Vom Glück der Freundschaft

von Maria Schmelter

Wie entstehen Freundschaften, was bedeuten sie für unser Leben und wie werden sie gepflegt?

Als das Thema Freundschaft für diese Ausgabe des Lerncafes festgelegt wurde, habe ich gesagt, ein tolles Thema, da bin ich eine Expertin. In der Tat, ich pflege viele Freundschaften, die ich im Laufe des Lebens erworben habe. Ich machte mich also daran, darüber nachzudenken, wie die verschiedenen Freundschaften entstanden sind.

Für diese Reflexion war es hilfreich, Wilhelm Schmids Buch „Vom Glück der Freundschaft“ zu Rate zu ziehen. Er schreibt darin, dass man in der vormodernen dörflichen Welt mehr oder weniger mit allen befreundet sein sollte (vgl. a.a.O. Seite 7). Ich bin in einem Dorf aufgewachsen. Als Heranwachsende wurde es mir zu eng. Aus der Lebenserfahrung im Dorf habe ich aber vieles in die Stadt mitgenommen. Solange ich im Dorf lebte, hatte ich nur eine Freundin, aber ich kannte ja alle und alle kannten mich. Freundschaften wurden erst in der Stadt wichtig, um nicht der Anonymität anheimzufallen.

Schmid unterscheidet in seinem Buch verschiedene Arten der Freundschaft.  Sprechen möchte ich „…von der wahren Freundschaft, die fern von jedem Kalkül ist, um die eigene Seele berühren zu lassen von Anderen und umgekehrt wiederum ihre Seele zu berühren“ (a.a.O. S. 12). Und weiter heißt es: „Wahre Freundschaft trägt ihren Zweck in sich selbst: den Anderen einfach nur zu mögen und gerne mit ihm zusammen zu sein“ (a.a.O. S. 25).

Ich begann Freundschaften in allen Lebensabschnitten zu sammeln. Es waren in fast allen Fällen gleichgeschlechtliche Freundschaften, weil man dabei von einer ähnlichen Form des Denkens und Fühlens ausgeht und die Irrungen und Wirrungen der Liebe keinen Raum haben.

Wie entstehen Freundschaften?

Bei allen Arbeitsstellen habe ich Freundinnen gefunden und die Freundschaft über das Ende der Arbeitsbeziehung hinaus gepflegt. Es war immer die Freundschaft zu Einzelnen. Wie wählte ich aus? Die, die zu Freundinnen wurden, mussten einige wichtige Kriterien erfüllen: Sie mussten offen, vertrauenswürdig und sympathisch sein, sodass der Wunsch entstand, mehr von ihnen zu erfahren.

Freundschaften entstanden auch in Lebensumbruchs-Situationen, so als wir nach Geburt der Kinder eine Kindergruppe gründeten, in der diese wechselseitig betreut wurden. Dass sich daraus für die Kinder Freundschaften fürs Leben entwickelten und auch eine Freundschaft der Eltern bis heute besteht, das ist ein Glücksfall.

Eine Freundschaft entstand bei einem Austausch mit einer Kirchengemeinde in der DDR. Die Frau, bei der ich wohnte, eröffnete mir den Blick für das ganz andere Leben in diesem Gesellschaftssystem. In diese Freundschaft wurde auf beiden Seiten die ganze Familie eingebunden, und sie hat auch nach 30 Jahren Wiedervereinigung nichts von ihrer Substanz verloren.

Als meine erwachsenen Söhne das Haus verließen und mich als unfreiwilligen Single zurückließen, da wählte ich mir zwei „Freundschaftsfamilien“. Ich sah die Kinder aufwachsen und wurde in den Rang der „ältesten Freundin“ erhoben, was mich mit Stolz erfüllte. Mit der einen Freundschaftsfamilie feiere ich seit Jahren gemeinsam Weihnachten. In den Begegnungen, die oft spontan sind, haben alle Alltagserlebnisse ihren Platz.

Als in meiner Kirchengemeinde das Kirchenasyl eingeführt wurde, entwickelte sich auch eine besondere Form der Freundschaft zu diesen Frauen und ihren Kindern. Das sind jetzt nur einige Beispiele.

Wie werden Freundschaften gepflegt?

Es gibt Freundschaften in der Nähe und in der Ferne. Sie bedürfen keiner aufwendigen Pflege. Es darf kein Aufrechnen geben, habe ich mich das letzte Mal gemeldet oder bist du dran. Sicher kommt mir meine altmodische Form, Briefe zu schreiben, bei der Pflege der Freundschaften entgegen. Ich sitze in den frühen Morgenstunden an meinem Schreibtisch und denke an eine Freundin und beginne einen Brief zu schreiben, mühelos wie ein Gespräch. Ich kommuniziere aber auch auf allen Kanälen, die die moderne Kommunikation zu bieten hat. Persönliche Treffen und Kontakte, die jetzt in Coronazeiten so erschwert sind, sind ganz wichtig. Bei den fernen Freundinnen verbringe ich einige Tage, damit viel Zeit für gemeinsame Unternehmungen und Gespräche ist. Ich lade sie zu diesem Zweck auch gerne zu mir ein.

Und wie enden Freundschaften?

Viele bleiben über Jahrzehnte erhalten, manche laufen einfach aus, einige werden bewusst beendet und einige beendet der Tod. Das ist sehr schmerzlich und begegnet uns im Alter häufiger.

Ein gutes Beispiel, dass man im Alter nicht zwangsläufig einsam werden muss, lieferte eine Freundin, die über 100 Jahre alt wurde. Sie lud sich ihre Gesprächspartner telefonisch ein und alle kamen gerne. Ihr Interesse daran erlosch erst wenige Jahre vor ihrem Tod.

Ich glaube, das Sprechen über existentielle Themen bietet auch im Alter immer wieder die Möglichkeit, dass Freundschaften entstehen können. Unverzichtbare Voraussetzung bleibt die Offenheit für das Gegenüber, die Neugierde darauf, wie andere ihr Leben bewältigen. 

Ich kann ein Lied singen vom Glück der Freundschaft, das mich durch alle Wagnisse des Lebens begleitet hat, und ich empfehle die anregende Lektüre „Vom Glück der Freundschaft“ von Wilhelm Schmid, erschienen im Inselverlag.