von Peter Schallock
Sicher erinnern Sie sich an den Refrain des vor Jahren ziemlich erfolgreichen Grönemeyer-Liedes. Hinter hämmernden Rhythmen verbarg sich eine durchaus tiefsinnige Frage. Die, Sie ahnen es vielleicht, gar nicht so einfach zu beantworten ist.
Früher war eben alles anders. Rätselhaft orakelt mein Freund Egon während unserer monatlichen Stammtischrunde mal wieder über das ewige Thema „Mann und Frau“. Zusätzliche Erklärungen gibt es keine, aber alle nicken. Man scheint sich einig.
Dabei unterscheidet sich unsere kleine Runde kaum von denen früherer Zeiten. Vier Männer und eine Frau, alle im Rentnerdasein, die sich zu einem gemütlichen Plausch bei deftiger Küche und einigen Gläsern Bier oder Wein treffen.
Lebensläufe, wie sie in unserer Gesellschaft bis vor gar nicht so langer Zeit überwogen. Zumindest auf dem platten Land. Männer mit ordentlichem Beruf als Hauptverdiener. Familie, Häuschen, Kinder, alles wie gehabt. Die Ehepartner blieben vorübergehend oder ganz zu Hause, um sich um Haushalt und Nachwuchs zu kümmern. Vielleicht verdienten sie später ein wenig „dazu“.
Gut, unsere weibliche Begleitung bildet mit Studium und gutem Job die Ausnahme. Aber Ausnahmen bestätigen ja die Regel und waren zumindest früher auf bestimmte Berufe begrenzt.
Aber eben nur früher. Da bildet unsere Runde wieder keine Ausnahme. Unsere Töchter haben alle eine akademische Ausbildung und arbeiten in gutbezahlten Jobs – als Zahnärztin, Biologin, Betriebswirtin. Nur noch Hausfrau und Mutter sein? Völlig abwegig, käme wohl als ziemlich erstaunte Antwort.
Und was jetzt?
Geschlechterrollen waren sehr lange sehr klar. Jedenfalls in unseren Breiten. Die Unterteilung in „schwaches und starkes Geschlecht“ schien ja irgendwie begründet. Völker, in denen heute ein Matriarchat herrscht? Gibt es vielleicht noch in irgendwelchen unentdeckten Winkeln, die unserer Zivilisation verborgen blieben. Aber ansonsten: Fehlanzeige. Heim, Herd und Kinder, das blieb lange Zeit die Domäne des weiblichen Geschlechts. Da hielten wir uns raus. Schließlich wissen wir, was wir besser können. Das bedeutete vor allen Dingen, da draußen, in der rauen Welt, Leistung zu erbringen, um den Lebensunterhalt unserer Familien zu sichern.
Und jetzt? Der Mann hat als Haupternährer und Haushaltsvorstand, und damit verbunden als Herr im Haus – ausgedient? Alles nur noch nostalgisches Klischee, längst überholtes Rollendenken, mehr nicht?
Vielleicht haben Sie recht, so ganz sicher scheint mir das allerdings nicht zu sein. Egal: Bleibt die Frage, wie wir Männer damit umgehen. Wenn das typisch „Männliche“ nicht mehr da gebraucht wird, wo es immer unverzichtbar schien.
Aber was macht dann überhaupt noch den Mann aus? Nur noch eine bestimmte Physis, Muskeln und Körpergröße, ohne wirklich nennenswerte Eigenschaften, die ihm doch früher halfen, den heimischen Familienorganismus zu leiten?
Spötterinnen spotten, der Mann fürchte, seinen Chefsessel am Küchentisch zu verlieren. Und seit Jahren erzählen uns Soziologen, das Gebäude der männlichen Identität sei ziemlich morsch geworden.
So mancher männliche Zeitgenosse scheint angesichts der andauernden Diskussionen durchaus genervt, fühlt sich als Mann neuerdings gar diskriminiert und zunehmend ungerecht behandelt.
Frauen kommen gewaltig,
Meinte einst eine feministisch angehauchte Sängerin namens Ina Deter. Statistiken scheinen ihr heute recht zu geben. Frauen holen auf, wenn auch hier und da gemächlich. Mädchen werden oft früher eingeschult als Jungen. An Gymnasien gibt es mehr Mädchen, an Hauptschulen mehr Jungen. Der größere Teil der Studienanfänger und Absolventen ist heute weiblich.
Fast schon zwangsläufig wird gefordert, auch in Beruf und Politik müssten Frauen auf den vorderen Rängen häufiger vertreten sein. Wobei Deutschland im internationalen Vergleich laut Statistik überhaupt kein gutes Bild abgibt. Muss die Politik da etwa handeln? Oder doch die Finger davon und allem seinen Lauf lassen?
Immerhin: Wir haben seit 2005 eine Kanzlerin. Da kann nicht mal Schweden mithalten, ein in Fragen der Emanzipation eigentlich sehr fortschrittliches Land. Dort gab es noch nie eine Regierungschefin. Bei den Nachbarn im Westen, Süden oder Osten erst recht nicht oder höchstens ganz kurz, mal zwischendurch.
Andererseits: Wie gehen wir damit um? Frau Merkel wurde, vermutlich von frustrierten Herren, irgendwann das Etikett „Mutti“ verpasst. Regierende Männer dagegen bezeichnen wir gerne respektvoll als Landesväter. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, dass Helmut Kohl oder Gerhard Schröder irgendwann „Vati“ genannt wurde.
