Speicherorte einst und jetzt

von Ute Lenke

Fotoalbum
Fotoalbum
(Handarbeit, 1951 © Ute Lenke)

Erinnerungen sind in unserem Gehirn gespeichert wie Daten auf der Festplatte im PC. Diesen Ort meine ich aber nicht. Ich meine die realen Orte, an denen wir die Erinnerungen unseres Lebens aufbewahren; konkret: Poesiealben, Fotoalben, Souvenirs, Briefe, Tage- und andere Bücher und was uns sonst noch wert und wichtig ist.

Die literarischen Zeugnisse vergangener Zeiten sollen hier nicht interessieren – die sind ein anderes Kapitel.

Aber erinnern Sie sich an Poesiealben? Gibt es die heute überhaupt noch? Man bekam sie, kaum dass man schreiben und lesen konnte, von Klassenkamerad*innen oder Verwandten geschenkt, auf der ersten Seite mit einem Sinnspruch fürs Leben versehen. Jede`r, den man kannte musste etwas da hineinschreiben – die Sprüche wurden mit jedem neuen Eintrag immer launiger und flacher: „Ich soll dir was ins Album schreiben und weiß nicht was. Wir wollen ewig Freund*innen bleiben – genügt dir das? Dein*e  etcpp“, dazu ein neckisches Glanzbildchen oder gemalte Herzchen.

Lesen und staunen Sie, denn das war nicht immer so:
https://www.br.de/radio/bayern2/das-poesiealbum-eine-spurensuche-102.html

Fotoalben, Dias, Filme – sie herrschten über unsere Erinnerungen im späten 20. Jahrhundert. Mit der Erfindung der „Box“ und dem Rollfilm und später Farbfilm, wurden Erinnerungen für Jedermann, -frau erschwinglich. Die Fotos waren klein, schwarz-weiß und mit gezacktem Rand.

Speicherort Schuhkarton
(Freie Lizenz Pixabay)

Die Box war oft mit im Gepäck der Soldaten in den Weltkriegen: die Fotos zeigten Männer mit und ohne Uniform, Schützengräben, unerkennbare Landschaften. Diese Erinnerungen – waren sie es wert, aufbewahrt zu werden? Ein Album dafür gab es in meiner Familie nicht, die Fotos landeten im Schuhkarton, wo ich sie dann später fand – und niemanden mehr fragen konnte, wann und wo die Aufnahmen entstanden waren.

Mein erstes eigenes, „richtiges“ Fotoalbum bekam ich zu Weihnachten 1951 von meiner Schwester: es war selbstgebastelt, aus Tapetenresten mit gepressten Blumen als Deckblatt, die Seiten aus einfachem Schreibpapier, alles handvernäht.

Dort bewahrte ich meine selbstfotografierten Ferienerinnerungen auf. Die hatte ich mit einer alten Vorkriegskamera meiner Eltern aufgenommen. Es folgten dann weitere Alben über Reisen, Studienzeit, Hochzeit und natürlich die ersten Fotos der Kinder – pro Kind 1 Album.

Später hatte ich bessere Kameras für Dias, Filme und jetzt die Digitalisierung. Bei meiner Technikbegeisterung machte mir das alles zwar mehr Spaß, aber es sammelte sich eine Menge Material an, das dann in Diakästen und Filmrollen verstaut, aber: NIE wieder angeschaut wurde, denn dazu musste erst die nötige Technik – Projektoren, Leinwand – aufgebaut werden; die Dias sind heute vergilbt, die Filme gerissen, warten auf die Digitalisierung – und verschwinden dann, wie die längst per Smartphone aufgenommenen Bilder und Videos in irgendeiner Cloud.

Eigentlich ist das schade, ich gebe es ungern zu. Aber so ein Fotoalbum erinnert ja nicht nur an die Zeit, als die Fotos geschossen wurden, es erinnert auch an die Zeiten, als die Fotos ins Album geklebt und vielleicht sogar mit Untertiteln versehen wurden. Ein Album kann man in die Hand nehmen, ansehen, zeigen und dazu Geschichten erzählen, man fühlt es, sieht es, riecht es (ja!); man kann in Erinnerungen schwelgen, lächeln, traurig sein – ganz wie einem gerade zumute ist. Das ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil, vor allem, wenn man älter wird und so manche Erinnerung an früher uns einholt.