Eine lange Freundschaft dank Schüleraustausch – von 1986 bis jetzt und noch weiter…

von Dorothee Durka

1986: So fing es an

Die Freundschaft, von der ich berichte, begann 1986 mit dem Schüleraustausch der 10. Klasse meines Sohnes zwischen dem Gymnasium Neu-Ulm und dem Lycée von Bois Colombes, Großraum Paris. Mit Hilfe meines Gästebuchs, meines Tagebuchs und meiner Fotoalben habe ich die Geschichte rekonstruiert.

Mein Sohn Clemens war 1986 in der 10. Klasse, lernte erst im 2. Jahr – nach Latein und Englisch – Französisch und durfte schon am Austausch teilnehmen. Im April ging es los. Clemens geriet dort an eine Familie mit zwei Söhnen, seinem Partner Patrick, ein Jahr jünger, und dessen Bruder Eric, zwei Jahre älter als Patrick. Die Jungen waren sich auf Anhieb sympathisch, und beide freuten sich auf den Gegenbesuch im Sommer in (Neu-)Ulm. Sie verstanden sich so gut, dass bald klar war, dass sie in Kontakt bleiben würden. Das Highlight in Ulm war das 175-jährige Jubiläum des Flugversuchs des Ulmer Schneiders.

Clemens und Patrick (Foto: D. Durka)

Dann ging es erst richtig los: 1987 und 1988

Die Freundschaft war im ersten Jahr schon besiegelt. Anfang 1987 nahm Clemens an einem Programm des Bayerischen Jugendrings teil. Er kam in ein Internat nach Amiens. In den Winterferien wollte er nicht nach Hause kommen, und da bot ihm Patricks Familie an, dass er diese bei ihnen verbringen dürfte – nicht nur er, sondern ich durfte ihn dort treffen und mit ihm einige Tage verbringen. So lernte ich die ganze Familie kennen. Und die Freundschaft der Jungen erweiterte sich auf beide Familien. Mein Französisch reichte zum Glück für eine Verständigung aus.

Im Sommer kam Patrick im Gegenzug wieder zu uns, erlebte das Ulmer Lokalfest ‘Nabada’ und hatte Gelegenheit, an einem Segelflug mit den Eltern einer meiner Schülerinnen teilzunehmen.

1988 war Patrick schon wieder da, Clemens war kaum zu Hause, weil er von seiner Schule ausgewählt war, an einem Mathematik-Wettbewerb der Uni Ulm für Zwölftklässler teilzunehmen. Zum Glück hatte ich einen Bekannten, der ihn und mich auf einige Geschäftsreisen mitnahm, nach Mainz, Wiesbaden, Würzburg, Frankfurt, Stuttgart und Augsburg, sodass Patrick auch ohne Clemens eine interessante Woche bei uns verbringen konnte.

1989

1) Clemens’ Abitur in Französisch
Clemens hatte fürs Abitur Französisch als 4., also mündliches Prüfungsfach gewählt. Um sich optimal aufs Sprechen vorzubereiten, fuhr er in der freien Woche zwischen Schulende und Prüfung zu seiner Partnerfamilie. Dieser ‘Endspurt’ brachte ihm 14 Punkte ein.

2) Eric und Eltern in Ulm
Die Familie fragte an, ob Eric ein paar Wochen zum Deutschlernen zu uns kommen könnte. Natürlich war ich einverstanden, konnte aber nicht verhindern, dass die Familie etwas für den Aufenthalt bezahlen wollte. So verbrachte Eric fünf Wochen bei uns und besuchte in Ulm einen Deutschkurs. Die Wochenenden verbrachten wir mit Ausflügen auf die Alb, zur Wies, nach Rothenburg, Ottobeuren und Schwäbisch Gmünd.
Am Ende des Aufenthalts kamen die Eltern für ein paar Tage zu uns, um Eric abzuholen. Gemeinsam besuchten wir das Hofbräuhaus in München.

Patricks Eltern mit mir im Hofbräuhaus in München (Foto: D. Durka)

3) Mit der Familie in der Normandie

Kurze Zeit danach durfte ich wieder die Partnerfamilie besuchen. Highlight war der Aufenthalt in ihrem Landhaus in der Normandie, von wo aus wir Bayeux mit dem berühmten Teppich und Giverny, den Garten von Monet, aufsuchten. Schließlich stiegen wir noch auf das Dach von Notre Dame in Paris.

