von Liane Rohn
Beim Recherchieren traf ich zufällig auf den Erzählsalon der Biografieschreiberin Katrin Rohnstock in Berlin. Als Erzähler gewann sie nach hartnäckigem Suchen und Gesprächen noch lebende so genannte ehemalige Wirtschaftsbosse der DDR.
Persönliches
Ich selbst habe nur 11 Jahre, von 1949, dem Gründungsjahr der DDR, bis zu meiner Flucht 1960, in diesem “System” gelebt. Beruflich allerdings war ich in dieser relativ kurzen Zeit eng eingebunden in die sog. sozialistische Planwirtschaft. Verantwortlich für beachtliche Einzugsgebiete im Groß- und Einzelhandel als Disponentin und Verkaufsleiterin, mit engem Kontakt zu Produktionsunternehmen, Bedarfsträgern und letztlich den Verbrauchern.
Nach der Flucht hatte ich regelmäßigen Kontakt direkt mit dem Elternhaus und indirekt mit der DDR Bürokratie bis zur Wiedervereinigung und danach natürlich bis jetzt zu meiner Heimat.
Bewältigung
Und nun schleicht sich mehr und mehr auf verschiedenen Gebieten und unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen Nostalgie oder aber auch Bewältigung der DDR-Vergangenheit ein.
Filmemacher, Buchautoren, Journalisten und ganz normale Bürger, ob in den sogenannte neuen Bundesländern oder in der gesamten Republik, suchen und finden immer wieder und immer häufiger Möglichkeiten, über das System DDR menschlich, politisch und wirtschaftlich möglichst authentisch zu recherchieren, zu reflektieren, vielleicht zu forschen.
Historisch
Der Erzählsalon von K. Rohnstock soll dabei einem kleinen Kreis ehemaliger wichtiger „Wirtschaftsbosse“ der DDR Raum geben, über ihre Geschichte und Aufgaben zu erzählen. Es bleibt ja nicht mehr allzu viel Zeit, Zeitzeugen anzuhören, es gibt schon heute nicht mehr viele Lebende dieser “Zunft”.
Nicht nur Katrin Rohnstock bedauert, dass Historiker sich bis heute kaum für diesen Teil ostdeutscher Vergangenheit interessierten. Dabei “blitzen” doch gelegentlich nostalgische Momente aus dem Alltagsleben der einstigen DDR-Bürger auf, die nach mehr als 23 Jahren deutscher Einheit wieder entdeckt werden.
Ehemalige Werte
Begann es vor vielen Jahren mit dem “Rotkäppchen-Sekt”, so sind es mittlerweile Waschmittel und Kosmetika , die Halloren-Kugeln, Altenburger Ziegenkäse oder Spreewaldgurken. Wie groß und auch arrogant war und ist das Schmunzeln über das “Pappauto Trabant” (ich fuhr “ihn” bei Besuchen selbst mal, bis er 1990 aus unerfindlichen Gründen, aus dem Verkehr gezogen werden musste. Ich lieferte das vom verstorbenen Vater geliebte Auto ab für 200 DM Schrottwert, heute wäre es ein nostalgisches Wertobjekt.)
Spannend wie Krimis
Interessant scheinen aber Persönlichkeiten der DDR-Geschichte zu werden, die in den letzten Jahrzehnten aus dem Rückblick unentdeckt blieben. Gerade der Erzählsalon K. Rohnstocks bot und bietet einer Reihe ehemaliger Wirtschaftslenker der DDR die Möglichkeit, weitestgehend Unbekanntes aus deren Biografien ins öffentliche Bewusstsein gelangen zu lassen.
Das war und ist neu, spannend und aufklärend. Frau Rohnstock äußerte über manche der Biografien, sie seien spannend wie Krimis!
