Freundschaft – ein weites Feld

von Cornelia Kutter

“Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt“, sangen sowohl Heinz Rühmann als auch die Comedian Harmonists.
Aber was bedeutet Freundschaft eigentlich und wie entsteht sie?

Freundschaft im Wandel der Zeit

Zu allen Zeiten hatte und hat der Begriff Freundschaft in der Philosophie seinen festen Platz. Sowohl die klassischen griechischen Philosophen der Antike wie Aristoteles und Platon sowie Cicero im alten Rom bis hin zu Kant am Beginn der modernen Philosophie und den Philosophen der Gegenwart wie z.B. Jay L. Garfield haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt.

Die gesellschaftlichen Konventionen und ethischen Vorstellungen der einzelnen Epochen begründen die unterschiedlichen Sichtweisen der jeweiligen Philosophen.

Aber auch wenn man kein Philosoph ist, verbinden wir alle ganz klare eigene Vorstellungen mit dem Begriff Freundschaft.

Freunde für s Leben

Sie kennen sich seit Kindertagen. Heute sind sie Ende 60 und noch immer eng befreundet. Es fühlt sich an, als seien sie ein altes Ehepaar, das sich so sehr aneinander gewöhnt hat, dass man sich ein Leben ohne den anderen kaum vorstellen kann. Natürlich gab es auch mal Streit, aber es folgte auch immer wieder die Versöhnung.

Wie alles begann

Marion war 3 Jahre und Peter 4 Jahre alt, als seine Familie in die Nachbarschaft zog. Nach anfänglichem argwöhnischen Beäugen kam man sich langsam näher. Bisher hatte sie nur ihren Teddy zu ihrem besten Freund erkoren, dem sie alles Bewegende anvertraute und der die Tränen kindlicher Verzweiflung trocknen konnte.

Er hatte zwar auch einen Stoffhasen als Freund, den er heiß und innig liebte, aber da gab es auch noch Benny – einen Boxer. Der Hund kam als Welpe zu der Familie und war sehr schnell zum besten und treuesten Freund aller Familienmitglieder avanciert.

Bild Boxer: von Michaela Ludwig auf Pixabay

Von nun an aber änderten beide Kinder ihre Prioritäten und wurden unzertrennlich.

Die erste Trennung

Als Peter eingeschult wurde, kam das einer Katastrophe gleich. Wie sollte es nur weitergehen? Das Leben machte zumindest vormittags keinen Sinn mehr. Ihr eigener Schulbeginn änderte das wieder. Konnten sie sich gegenseitig doch nun tagtäglich Neues aus ihrem Schulalltag erzählen. Da war der Musiklehrer, der beim Vorsingen immer spuckte, oder die Klassenkameradin, die sich ständig an den Buntstiften ihrer Nachbarin vergriff. Und wenn Peter vom misslungenen Versuch einer Vorwärtsrolle im Sportunterricht berichtete, konnten die beiden sich vor Lachen kringeln.

So waren sie immer zusammen. Sie tollten mit Benny umher und gingen im Sommer gemeinsam zum Baden. Im Herbst boten die Laubhaufen einen wunderbaren Spielplatz und im Winter ging es selbstverständlich zum Rodeln.

Als Marion Windpocken bekam und Peter sie nicht besuchen durfte, brach bei beiden das blanke Entsetzen aus.

Bild Hände: von Andrea Silvestru auf Pixabay

Langsames Abnabeln

Auf dem Gymnasium haben sie sich gegenseitig Vokabeln abgehört, sich bei den nicht verstandenen Mathe-Aufgaben oder der Ausformulierung von Referaten geholfen. Und die Trennung, wenn eine Familie verreiste, schmerzte nach wie vor. Als Benny starb, hat es beiden das Herz zerrissen.
Doch plötzlich veränderte sich einiges. Die Pubertät hielt Einzug und mit ihr wuchs das Interesse am anderen Geschlecht. Klar, sie kannten sich viel zu gut und waren wie Geschwister; da gab es nichts Aufregendes und Unbekanntes mehr. So entwickelten sich neue Freundschaften und jede Hinwendung zu einer anderen Person wurde eifersüchtig verfolgt. Aber sie waren noch immer füreinander da, gingen zusammen ins Kino oder zu einer Theateraufführung und berichteten sich vom ersten Liebeskummer, vom ersten Alkoholrausch und dem Stress mit den Eltern.

Doch die nächste Trennung stand schon bevor. Peter hatte das Abitur bestanden und sich für ein Chemie-Studium beworben. Die Uni war 160 Kilometer entfernt.

