Ein Mann, ein guter Freund: Gedanken über Männerfreundschaften

von Peter Schallock

Im Werbefernsehen ist die Welt noch schön, unbeschwert und meist heil. Man trifft sich zum Bier in der Kneipe oder drängt sich auf dem viel zu engen Sofa bei Chips, Pizza oder Gummibärchen, um seinen Fußballverein anzufeuern. Männer unter sich, ungestört, keine Frau in Sicht. Muss ja auch mal sein. Männer „können halt gut miteinander“, zeigt uns zumindest die Werbung.

Gibt es überhaupt Männerfreundschaften?

Szenenwechsel: Wir schreiben die dreißiger Jahre. Drei Männer, die in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zusammen eine Tankstelle betreiben, verteidigen mit viel Einsatz ihre Freundschaft: Trotz der ewigen Verlockungen durch das andere Geschlecht. Eine bekannte Kinoschmonzette, durchaus mit Anflug von Kitsch, aber gleichzeitig zeitloser Botschaft.

Denn wie trällern die drei so fröhlich im Ohrwurm zum Film?
„Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt!“
Die guten Freunde waren Heinz Rühmann, Oskar Karlweis und Willy Fritsch. Ich weiß nicht, ob die gesungene Erkenntnis damals viel Gehör fand, ob solche „Männerfreundschaften“ alltäglicher waren, als sie es in unserer angeblich so schnelllebigen Gegenwart sind.

Denn heute gibt es zahlreiche Stimmen, die uns Männern in der Fähigkeit, Freundschaften mit anderen Männern zu schließen und – mehr noch – zu pflegen, ein eher mäßiges Zeugnis ausstellen. Böse Stimmen behaupten gar, Männer pflegten ihre Autos besser als ihre Freundschaften. Letztere wären eher beliebig oder oberflächlich. „Mann“ geht höchstens zusammen zum Fußball, trifft sich am Stammtisch oder fährt gar mit den Kumpels zum Ballermann.

Dagegen scheint die „beste Freundin“ beim weiblichen Geschlecht fast zur notwendigen Standardausrüstung zu gehören. Glauben wir Männer zumindest, manche von uns zuweilen durchaus voller Neid. Sind Frauen so viel besser darin, beständige und vor allen Dingen intensive Freund-schaften zu schließen als wir Männer?

Dabei hat „Er“ im Laufe eines Männerlebens ja durchaus viele Gelegenheiten, Freunde zu finden. Genauso zahlreich sind allerdings wohl auch die Gründe, sie wieder zu verlieren.

Meine Geschichte mit Freundschaften: Kindheit

Meine ganz persönliche Geschichte der „Männerfreundschaften“ beginnt früh, wie so oft mit dem Dreikäsehoch in der Nachbarschaft als dem ersten Spielkameraden. Zum Freund bedarf es noch nicht allzu viel: Man muss sich einigermaßen vertragen und sich darauf einigen, was man zusammen so treibt. Im Kindergarten und danach in der Grundschule wird die Auswahl schon größer. Freunde gehen, weil man zusammen nicht (mehr) „kann“ – die altersgemäße Begründung lautet dann oft überzeugend schlicht: Der ist blöd! Freundschaften sind manchmal „inflationär“, gleichwohl leidet auch die Kinderseele durchaus schon mal, wenn der angeblich gute Freund sich buchstäblich aus dem Staub macht. Glücklicherweise ist oft postwendend Ersatz zur Stelle. Denn wenn man jetzt nicht lernt, Freunde zu finden, wann sonst?

Weitere Verluste drohen, wenn sich Schulwege trennen. Drei Freunde, das bedeutete drei unterschiedliche Schulen an drei unterschiedlichen Orten. Man verliert sich wegen unterschiedlicher Tagesabläufe leicht aus den Augen. Man hat – schon jetzt – keine Zeit mehr für den Freund. Andererseits: Mit neuen Mitschülern bildet man neue Freundschaften und entdeckt neue Interessen. Ich entwickelte damals eine Besessenheit für Fußball, mein bis dahin bester Freund konnte damit gar nichts anfangen. Fortan galt der größte Teil meiner Freizeit dem Kicken – nach der Schule, beim abendlichen Training und bei den Spielen in der Jugendfußballmannschaft am Wochenende.

Jugendzeit

Die Pubertät bringt viel Aufregendes, aber schon wieder Trennendes, was mich erneut manchmal ratlos zurückließ. Der eine Freund entwickelt sich zu einer Art frühem David Hasselhoff, mit Lederjacke und schmuckem Schnurrbart, und besucht fortan die eher schicken Discoschuppen. Der andere erinnert an eine Mischung aus Jimmy Hendrix und John Lennon, er hat seine progressive Ader entwickelt und lümmelt im alternativen Szenetreff herum. Gemeinsam haben die beiden nur noch, dass sie sich gegenseitig nicht ausstehen können, der Spießer den Hippie nicht und umgekehrt. Was tun? Schließlich entscheide ich mich für den Hippie: das lässige, kontrolliert-durchgestylte Auftreten des Aufgehübschten war mir irgendwie zu anstrengend und brachte nicht den erhofften Erfolg beim anderen Geschlecht. Was mir der Hippie damit dankte, dass er wenig später zum Philosophiestudium ins weit entfernte Berlin verschwand.