Alte weiße Männer und junge Kanzlerkandidatinnen
Überhaupt: In der Politik tobt der Geschlechterkampf. Die Grünen haben jetzt eine Kanzlerkandidatin, Annalena Baerbock. Sofort hieß es: Die wurde nur gekürt, weil sie eine Frau ist! Ob Armin Laschet nur Unions-Spitzenkandidat wurde, weil er ein Mann ist? Ach halt, der hatte ja gar keine weibliche Konkurrenz zu fürchten.
In der Presse lese ich, die grüne Frontfrau sei verstärkt Ziel von Hass- und Wutattacken. Dass sie ein perfektes Feindbild abgäbe? Für wen?
Natürlich fallen einem sofort die „alten, weißen Männer“ ein. Deren Partei – den Namen kennen Sie – tagte vor kurzem in Dresden. Angeblich gab es dort Forderungen, der Erwerb von Waffenscheinen müsse erleichtert werden. Und in der Bundeswehr müsse man den soldatischen Geist stärken. Einer der ruppigsten Akteure der Partei meinte vor Jahren, unserem Lande fehle es an Männlichkeit. Was er damit meinte, will ich gar nicht wissen.
Würde mit zunehmendem Alter nicht der Testosteronspiegel des Mannes zur Neige gehen, hätte man zum Zeitpunkt des Parteitages vermutlich eine geballte Konzentration des Sexualhormons in der örtlichen Atmosphäre gemessen.
Selbstverständlich verallgemeinere ich. Nur relativ wenige ältere Männer, ich bin ja auch einer, teilen derart merkwürdige Ansichten. Andererseits gibt es auch zahlreiche „alte weiße Frauen“, die der betreffenden Partei zustimmen würden. Glauben sie doch, dass plötzlich der von ihnen gewollte Lebensweg im Nachhinein als falsch entlarvt und damit entwertet sei. Dabei geht es gar nicht um Bewertung, sondern, ich erinnere an meinen Freund Egon, schlicht darum, dass heute vieles anders ist. Nicht unbedingt besser oder schlechter.
Aber genug der Politik. Es ist Wahljahr, und wahrscheinlich wird noch bis zum Umfallen über solche Themen gestritten.
Zugegeben: Vielleicht glauben Sie, dass Sie den Job, für den Sie sich irgendwann mal beworben hatten, nur deshalb nicht bekommen haben, weil eine Frau wegen irgendeiner Quote oder, schlimmer noch, wegen ihrer hübschen Beine bevorzugt wurde. Oder dass Sie, umgekehrt, in die Röhre gucken mussten, weil ein Mann für den begehrten Job grundsätzlich besser geeignet sein sollte. Dann hatten Sie natürlich allen Grund, so richtig sauer zu sein!
Neue Männer braucht das Land?
Das Rad lässt sich nicht neu erfinden. Das Leben, so wie es gestern war, ist es heute ein anderes, und das morgen zweifellos erst recht.
Das sieht man natürlich auch in der TV-Realität. Sicher erinnern Sie sich noch an die Lindenstraße. Ich war immer verblüfft, wie emanzipiert dort viele Männer waren. Jawohl, Sie haben richtig gehört, emanzipiert. „Ich kann uns heute Abend was Gutes kochen!“ hieß es bei Alex oder Klausi. Wann und wo die das wohl gelernt haben? Man traf sich zum Festessen in der geschmackvoll eingerichteten Männerwohnung, während in Mutter Beimers altmodischer Küche ständig nur das Spiegelei in der Pfanne brutzelte. Natürlich gab es auch den treusorgenden, alleinerziehenden Vater und irgendwann auch die Transgender-Persönlichkeit. Daneben jede Menge politisches Zeug.
Die Lindenstraße gibt es nicht mehr. Die Einschaltquoten fielen angeblich irgendwann steil. Hat zu viel gesellschaftlicher TV-Wandel die Zuschauer überfordert, schlicht ermüdet? Nun gut, die Lindenstraße war angeblich eher bei Frauen beliebt. Wir Männer bevorzugen noch immer die Sportschau und besonders jenen Sport, bei dem Männer unter sich mit einem Ball spielen. Auch Frauen machen das, aber eben weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Trotzdem: Manches, was in der Serie gezeigt wurde, empfand ich als gar nicht so schräg. Sahen wir dort, wenigstens in Ansätzen, auch jenen „Neuen Mann“, der sich in Haushaltsdingen auskennt, mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen möchte, dem Beruf nicht mehr uneingeschränkten Vorrang einräumt – eben auch mehr Partner als Familienoberhaupt ist?
Den Mann, der seine „Rolle“ neu schreibt? Was natürlich auch die Bereitschaft der Partnerin voraussetzt. Wenn es beispielsweise um die eigenen Kinder geht, fühlt Frau sich vielleicht zuweilen dann doch „von Natur aus“ als etwas besser geeignet. Diskutieren Sie mal mit einer Hubschraubermami, was gut für Kinder ist. Da ist es wahrscheinlich einfacher, dem Säbelzahntiger, den Sie ja erst mal finden müssen, eine Fremdsprache beizubringen.
Trotzdem: Längst ist eine neue, gewollte oder einfach notwendige Aufgabenteilung in vielen Familien Alltag. Manchmal aus finanziellen Gründen, weil beide Partner Geld verdienen müssen. Oder weil weder Mann noch Frau das Leben ihrer Eltern führen wollen.
Ein neuer Alltag, der deutlich macht, dass der Mann auch ein Mann sein kann, wenn er nicht länger seinen gestrigen Vorbildern nacheifert.
Weil, wie mein Freund Egon so klug wusste, heute eben alles anders ist. Männer eingeschlossen.
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