Mein Ruhestand – es kommt manchmal anders als man denkt

von Dorothee Durka

Mein Ruhestand ist schon alt, 16 Jahre! Anfang Februar habe ich mit meiner Familie, Freunden und Freundinnen meinen 80. Geburtstag noch bei guter Gesundheit gefeiert. Ich hatte vor, noch viel zu unternehmen, meine zahlreichen Aktivitäten weiterzuführen und in meinem Haus am Hang, bis zu dessen Haustür ich 29 Stufen zu bewältigen habe, zu bleiben, so, wie ich es in fast 48 Jahren gewohnt war.

Aber dann…

Am 28. 2. bemerkte ich starke Schmerzen im linken Handgelenk, die als akute Arthritis diagnostiziert wurden. Folge: Eine Schiene am linken Arm, Autofahren (eigentlich) verboten – unpraktisch, wenn man auf dem Land wohnt.

Am 22. 3. hatte ich einen Schlaganfall. Dank schnellen Erkennens mit Hilfe einer Nachbarin war ich schon innerhalb von ca. 1,5 Stunden im RKU Ulm. Der schnellen Behandlung habe ich wohl zu verdanken, dass ich nach fünf Tagen heil und ohne Folgen entlassen werden konnte.

Am 9. 4. bin ich auf meiner Außentreppe bei Nässe und mit Hausschuhen ausgerutscht und einige Stufen hinuntergefallen. Folge: Bruch des Tuberculum majus in der rechten Schulter, der konservativ heilen muss, d. h. Schmerzen bei vielen Bewegungen seit Wochen….

In der Konsequenz aus diesen Vorfällen

und in Anbetracht des täglichen Treppensteigens innen und außen und der Größe meines Hauses drängte sich mir der Gedanke auf, mir das Leben zu erleichtern und auszuziehen. Aber wohin? Vorbild war mir mein 10 Jahre älterer Bruder, der – allerdings erst mit 84 – in ein ‚Betreutes Wohnen‘ gezogen ist. Als ich im April bei der nächstliegenden Einrichtung dieser Art in Ulm nach einem Platz nachfragte, hieß es zunächst, ich müsse mit einer Wartezeit von 1 – 1,5 Jahren rechnen. Das erschien mir gerade recht, bis dahin würde ich es wohl noch aushalten.

Ich bekomme ein Angebot: Sofort eine kleine Wohnung, 4. Stock

Bei einem Treffen mit der Hausleitung dieser Einrichtung am 25. 4. wurde mir überraschend zum sofortigen Einzug eine kleine 2-Zimmer-Wohnung angeboten, 49 m², Nr. 2409, 4. Stock, Miete 1216 €. Mit dem Preis hatte ich rechnen müssen, aber der Zeitpunkt erschien mir ein wenig zu plötzlich, worauf mir angeboten wurde, zuzusagen und erst ab Juli zu bezahlen. Ich hatte also noch etwas Zeit – und konnte mir eine andere Wohnung von einer Bekannten im 4. Stock schon mal anschauen, um den Blick von dort oben auszuprobieren. Schon immer habe ich nämlich etwas Höhenangst – oben auf dem Ulmer Münsterturm war ich noch nie -, der Blick vom Balkon behagte mir eigentlich nicht. Für den 15. 5. wurde mir die Besichtigung Wohnung angeboten. Sollte ich mich trotzdem schon mit dieser Lösung anfreunden? Oder unbestimmte Zeit warten, bis eine größere und niedriger gelegene Wohnung frei sein würde?

Dann kam etwas dazwischen…..

In der Zeit bis zur Besichtigung beschloss ich am 12. 5., weitere Bekannte zu besuchen, die schon in dieser ´Residenz´ wohnen, u. a. eine alte Chorfreundin, 89, Brigitte G., die ich allerdings ein wenig aus den Augen verloren hatte. Sie meldete sich weder per Telefon – ihr AB war nicht in Betrieb – noch über ihre Klingel, ihr Name stand aber noch am Apartment 2016. So war ich etwas besorgt und überlegte, wie ich sie erreichen  könnte. Das Haus durfte natürlich keine Auskunft geben.

Ich kenne auch ihre Schwester, 88, deren Name im Telefonbuch steht. Bei einem Anruf dort stellte sich heraus, dass Brigitte G. schon seit Weihnachten bei eben dieser Schwester wohnt – in einer Wohnung im 4. Stock, ohne Aufzug, 63 Stufen. Aus Sorge um die Mühe des Kündigens und des Ausräumens hatte sie ihren Mietvertrag weiterlaufen lassen und bezahlt jeden Monat 1300,- €  – für nichts.

Größere Wohnung im Erdgeschoss?

Als ich Brigitte besuchte und von ihr selbst hörte, dass sie die Wohnung nie mehr betreten wollte, sah ich meine Chance: Ob sie unter dem Aspekt, dass ich die Wohnung übernehme und beim Ausräumen helfe, kündigen würde. Nach einem Tag Bedenkzeit waren die Schwestern und ich uns einig, ich setzte für Brigitte ein Kündigungsschreiben auf, Termin 31. 7., sie unterschrieb, und die Hausleitung war einverstanden, dass ich die Wohnung, 56 m², EG,  übernehmen würde. Die Schwestern übergaben mir schon den Schlüssel. Es schien alles prima in meinem Sinn zu laufen….