Erwachsenenalter

Endlich: Man hat die Schulzeit – so hofft man– einigermaßen schadlos überstanden. Die Zukunft könnte eigentlich nur rosig sein, gäbe es da nicht so lästige Sachen wie Wehr- oder Sozialdienst. Was mal wieder räumliche Veränderungen bedeutet. Das geht mit dem anschließenden Studium so weiter. Neue Freundschaften entstehen, oft auch nur lose, vorübergehende Bekanntschaften. Aber wann soll man da auch noch den Kontakt zu zurückgelassenen Freunden pflegen? Zumal einige der „Gestrigen“ ebenfalls längst das Weite suchten, weil ihnen das Dorf zu sehr zum Kaff wurde. Andere wiederum sind dermaßen in die Dorfgemeinschaft eingebunden, dass sie mit dem Studierten aus der Fremde nur noch die Vergangenheit gemeinsam haben.

Familienzeit

Weiter geht es: Mit der endlich gefundenen, passenden Lebensgefährtin entsteht eine andere Art von Freundschaft. Jetzt heißt es oft: Paar trifft Paar. Man freundet sich, der Einfachheit halber, mit dem Nachbarpaar in der Neubausiedlung an oder lernt sich über den mittlerweile eingetroffenen Nachwuchs bei Kindergarten- oder Schulfesten kennen.

Gleichzeitig ist man beruflich eingespannt, der Alltag fordert einen heraus, die Ehefrau fühlt sich vernachlässigt, überhaupt beklagt sich die Familie über zu wenig Zuwendung. „Mann“ ist vollkommen ausgelastet, zuweilen überlastet. Alte Freunde trifft man höchst selten, wenn überhaupt noch.
Zumal die ja oft in ähnlicher Situation stecken.

Und doch: Frauen schaffen es selbst dann noch, Zeit für die beste Freundin zu haben, auch wenn sie sonstwo wohnt. Wie sie das wohl machen?

Was ist, wenn man (wieder?) alleine ist?

Das geht dann immer so weiter. Falls nicht, und das passiert leider immer häufiger, das eheliche Glück eines Tages zerbricht. Dann steht „Mann“ tatsächlich buchstäblich alleine da. Denn in der „Paar-trifft-Paar-Konstellation“ ist für plötzliche Singles kein Platz vorgesehen.
Ähnlich ist die Situation, wenn ein Partner stirbt und der andere plötzlich alleine ist.

Es sind Momente, in denen Sprüche von der „Krise als Chance“ tatsächlich eine fundamentale Wahrheit entwickeln. Wer merkt, dass sich wirklich wichtige Kontakte nur noch um Familie und Beruf drehten, steht plötzlich ganz schön alleine, aber hoffentlich etwas klüger da.

Wunderbar wäre es jetzt, einen Freund zu haben, der einem in dieser schwierigen Zeit zur Seite stünde. Jetzt gäbe es in der Tat nichts Schöneres auf der Welt, da haben Rühmann & Co schon recht. Single-Clubs oder Volkshochschulabende sind ein eher bescheidener Ersatz. Ganz zu schweigen von den heute so beliebten digitalen Freundschaften im Internet – wo selbst der größte Einsiedler plötzlich hunderte Freundschaften auf seiner Seite vorweisen kann.

Seien wir doch ehrlich: Es sind nicht immer die Umstände, die uns hindern, unsere Freundschaften zu pflegen. Oft ist es unsere eigene Trägheit. Gut, manchmal geht es einfach nicht mehr, man entwickelt sich schließlich – und nicht unbedingt in die gleiche Richtung, siehe oben. Auch Freunde streiten, ganz so wie Paare, manchmal so heftig, dass die Freundschaft zerbricht.
Haben wir nicht in der Schule gelernt, dass Goethe und Schiller befreundet waren? Dass Hegel, Hölderlin und Schelling, sich ewiger Freundschaft verpflichtet, sogar in einer WG zusammenlebten?

Aber warum hat man uns nicht in der gleichen Schule, vielleicht nicht mal im Elternhaus, mit genügend Nachdruck beigebracht, wie wichtig doch Freunde im Leben sind? Soziale Kompetenzen sind wichtig, manchmal durchaus wichtiger als pures Wissen, aber das ist ein anderes Thema.

Lebensabschnittsfreundschaften

Pech gehabt, typisch Mann halt? Stopp! Es gibt sie ja durchaus, die Männerfreundschaften. Die halten zwar nicht immer und unbedingt ein ganzes Leben, aber doch schon mal recht lange.

Lebensabschnittsfreundschaften, sozusagen. Der Freund fürs Leben ist eine tolle Sache, wenn man ihn denn beizeiten findet. Vielleicht ist ein solcher Anspruch auch einfach unrealistisch, nur noch eine schöne Idee. Gerade heute, wo Mobilität und Flexibilität angeblich so wichtig geworden sind.