1990: Treffen am Atlantik

In diesem Sommer machte ich mit meinem 2. Sohn und dessen Freund eine Bretagne-Rundfahrt. Gegen Ende fuhren wir noch am Atlantik entlang bis nach St.-Jean-de-Monts, wo ‘unsere’ Familie eine Ferienwohnung besitzt und wo wir auch willkommen waren.

1990-er Jahre

In dieser Zeit gab es eher Kurzbesuche der beiden jungen Franzosen wegen des Studiums, wegen ihres Militärdienstes und wegen Auslandsaufenthalten.
Unsere beiden Partner studierten Informatik, Clemens ein Jahr in Grenoble, was er mit seinen Französisch-Kenntnissen gut schaffte.
1997 starb der Vater der Familie. Nun waren wir beide eine Teilfamilie: Eine Mutter und zwei Söhne.
Auf dem Rückweg von Frankreich-Aufenthalten, 1998 von Vaison-la-Romaine und 2008 von der Bretagne aus, durfte ich die französische Familie besuchen, wieder in bzw. bei Paris und auf dem Land, von wo aus wir diesmal Honfleur und den berühmten Kreidefelsen von Étretat aufsuchten.

2000-er Jahre

2002 und 2015 besuchte uns die Mutter mit Sohn Eric, die ‘Jungen’ trafen sich öfter bei Dienstreisen. Beide arbeiten als Informatiker in Autofirmen.

Ab 2005: Neue Familien entstehen

Im Sommer 2005 heiratete Clemens. Selbstverständlich flog Patrick von Paris aus dazu in Bayern ein. 2008 besuchte uns Patrick, um uns seine Freundin Sandrine vorzustellen, die er bald danach heiratete – allerdings nur im engsten Familienkreis.

Als 2008 Clemens’ zweiter Sohn geboren wurde, überlegte er, ob er Patrick um die Patenschaft bitten sollte. Er verwarf aber diesen Gedanken, um ihn bei der großen Entfernung nicht zu sehr zu belasten. Als hingegen Patricks 2. Sohn geboren wurde, hatte dieser ein solches Bedenken nicht und bat Clemens um die Patenschaft, die er gern auf sich nahm. So trafen sich beide Familien mit Anhang 2013 bei der Taufe von Léonard in Frankreich, wobei sie auch noch den ganzen Clan kennenlernten. 

Seit 2014,

als die Kinder aus dem Gröbsten heraus waren, treffen sich beide Familien untereinander und auch mit mir, z. B. in Bregenz und in der Wies.
Sie verbrachten zusammen je eine Woche 2014 und 2016 in München bei Clemens zu Hause, 2017 im Elsass Nord, 2018 im Elsass Süd, 2019 an der Mosel und im Hunsrück. Auch dieses Jahr im Herbst wollten sie sich wieder treffen – aber Corona erlaubt es nicht.

Fazit

Die Freundschaft besteht nun schon seit 34 Jahren und umfasst drei Generationen. Es war und ist kein Hindernis, dass Patricks Mutter und beide Ehefrauen die jeweils andere Sprache nicht sprechen.

Patrick schickt mir immer einen Jahresbericht und einen Familienkalender. Mit der Mutter und dem Bruder bin ich in ständigem Mail- und Briefkontakt, sodass wir gegenseitig Anteil nehmen an unserem Leben. Der Mutter mit 85 Jahren geht es leider wegen Knie- und Hüftproblemen nicht so gut.

Clemens hat dank dieser Freundschaft eine wichtige Erkenntnis gewonnen und in seiner Wehrdienstverweigerung dargelegt: Es kann doch eigentlich gar nicht sein, dass Frankreich und Deutschland im Krieg – nicht nur in einem – Erzfeinde waren. Wie gut, dass die Länder versöhnt und solche Freundschaften möglich sind.

Im letzten Jahresbericht schreibt Patrick, dass er die Kinder, wenn sie etwas älter sind, nach München zu Clemens schicken will – Clemens ist (auch) Skilehrer. Und als Patrick mit den Söhnen Englisch üben wollte, erklärten sie, dass sie vielmehr Deutsch lernen müssten wegen ihrer deutschen Freunde. Clemens’ Söhne ihrerseits haben im Gymnasium als 2. Fremdsprache Französisch anstatt Latein gewählt – als Enkel eines Latein-Professors und zweier Lateinlehrer! – auch sie möchten sich mit den französischen Freunden verständigen können.

So wird diese Freundschaft auch in der dritten Generation weitergehen und – um es unbescheiden auszudrücken – zur Völkerverständigung beitragen, dank einem Schüleraustausch par excellence, zu dem auch engagierte Lehrer/innen beigetragen haben.