Aber kann ich mir die größere Wohnung überhaupt leisten?

Beim Besichtigungstermin für die kleine Wohnung konnte ich dank des Schlüssels von Brigitte mit der Hausleitung auch deren – mir bekannte – Wohnung genauer anschauen. Der Unterschied zwischen den beiden Wohnungen von ca. 7 m² würde mir hauptsächlich Platz für meinen großen Schreibtisch mit Computer und mit den ganzen Materialien für meine Aktivitäten bringen. Das hörte sich erfreulich an.

Der Schock: Kostenpunkt 1472 € – gegen 1216,- €

Aber dann der Schock: Diese Wohnung würde inzwischen 1472 € kosten. Nein, so viel Geld wollte ich nicht ausgeben, wollte nicht alle gewohnten Unternehmungen aufgeben und meinen beiden Söhnen letztlich nicht das Geld entziehen (Zur Erklärung: Ich habe als Lehrerin meistens in Teilzeit und nur wenige Jahre voll gearbeitet und Babypause gemacht). Also sagte ich dem Haus und den Schwestern, dass ich die kleinere Wohnung mieten wolle, und brachte den Schlüssel zurück. Am selben Abend – es war der 15. 5. – schickte ich meinen Kindern eine Mail mit meiner Entscheidung.

Dann kam es doch anders und schließlich so:

Deren Reaktion kam am nächsten Morgen: Ein Sohn hatte gerade die Mail gelesen und rief noch auf dem Weg zur Arbeit an, dass ich mich doch wohlfühlen und nicht ihretwegen einschränken solle. Er überschlug schnell im Kopf, dass die Differenz pro Jahr ca. 3000,- € ausmachen würde, dass seien doch in 10 möglichen Jahren ‚nur‘ 30 000,- €. Er arbeitet bei BMW!

Mein anderer Sohn, nicht bei BMW, sondern selbständig, schloss sich trotzdem der Meinung seines Bruders an.

Meine Mail an die Hausleitung vom 16. 5., 9.36 Uhr, hat folgenden Betreff: ‚Absage 2409, Zusage 2016‘. Den Schlüssel habe ich wieder zurückgeholt!

Das passierte alles innerhalb von nur vier Tagen: Am 13. 5. erfuhr ich von der größeren Wohnung, und nach dem Hin und Her fiel am 16. 5. schon die Entscheidung.  

Das Ausräumen und Renovieren besorgt zum Glück ein junger Pole, der schon lange bei den Schwestern als Helfer fungiert – da bin ich entlastet. Mein Vertrag mit dem Haus beginnt am 15. 8., ich habe also noch ein wenig Zeit. So weit, so erfreulich.

Aber was mache ich mit meinem Haus?

Ich würde es am liebsten verkaufen, um allen Ballast los zu sein. Aber dann habe ich viel Geld, das nichts bringt und vielleicht auch mal kaputtgeht. Deshalb wollen meine Kinder, dass ich vermiete, sie würden sich auch kümmern (einer in München und einer in Stuttgart!). Ein Angebot, hier bei guter Miete eine WG für temporäre Arbeiter einrichten zu lassen, habe ich abgelehnt, als mir klar wurde, dass dies ein Wucher-Geschäftsmodell ist. Dabei will ich nicht mitspielen. Nun habe ich einen Makler beauftragt, eine Mietpartei zu suchen, und bin gespannt.

Halt, ein Problem gibt es noch:

Das hätte ich fast vergessen: Als Mitglied im Freundeskreis Asyl in meiner Gemeinde habe ich vor 3,5 Jahren einen afghanischen Asylbewerber ins Souterrain meines Hauses aufgenommen, als er in einer Flüchtlingsunterkunft in einem 4-Bett-Zimmer wohnte. Allerdings ist die ‚Wohnung‘ nicht wirklich separat, was mir nichts ausmacht, aber vermutlich fremden Leuten, also neuen Mietern, schon. Deshalb habe ich ihn schon früh über meine – für mich selbst überraschenden – Pläne informiert und ihm auch ein offizielles Kündigungsschreiben – 3 Monate Frist – übergeben. Daraufhin teilte er mir mit Hilfe von deutschen Freunden mit, dass die Kündigung nicht rechtens sei, weil ich ja keinen Eigenbedarf habe. Diese Reaktion finde ich enttäuschend und ärgerlich, nachdem er hier über ein Jahr kostenlos wohnte und danach nur die Nebenkosten zahlt. Ich weiß noch nicht, wie ich dieses Problem löse. Das bedrängt mich mehr als die ganze Mühe des Räumens und des Umzugs, und das ist ein gewaltiger Wermutstropfen in meiner Aussicht auf das neue Leben.

Wie wird der neue Anfang?

Das alles lief innerhalb von gut einem Monat und nicht in 1 – 1,5 Jahren, wie man mir in Aussicht gestellt hatte.

Wenn ich Hermann Hesse glaube, wohnt „jedem Anfang….. ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben“.

Ob ich es schaffe, nach fast 48 Jahren in meinem Haus, in einem überschaubaren Ort mit vielen Bekannten, nicht zu sehr an dieser – für mich 2. – Heimat zu hängen? Und ob der Zauber sich tatsächlich bei mir einstellt? Darauf bin ich gespannt! Ich wünsche es mir.