56 Jahre Freundschaft – entstanden im Ausländer-Freundeskreis München

von Dorothee Durka

Dies ist die Geschichte einer Freundschaft aus Studentenzeiten, also eine sehr lange, die 1964 begonnen hat.

Ich geriet 1962 als Studentin, neu in München, an den Ausländer-Freundeskreis (AFK) der kath. Hochschulgemeinde. Er hatte als Ziel, deutsche und ausländische Studierende zu verbinden und bei Bedarf den Ausländern Hilfestellung zu leisten.

Die Schweizer Marie-Madeleine (Mado) und Bernard: Kennenlernen 1964

Im AFK fand sich zum Wintersemester ein junges Ehepaar aus der französischen Schweiz ein. Beide hatten ein DAAD-Stipendium, Bernard für eine Promotion in Geschichte, Mado für Jura und Deutsch. Zu diesen beiden fühlten wir uns besonders hingezogen und freundeten uns bald an, führten sie durch München und verbrachten viel Freizeit mit ihnen.

Abschied von München

Als Mado und Bernard nach zwei Semestern 1965 wieder in die Schweiz zurückkehrten – das erste Kind war schon unterwegs – war klar, dass wir in Kontakt blieben würden.

Schon bald gab es ein Wiedersehen: Auf dem Rückweg von einem Wanderurlaub in Zermatt besuchten wir das Ehepaar in Fribourg, wo die beiden gerade angekommen waren und noch im Haus von Mados Eltern wohnten. Dann bekamen sie Lehrerstellen im Jura, Bernards Heimat.

Kontakt über Geburtsanzeigen

Wir blieben bestens in Kontakt über Geburtsanzeigen: Aus der Schweiz kamen fünf, wir konnten ihnen nur zwei entgegensetzen. Ich habe fast alle aufbewahrt, auch die nachfolgenden Hochzeits- und Enkelanzeigen, und freue mich, damit, mit meinem Gästebuch, mit Tagebüchlein und Fotos unsere Geschichte rekonstruieren zu können.

Die fünf Töchter

1. Anne, geboren im März 1966 im Schweizer Jura
2. Dominique, Januar 1968 in Fribourg. Inzwischen war die Familie dorthin gezogen, wo Bernard eine Stelle an der Uni bekommen hatte.
3. Myriam, Februar 1969.  Endlich konnten wir auch mit einer Anzeige aufwarten: Clemens, geboren Nov. 1969
4. Catherine, Dezember 1971. Bei uns: Gregor, Juni 1972
Bernard meinte, dass nach den vier Töchtern nun vier Söhne an der Reihe wären. Aber statt des erhofften ersten Jungen wurde wieder ein Mädchen geboren,
5. Françoise, März 1974.
Daraufhin blieb es bei fünf Kindern.

Kontakte in dieser Zeit

1972 durften wir in dem Chalet im Jura, das Mado und Bernard während ihrer Lehrertätigkeit gebaut hatten, Urlaub machen. Auch 1975 und 1978 besuchten wir sie in Fribourg und machten Ausflüge, z. B. zur Römerstätte Avenches und zum Murtensee. 1973 und 1976 erfolgten Gegenbesuche, einmal nur Mado und Bernard, denen Verwandte ein paar Tage kinderlosen Urlaub geschenkt hatten, einmal 1976 mit dreien ihrer fünf Kinder. 1980 machten wir Urlaub in Grafenhausen im Schwarzwald und fanden, dass man sich doch leicht an der Schweizer Grenze treffen könnte.

Alle 7 Kinder in Lucelle, Nähe Basel (Foto: D.Durka)

1982 verbrachten wir den Urlaub in Hasliberg im Berner Oberland. Dorthin kam die ganze Familie zu uns zu Besuch.

Elternzeit – Kinderzeit

Mado war natürlich zu Hause mit fünf Kindern gut beschäftigt. Bernard wurde als Jurasse Ende der 70er Jahre, als der Kanton Jura (Nord) gegründet wurde, zum ‘Leiter des Amtes für historisches Erbe’ des Kantons (Patrimoine) berufen und zog mit der Familie nach Porrentruy.

Als die Kinder ein bisschen größer waren, zog es auch Mado nach draußen: Sie kandidierte 1983 für die CVP (Christlichdemokratische Volkspartei), wurde deren Präsidentin im Kanton Jura und wurde ins  Parlament des Kantons gewählt, dem sie bis 1994 angehörte, dann in den Ständerat in Bern als Vertreterin ihres Kantons und wurde 1995 als erste Frau Regierungsrätin dort. Einige Jahre später begann sie in Straßburg ein Studium der Theologie. Immer war sie auch an kirchlichen und Dritte-Welt-Fragen interessiert. Eine Zeitlang war sie in einer Frauenkommission der Schweizer Bischofskonferenz, trat allerdings mit 6 Mitstreiterinnnen aus Protest zurück, weil ihr Engagement von den Bischöfen nicht wahrgenommen wurde.

Mehr Deutsch für die Kinder

Mado und Bernard wünschten – einerseits, weil sie in einem mehrsprachigen Land lebten, andererseits, weil Mados Vater Professor für Germanistik war, dass ihre Kinder ihre Deutschkenntnisse aus der Schule vertieften. Und sie fragten uns, ob sie bei uns die Ferien verbringen dürften.
Natürlich waren wir einverstanden. So waren bei uns:
1981 Anne und Dominique,
1984 Myriam,
1987 Catherine,
1990 Françoise,
jeweils gebracht oder abgeholt von den Eltern, was verbunden war mit ein paar Tagen des Wiedersehens.