Ich fand einen noch immer guten Freund während meiner Bundeswehrzeit. Und glücklicherweise konnte ich ein paar eingeschlafene Freundschaften wiederbeleben. Es kann mühsam sein, Freundschaften über die Jahre zu retten, wenn Geographie und Lebenswege auseinanderführen. Aber es lohnt sich.

Männerfreundschaften – Frauenfreundschaften

Männerfreundschaften, das klingt für manche etwas „gluckig“ – und entsprechend schwer tun wir uns mit dem Begriff. Rühmann & Co. würde man rückblickend vielleicht eher als Kameraden bezeichnen – damals war der Begriff ehrenhaft und politisch unverdächtig. Heute hat „Mann“ eher einen Kumpel. Durchaus typisch: Anna bringt abends ihre „beste Freundin“ mit in die Kneipe, Thorsten dagegen seinen langjährigen „Kumpel“. Zu viel Nähe zum gleichen Geschlecht – das ist vielen von uns noch immer etwas peinlich. Freundinnen umarmen sich, Männer mittlerweile auch, aber zaghaft bitte, so, als wären wir plötzlich sehr zerbrechlich. Oder eben in Macho-Manier, mit ein paar ordentlichen Klapsen auf die Schulter.

Bloß keinen falschen Eindruck erwecken!

Ich lerne mit Erstaunen, dass bis ins 19. Jahrhundert der Mann als das sensiblere Geschlecht galt. Dann haben – gleichfalls Männer – ihren Geschlechtsgenossen verstärkt Empfindsamkeit aus- und Härte eingetrieben. Hart wie Kruppstahl sollten wir irgendwann mal werden. Emotionales war fortan fast ausschließlich Weiberkram.

Liegen wir also nur kulturgeschichtlich bedingt im Rückstand? Aber die Zeiten ändern sich, wenn auch langsam. Männer funktionieren möglicherweise anders, wenn es um Freundschaft mit Geschlechtsgenossen geht. Weniger emotional, ja vielleicht weniger intensiv, weil weniger offenbarend. Behaupten jedenfalls manche Psychologen.

Deswegen sind Männerfreundschaften aber nicht weniger wichtig. Man muss ja auch nicht alles be- und zerquatschen. Und überhaupt: Мuss man das weibliche Verständnis von Freundschaft auf die Männerwelt übertragen?

Im Alter

Gerade im Alter zeigt sich: Männerfreundschaften können so bereichernd sein. Schön, mit ein paar verwandten Seelen jetzt, wo man Zeit hat, zum Beispiel den Tag plauschend im Café zu verbringen – zwischen den vielen Frauengrüppchen unterschiedlichen Alters.

Wie sehr dagegen umweht den älteren Herrn, der alleine in der Ecke brütend über seiner Zeitung seinen Kaffee trinkt, eine Aura des Einsamen, Zurückgelassenen! Gleichzeitig beratschlagen in einer anderen Ecke ein paar lustige Damen ebenfalls reiferen Alters durchaus lautstark über ihren kommenden Ausflug.

Sicher, ein Klischee. Einsamkeit ist nicht geschlechtstypisch. Und trotzdem lockt die Erkenntnis, dass diejenigen, die sich beizeiten und erfolgreich(er) um ihre Freundschaften bemühten, wohl überwiegend weiblichen Geschlechts sind.

Andererseits: Was nutzt mir die Aussicht auf einen geselligen Motorradtrip oder der Besuch eines Fußballspieles, wenn mir gerade der Sinn danach steht, meinem besten Freund – den ich hoffentlich habe – mein Leid zu klagen?

Zurück zum Ausgangspunkt: Gesungenes zum Thema

Wenn du nicht mehr weiter weißt,
Weil dein Herz schon fast zerreißt,
Sage, was dich quält, dafür sind Freunde da
(Aus dem Song: Dafür sind Freunde da – Text Peter Maffay)

Dir fällt nie der Zauber ein
Wenn du dich verschließt, nur dich selber siehst
Du wirst nie zu Hause sein
Wenn du keinen Gast, keine Freunde hast
(Aus: Aller Herren Länder – Heinz Rudolf Kunze)

Gute Freunde kann niemand trennen,
Gute Freunde sind nie allein,
Weil sie eines im Leben können,
Für einander da zu sein.
(Aus: Gute Freunde kann niemand trennen – Die Amigos)

Habt Dank für die Zeit, die ich mit euch verplaudert hab,
Und für eure Geduld, wenn’s mehr als eine Meinung gab,
Dafür, dass ihr nie fragt, wann ich komm oder geh,
Für die stets offene Tür, in der ich jetzt steh
(Aus: Gute Nacht, Freunde – Reinhard Mey)

Mit Freunden an deiner Seite wirst du das Licht sehen.
Wenn deine Freunde da sind, dann ist alles in Ordnung
(Aus: Friends – Elton John)