Eigene Wege

Unter der Woche wohnte Peter jetzt in einer WG. Bis er zum Wochenende nach Hause kam, telefonierten sie täglich und berichteten einander von ihren Erlebnissen, Befinden und Gefühlen. Aber Peter erzählte immer öfter und liebevoller von einer Beate, mit der er jetzt viel Zeit verbrachte.

Auch Marion hatte sich mittlerweile in Frank verliebt, einen jungen Mann, der im Betrieb ihres Vaters ein Praktikum absolvierte.

So kam es, dass die Anrufe nicht mehr täglich kamen und die Wochenenden oft anders verplant wurden, als sie es früher gewohnt waren.

Nach ihrem Abitur begann Marion ein Lehramts-Studium an einer nur 30 Kilometer entfernten Universität. Damit war sie wenigstens in Franks Nähe.
Und aus den jeweiligen Liebes-Beziehungen der beiden Freunde wurde mehr.

Beruf und Liebe

Nach dem Abschluss ihrer beider Studien stand der berufliche Werdegang im Vordergrund. Marion bekam eine Referendarstelle in der Nähe, Peter blieb an seinem Studienort und fand einen interessanten Job in einem Untersuchungslabor für Lebensmittel.

Hin und wieder trafen sich die beiden noch und unternahmen auch etwas mit den jeweiligen Partnern. Als Peter jedoch gestand, dass er Beate heiraten werde, und Marion bat, seine Trauzeugin zu werden, war sie erst einmal total entsetzt und versuchte ihm diese – in ihren Augen – völlig überstürzte Heirat auszureden.

Den heftigen Krach, der folgte, bedauerten sie aber beide schnell. Na ja, nach der Versöhnung wurde doch Hochzeit gefeiert mit ihr als Trauzeugin. Sie freute sich jetzt sogar für die beiden. Und es war klar, dass auch er bei ihrer Hochzeit Trauzeuge sein würde. Beate und Frank respektierten das und gewöhnten sich an die tiefe freundschaftliche Verbundenheit ihrer Partner.

Als Marion schwanger wurde, stand schon fest, wer Patenonkel für ihre Tochter Jessica werden würde.

Der Lauf der Zeit

Peters Ehe blieb kinderlos und wurde irgendwann wieder geschieden.
Damals war er am Boden zerstört. Es war Marion, die ihm wieder auf die Beine geholfen hat.

Sie haben gemeinsam um ihre verstorbenen Eltern getrauert und sich bei Krankheit Mut gemacht und Trost gespendet.

Aber auch bei Marion hat das Schicksal nach vielen glücklichen Jahren plötzlich erbarmungslos zugeschlagen, als Frank bei einem Autounfall ums Leben kam. Sie hat niemanden an sich herangelassen und konnte auch durch ihre Tochter, die den Vater selbst genauso vermisste, keine Kraft schöpfen. Und wieder war es Peter, der an ihrer Seite war und ihr in der schweren Zeit Hilfe und Beistand gab.

Was bleibt

Marion muss unbedingt Jessica anrufen, um ihr die schöne Neuigkeit mitzuteilen. Peter kommt heute zu Besuch. Jetzt sitzen sie im Wintergarten und schwelgen in Erinnerung. „Weißt du noch, als…“  Und sie erzählen von den eigenen Erlebnissen, von Theaterbesuchen und Kunstausstellungen oder von Wehwehchen. Natürlich müssen beide auch loswerden, warum man sich über Handwerker oder die Politik geärgert hat.

Peter berichtet, dass er wieder eine lose Beziehung hat. Marion kann sich einen neuen Mann an ihrer Seite nicht mehr vorstellen. Sie gehen zusammen zum Italiener um die Ecke und stellen fest, dass beide noch genau wissen, was der andere wohl bestellen wird.  Als Peter wieder abreist, kommt etwas Wehmut auf, aber sie versprechen einander, sich von nun an wieder öfter zu besuchen. Marion vermisst ihn jetzt schon.

Sie ist in Gedanken versunken und fragt sich: Wo hört Freundschaft eigentlich auf und wo fängt Liebe an?

Bild Seil: von congerdesign auf Pixabay

Anmerkung der Autorin: 
Die Geschichte ist weder Biographie noch Autobiographie. Es handelt sich um eine biographische Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder deren Handlungen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Quellen und weiterführende Links:
https://www.philosophie.fb05.uni-mainz.de/files/2013/07/Eichler-2010-Freundschaft-Vortrag.pdf
https://ethik-heute.org/was-ist-freundschaft-2

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