Meine Freundin Helga

von Barbara Heinze

Meine Freundin Helga konnte ihren 70er nicht mehr mit uns feiern. Nach neun Jahren Kampf gegen den Krebs musste sie aufgeben. Ihre Freundschaft bedeutete mir unendlich viel.

Wie es anfing

„Welcher ist es denn nun“, war meine Frage, mit der alles anfing. Kennengelernt haben wir uns an der Universität in Saarbrücken. Wir hatten am gleichen Tag neu angefangen, im Institut für Botanik. Helga bekam gleich am Morgen Besuch von einem gut aussehenden jungen Mann, der sehr herzlich begrüßt wurde. Er wollte wohl die neue Arbeitsstelle seiner Freundin besichtigen. Am selben Morgen folgte aber auch der Besuch eines ebenfalls gut aussehenden jungen Mannes, der genauso herzlich empfangen wurde. Deshalb war mir so unvermittelt die Frage herausgerutscht, wer es denn nun sei (der wahre Freund). Diese eigentlich sehr intime Frage an eine mir bis dahin unbekannte Person wurde genauso spontan beantwortet: „Ich weiß es nicht“.

Damit war schon einmal die erste Voraussetzung für eine Freundschaft gegeben: gegenseitige  Anteilnahme, aber auch irgendwie Vertrauen. Bei der Hochzeit mit dem nun auserkorenen jungen Mann durfte ich Orgel spielen. Ihre beiden Töchter begleite ich auch heute noch, von der Erstkommunion bis zur Berufsfindung, beim beruflichen Werdegang, bei der Heirat und Familiengründung.

Was uns verbindet

Dabei sind Helga und ich grundverschieden: sie eine aparte, charmante Erscheinung, ich mehr der kameradschaftliche Typ. Sie versiert in Finanzen, Immobilien und allen praktischen Dingen des Lebens, ich eher konzentriert auf die wissenschaftlichen Aspekte. Sie allem Schönen zugewandt, seien es Bilder, Häuser, Inneneinrichtung, ich eher an der menschlichen Biographie interessiert. Wir ergänzten uns also. Eine gegenseitige Wertschätzung ist ebenfalls eine Voraussetzung für eine verlässliche Freundschaft.

Unsere gemeinsamen Interessen bezogen sich zunächst auf unsere Arbeitsstelle, die wir allerdings nur etwa zwei Jahre teilten: Wir lästerten über unseren Chef, beschwerten uns über die gestellten, zum Teil nicht sonderlich sinnvollen Aufgaben, freuten uns an den Kaffeepausen im Juristenkaffee der Uni. Wir liebten es, zusammen einzukaufen oder ins Schwimmbad zu gehen. Dabei ergaben sich viele nette Gespräche mit allen möglichen Leuten, durchaus auch mal ein netter Flirt. Der Gesprächsstoff ging uns nie aus, wenn es um Menschen ging. Dabei bewunderte ich immer wieder ihre große Menschenkenntnis. Und wir überlegten, was uns so die Zukunft bringen könnte.

Der Kontakt bleibt bestehen – trotz räumlicher Trennung

Über die Jahre blieb der Kontakt bestehen trotz unserer beider vielfachen Wechsel von Wohnort, privater und beruflicher Situation. Mehrmals pro Jahr besuchte ich Helgas Familie in Frankfurt, später in Münster und dann in Berlin und Emden. Umgekehrt, aber seltener, waren ihre Besuch bei mir in München und Ulm. Wir flogen gemeinsam nach Neuseeland, wo Helgas ältere Tochter inzwischen mit Familie hingezogen war: Die Kontinuität in der Beziehung, ein wichtiger Baustein für eine Freundschaft.

Helgas Haus – selbst aus- und umgebaut (Bild: B .Heinze)

Helga unterstützte mich sachlich und moralisch bei der Trennung von meinem Ehemann. Sie und ihr Mann waren auch behilflich, meinen Vater zu finden. Beide halfen bei meinen diversen Umzügen, die im Zusammenhang mit meinen beruflichen Veränderungen nötig waren. Während ihrer Krankheit versuchte ich, sie so oft wie möglich zu besuchen. Meinem Eindruck nach hat ihr mein Zuspruch wirklich geholfen. Das Wissen um die gegenseitige Unterstützung auch in Zeiten großer seelischer Not – das gehört zur Freundschaft.

Die Freundschaft neigt sich dem natürlichen Ende zu

Anfangs hatte ich Helga nicht richtig eingeschätzt: ich glaubte zunächst nicht, dass sie ein richtiger Familienmensch ist, dabei treu und zuverlässig. Ihren enormen Erfahrungsschatz, den sie schon als junger Mensch hatte, lernte ich erst kennen. Ich ahnte nicht, mit welcher Tapferkeit sie mit ihrer Krankheit umgehen würde. Sie sprach offen darüber, beklagte sich dabei aber nicht, sondern strahlte Optimismus aus.

Helgas Tod ist nun fast zwei Jahre her. Noch immer vermisse ich ihre fürsorgliche Nachfrage, ihre lustigen Begegnungen, von denen sie zu erzählen wusste, die Freundin, die immer Ansprechpartnerin war für Fragen oder Erzählungen. Sie war ein besonderer Mensch, und ich bin dankbar für eine wunderbare Freundschaft!