrissmäßig beschreiben und charakterisieren könnte! Und jede wäre dann etwas ganz Einzigartiges.
Die Männer
Ja, und dann wären da auch noch die Männer. Henning, sagen wir einmal, wäre da zu nennen. Zum Thema Wohnung: einfach keine Idee. Ein paar Sessel, ein Klappbett und ein Kunststofftischchen. Eine Weltkarte an der Wand. Die Persönlichkeit bleibt außen vor – man könnte sich ja verraten.
Typ: Politischer Mensch. Alles sieht er durch die Augen der Politik. Auch private Beziehungen werden so taxiert. Schon in jungen Jahren stand das Parteibuch fest, und das blieb ein Leben lang in allen Höhen und Tiefen unantastbar. Und mit dem Parteibuch auch der Lebensplan.
In seiner Freizeit spielt er Tennis und besucht politische Veranstaltungen. Dort echauffiert er sich. Im Theater schläft er ein.
Henning neigt zu Cholerik, ist natürlich diskussionsstabil, vielleicht ist er ein Angry Young Man gewesen und geblieben. Henning ist nicht einfach, jedoch er kann ein verlässlicher Freund und Ehemann sein, wenn man mit seinen Zornausbrüchen leben kann.
Dann hätten wir da noch Florian – nennen wir ihn einmal so. Florian lebt in einer rudimentären Einrichtung. In der Stehlampe die nackte Birne, Regale aus der Linie „Basics“, von allem nur das äußerst Notwendige. Man muss sich eine Jacke überziehen, wenn man ihn besucht – egal ob Sommer oder Winter – man fröstelt in seinen Räumlichkeiten.
Florian ist ein vergeistigter und brotloser Gelehrter, der Psychologie und Philosophie studiert hat. Ihn haben die Werte der materiellen Welt nie interessiert. Er hat Hobbys, in denen er sich so gut auskennt wie in seinen Geisteswissenschaften: Musik und Comics. Er erklärt dir die Psychologie eines Donald Duck genauso wie die Phänomenologie Husserls. Man ist gerne mit ihm zusammen, jedoch sein Umherstreifen in seinen geistigen Welten macht ihn ein Stück beziehungslos, beziehungsunfähig, bindungsunfähig. Man liebt ihn wegen seiner Sensibilität, aber man sollte zum Thema Beziehung nicht zu viel von ihm erwarten.
Wir hätten da noch – wie wir ihn nennen – Narder. Ein Exot aus der weiten Welt. Seine Wohnung – ein geschmackvoller Mix aus Moderne und Landestypischem. Orient trifft Okzident. Einladend, vielsagend.
Seines Zeichens Naturwissenschaftler und Dozent. Nicht zugeneigt Gesprächen über Persönliches. Mehr der Dozent auch im persönlichen Diskurs. Jedoch interessant. Und gescheit. Man trifft ihn gerne in der Sauna und im Restaurant. Er muss sich fachlich auf dem Laufenden halten, so bleibt keine Zeit für ein ausgeprägtes Hobby.
Narder ist geschieden. Die Trennung hat ihn vielleicht geprägt. Auch er ist seltsam beziehungslos. Und auf der Suche, immer auf der Suche. Vielleicht auf der Suche nach der verlorenen Heimat…
Reinhard, wie wir ihn nennen, wohnt zwischen nostalgischen Versatzstücken zusammen mit seiner Katze. Ein in seiner ersten Berufung unglücklicher Ingenieur, der voller Pläne zur lukrativen Selbständigkeit steckt. Bei den häufigen Treffen mit Freunden beim Grillen im Garten dominieren Gespräche über die baldige Unabhängigkeit. Ansonsten wird im verwilderten Grün gechilled. Liebstes Hobby: Nichtstun. Und Träumen – von Freiheit.
Reinhard ist Freundschafts- und Beziehungshüpfer. Er wirkt durch sein attraktives Äußeres. Und ist von daher auch ein bisschen eitel. Innen und außen. Seine Katze liebt ihn und seine temporären Freunde auch.
Es bliebe noch – Jan genannt – der Maler. Statt des erwarteten künstlerischen Chaos` bewohnt er ein zwanghaft aufgeräumtes Appartement. Hier liegen die Bleistifte auf Kante, und der Besucher wird gebeten, sich wegen der Nachbarn ruhig zu verhalten. Jan malt von der Technik her genial, aber erfolglos. Seine Berufung wurde sein Hobby, dazu kam dann noch die klassische Musik. Jan ist ein wenig zwanghaft und hat einen kleinen Tick. Er hat einen haarscharfen Intellekt und einen etwas skurrilen Humor. Und wen er sich zum Freund sucht, dem ist er treu.
Typisch Frau – typisch Mann?
So weit ein Einblick in die bunte Mischung meiner Bekanntschaften. Es gab noch einige, die man nicht weniger individuell im Charakter anreißen könnte. Alle sind anders. Und das ist mein Punkt: Nicht nur Frauen und Männer sind anders – jede/r ist anders. Manchmal, wenn ich genervt bin, entfährt es mir auch – natürlich: typisch Mann! Typisch Frau! Jedoch, was sagt das aus? Auch ich habe in Ansätzen jeweils gemeinsame Wesenszüge unter Frauen und unter Männern festgestellt. Doch ich wehre mich dagegen und ich versuche mir abzugewöhnen, wirklich und im Ernst von den Frauen und den Männern zu sprechen. Im Englischen bezeichnet das Wort „scrutinize“ „eingehend prüfen“, „durchleuchten“. Und wäre es nicht toll, im Idealfall in diesem Sinne an einen Charakter heranzugehen? Man müsste sich auf ihn einlassen, egal, ob Mann oder Frau, man müsste sich faszinieren lassen, von den Farben einer Persönlichkeit – auch wenn es Gefahren birgt – damit sich die Verallgemeinerungen in Nichts auflösen. Was dann bliebe, wäre ein Individuum. Betonte man das Einzigartige, verschwämme der Einheitsbrei der Vorurteile und Kategorisierungen. Es wäre zu ärgerlich, wenn wir uns zugunsten von Generalisierungen nicht mehr auf die bunten Steinchen der Begegnungen im Lebensmosaik einlassen könnten und alles in den Schattierungen zweier Farben untergehen würde. Ich möchte mich immer wieder überraschen lassen von Paradiesvögeln und grauen Mäusen, von Hausmütterchen und Emanzen, von Kraftprotzen und sensiblen Nachtfaltern, von Kämpfern und Lethargikern. Und wenn ich wirklich bei diesem Vorsatz bliebe, so werde ich – hoffentlich – am Ende meines Lebens auf ein wunderschönes, buntes Lebensmosaik blicken können und dabei sicher – lächeln.