Persönlichkeiten
Ein interessanter Protagonist war beispielsweise in den Jahren 1980 bis 89, verantwortlich für mehr als 500 Mitarbeiter, zuständig für Auslandseinkäufe von Industrieanlagen, Milliardengeschäfte, wohlgemerkt in Westgeld. Diese Art Außenhandelsbetriebe gab es, weil DDR-Firmen keine direkten Verträge mit dem westlichen Ausland abschließen konnten/durften. Benötigte beispielsweise ein Düngemittelwerk eine Ammoniakanlage war das ein Fall für den benannten Protagonisten. und jenen 500 Mitarbeitern, in Japan oder den USA einzukaufen. Sie arbeiteten wie ganz normale Geschäftsleute – und das Politbüro hatte das letzte Wort, so berichtet der Ex-Generaldirektor. Erstmals gab ein Vertreter dieser “Bosse” einen solchen Einblick. Inzwischen haben sich noch andere ehemalige Wirtschaftsmanager der ehemaligen DDR bereit erklärt, aus ihren Erfahrungen und Berufsleben zu erzählen.
Zeitzeugen
Und es scheint knapp zu werden mit der Zeit, denn es ist eine Generation, die allmählich ausstirbt, aber noch einiges zu berichten hat.
So blickt beispielsweise der ehemalige Generaldirektor des Schwermaschinenkombinats SKET Magdeburg auf jene Zeit seiner Tätigkeit ohne Schönfärberei oder Rechtfertigungen zurück. Innovative Ideen und ihre Umsetzungen, wie die enge Verknüpfung von Hochschulen und Betrieben, die Einrichtung von Betriebskindergärten und Kinderkrippen waren sinnvoll und effektiv. Was ihn “heute noch aufregt”, wie Ökonomen seinerzeit von einem solchen Unternehmen eine Teil-Produktion von Haushaltsgütern verlangte.
Kinder- und Kleinkinder-Tagesstätten sind in der Bundesrepublik längst Realität geworden, das sei an dieser Stelle ergänzend festgehalten. Ein anhaltender Prozess, der “ideologisch” immer noch nicht ganz angekommen ist, der Bedarf andererseits bei Weitem nicht gedeckt werden kann.
Details
Interessant sind detaillierte Einblicke in Qualität und Quantität betriebswirtschaftlicher Entwicklungen, als nach den 70iger Jahren man sich autarker also eigenständiger Bestände und Ressourcen bediente, aber nunmehr technischer Fortschritt “eingekauft” werden musste, sprich schlüsselfertige Werke von Weltniveau von Einkäufern herangeschafft werden, und mit den hergestellten Produkten die Refinanzierung ermöglicht werden musste.
Problematisch wurde es, mit den vorhandenen Fachleuten Handhabung, Bedienung und Wartung modernster Anlagen zu garantieren. Fluktuation, also Verlust von technisch gut ausgebildeten Menschen, die sich vom DDR-System abwandten, konnten, so die sarkastische Aussage eines Experten, nicht von Bäckern oder Friseuren ersetzt werden.
Vergangenheit und Gegenwart
Wenn DDR-Nostalgie mehr und mehr von Außenstehenden (unter anderem Schweizern) beschworen wird, treffen die meisten Beispiele eher den satirischen Punkt ihrer Beispiele. Das angebliche Bedürfnis nach einstigen Ritualen oder kabarettistischen Zügen des Jahrzehnte zurück liegenden Alltagslebens scheint mancherorts zu boomen. Aber so, wie erfahrungsgemäß vielen Erinnerungen tragische und auch groteske Erlebnisse zugrunde liegen, geraten sie aus dem Gedächtnis.
Genau genommen spiegeln heraufbeschworene Nostalgie-Geschichten eher die Zeit des alten Westens wider. Das weckt die Neugier vieler Westdeutscher während das Gebotene Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen lässt.
Und wenn der eine oder andere Protagonist eine “Kernschmelze der sozialen Sicherungssysteme” herauf dämmern sieht, Arbeitslosigkeit nicht nur als Unterschichtproblem gilt, scheinen Alarmklingeln zu läuten,
Hier und jetzt bietet sich allen Deutschen an, aus der Vergangenheit und Gegenwart einen Blick in die Zukunft zu werfen.