Um uns etwas zu entlasten und den Kindern Abwechslung zu gönnen, ‘reichten’ wir Catherine für ein paar Tage an Freunde in München weiter, Françoise vermittelten wir an zwei Ulmer Familien, zumal unsere Kinder altersmäßig nicht mehr gut passten.

Die Aufenthalte der Mädchen habe ich in bester Erinnerung. Sie waren aufgeschlossen, freuten sich über jede Unternehmung und waren eine große Hilfe im Haushalt, was sie von zu Hause aus gewohnt waren (Myriam wollte immer den Tisch ‘stecken’, das hatte sie verstanden statt ‘decken’). In dieser Zeit habe ich manchmal die Mütter von Töchtern beneidet!

Aus Kindern werden Leute

1990 besuchten wir, mein 18-jähriger Sohn Gregor und ich, die Familie im Chalet auf der Rückreise von einer Bretagnefahrt, 1992 besuchte Clemens mit seiner damaligen Freundin die Familie auch dort.

1990 hatte Anne geheiratet, Architektin, einen französischsprachigen Schweizer, 1995 heiratete Myriam, Mathematikerin, einen italienischsprachigen Schweizer. Bei dieser Hochzeit waren Clemens und ich dabei.

2001 heiratete Françoise, Betriebswirtin, einen deutschstämmigen Schweizer, 2012 heiratete Dominique, Historikerin, einen Engländer.

Der Hochzeitstermin von Catherine, Hotelfachfrau, ist mir entgangen. Sie ist mit einem Franzosen verheiratet und führt mit ihm ein Restaurant im Jura.

Die dritte Generation

Nach und nach kamen neun Enkel auf die Welt, vier von Anne, drei von Myriam, zwei von Françoise. Catherine hat ein Pflegekind.

Unser Kontakt ging auch in der dritten Generation weiter. Françoise, die nur kurz bei uns gewesen war, fragte 2009 an, ob sie mit ihren Kindern kommen dürfte. Diese sollten sich im Deutschen üben, damit sie einen besseren Kontakt zu ihren deutschen Großeltern pflegen könnten und weil sie im deutsch-französischen Grenzgebiet, Fribourg, wohnten.

Sie kam 2009 mit den Kindern, als diese 2,5 und 5 Jahre alt waren, und dann wieder 2012 und 2014. Höhepunkte ihrer Aufenthalte in Ulm waren Besuche im Legoland, im Archäopark und in München. Dort wollten die jungen Leute außer der Fußball-Arena das Haus und die Uni sehen, wo die (Groß-)Eltern gelebt hatten, und Clemens’ Familie besuchen. Die Schweizer und seine Familie verstanden sich so gut, dass Françoise sich bereitfand, im folgenden Jahr in den großen Ferien dorthin zu kommen, um die Kinder zu betreuen, solange die Eltern noch keinen Urlaub hatten – was allen vier Kindern Freude machte.

Auch Myriam schickte ihren 15-jährigen Sohn für ein paar Wochen zur Familie meines Sohnes, damit er sein Deutsch verbessern konnte.

Unsere letzte gemeinsame Zeit

Zuletzt kamen Mado und Bernard 2001 noch einmal nach Deutschland. Zusammen machten wir auf ihren Wunsch eine Fahrt nach München in Erinnerung an den Beginn unserer Freundschaft ca. 35 Jahre zuvor. 
Zuletzt habe ich 2010 Mado und Bernard in Porrentruy, Catherine in ihrem Restaurant und Françoise in Fribourg besucht.

Mado und ich (Foto: D .Durka)

Wir waren und sind aber ständig in Kontakt mit Briefen, Mails und Fotos, sodass beide Familien jeweils die Ereignisse und Entwicklung der anderen verfolgen können.

Der letzte Brief, von Mado noch handgeschrieben, stammt von Weihnachten 2018. Sie ist 2019 kurz vor ihrem 80. Geburtstag nach längerem Kampf gegen den Krebs gestorben.

Bernard, 86, hat eine Haushaltshilfe und einen Freund in der Nähe. Nur die Restaurant-Tochter wohnt im Jura, die anderen in Lausanne, Fribourg und Neuchâtel, also ziemlich weit weg.

Vor allem mit den Familien von Myriam und Françoise werden wir in Kontakt bleiben. In diesem Sommer wollte mein Sohn mit Familie beide im Urlaub in der Schweiz besuchen, aber wegen einer Corona-Warnstufe für deren Wohnorte mussten sie auf den Besuch verzichten.

Fazit

Mir und meinen Kindern hat diese Freundschaft viel Freude gebracht. Ich mag es, Anteilnahme am Leben anderer Menschen zu haben, die Entwicklung der Familie zu verfolgen mit den Kindern und Enkeln, mich austauschen zu können über das Leben allgemein, neue Gegenden kennenzulernen, die Sprache zu sprechen – immer im Wechsel zwischen Französisch und Deutsch. Wir waren da ja an eine außergewöhnliche Familie geraten mit den vielen Kindern, engagiert, interessiert, international, und sie hat unser Leben bereichert. Für mich steckt auch in dieser Freundschaft ein Stück Bewunderung für diese Freundin, die mit ihren 5 Kindern, der Politik, dem zweiten Studium und sozialen Engagements viel geleistet hat.

Catherine aus der Schweizer Geschichte zusammen mit Patrick aus der Franzosen-Geschichte mit mir in München, 1987 (Foto: D. Durka)