von Maja Prée
In meiner Studienzeit war es üblich, dass in den großen Semesterferien „Studentenbrigaden“ stattfanden: Arbeitseinsätze in Betrieben der Region, unter Beteiligung von Studenten befreundeter Hochschulen aus anderen Ländern. Hatte man einmal daran teilgenommen, bekam man die Chance in den kommenden Jahren mit einer Studentenbrigade in ein anderes sozialistisches Land zu fahren und dort nicht nur zu arbeiten, sondern auch eine Woche lang Land und Leute kennen zu lernen.
Unsere Technische Hochschule „Carl Schorlemmer“ in Merseburg hatte unter anderem eine Partnerschaft mit Einrichtungen in Polen, Bulgarien oder der Sowjetunion. Eine günstige Gelegenheit zum Reisen, denn wir bekamen unsere Arbeit vergütet und konnten uns dann so in der letzten Woche unseres Aufenthaltes dort auch Einiges leisten. Nach dem ersten Studienjahr hatte ich Studenten des Leningrader Technologischen Institutes auf ihrer Reise nach Berlin und Dresden begleitet. Ich sprach einigermaßen Russisch, und wenn meine Kenntnisse nicht ausreichten – war ein Wörterbuch zur Hand. Der Arbeitseinsatz dieser Hochschule fand in den beiden folgenden Jahren jeweils im Nordkaukasus statt. Eine Gegend, wo man als normaler Tourist kaum Gelegenheit hatte, hinzureisen. Einmal waren wir in Pjatigorsk, das andere Mal in Kislowodsk. Beides waren Kurorte, bekannt durch ihre Mineralquellen.
Natürlich fuhren wir mit dem Zug, ein Flug wäre für uns als Studenten nicht erschwinglich gewesen. Abfahrt war in Berlin, in Bresk wurden unsere Wagen dann auf die größere Schienenbreite umgespurt. Das heißt, die Wagen wurden auf ein Fahrgestell der russischen Breitspur umgesetzt. Wir blieben dabei in unserem Zug. Bis Kiew fuhren wir in den gewohnten Waggons. Dann kam der Umstieg in einen anderen Zug. Auf der 1 1/2tägigen Reise quer durchs Land gab es Tee aus dem Samowar zubereitet von der jeweiligen Wagenverantwortlichen. Wir schliefen in größeren Abteilen als bisher gewohnt. Auf den Bahnhöfen unterwegs standen Frauen und boten Obst, Gemüse oder russische Teigtaschen an. Es gab auch Handarbeiten. Noch jetzt habe ich ein aus Schafwolle geknüftes Tuch. Schon diese Reise war ein Erlebnis.
Pjatigorsk war ein hübscher Kurort. Wir hatten Unterkunft in einem Internat, in der Nähe des Kurparks, in dem es die Trinkquellen gab. In Erinnerung geblieben sind mir die zahlreichen Springbrunnen, deren Fontänen bereits damals, vor 50 Jahren mit Musik und Licht gekoppelt waren. Auf den Straßen wurde es oftmals erst abends lebhaft und wir staunten wie viele Familien mit ihren Kindern noch bis spät unterwegs waren.
Gearbeitet haben wir auf einer Baustelle, wo Wohnhäuser gebaut wurden. Wir waren für das „Betonieren“ der Keller zuständig. Der Beton war mit grobem Kies angerührt. Unsere Jungs brachten ihn auf, aus groben Holzbrettern zusammengezimmerten, „Nasilkas“ herbei und wir verteilten diese Mischung dann auf dem Boden, möglichst eben. Später sollte dann noch eine feinere Schicht darüber kommen. Eine Nasilka ist eine Tragevorrichtung mit vier Holmen und einer Schale zum Transport des Materials in der Mitte (bei Interesse siehe Wikipedia). Unsere waren aus Brettern, auf die jeweils nochmals vier Bretter als Rand aufgenagelt oder geschraubt waren, damit man die angerührte Mischung ohne Verlust transportieren konnte.
Gegessen hatten wir damals oft in einer „Stolowaja“. Man musste sich am Tresen anstellen und konnte dann aus dem nicht sehr üppigen Angebot auswählen. In wohlschmeckender Erinnerung habe ich einen Quarkauflauf, den es dort gab. Auch der schwarze Tee, ein typisches Getränk, schmeckte mir.
An den Wochenenden gab es Ausflüge in die nähere oder weitere Umgebung. Unterwegs bekamen wir meist nur eine sehr karge Landschaft zu sehen, mit freilaufenden Schafen oder Hühnern.

Toll war es, als es direkt Richtung Kaukasus ging und wir mitten im Sommer den Schnee dort sahen. Die Berge waren für uns gewaltig, kannten wir vor 50 Jahren doch nur unsere relativ kleinen Mittelgebirge. Nach den drei Wochen Arbeit hatten wir noch eine Woche Zeit für die beiden großen Städte Moskau und Leningrad. Es war natürlich bombastisch auf dem Roten Platz stehen und den Kreml sehen zu können. Die All-Unionsausstellung mit dem Weltraumflug Pavillon war ebenso etwas Besonderes für uns damals. Die Moskauer Metro (U-Bahn) war auch ein Erlebnis. Viele Stationen waren mit Marmor ausgestaltet worden, sehr prunkvoll. Die Metro einer Hauptstadt. Von Moskau nach Leningrad flogen wir mit dem Flugzeug. Da es ein Inlandflug war, war das nicht weiter aufwendig. Gegenüber 6 Stunden Zugfahrt waren wir so nur 40 Minuten in der Luft. Es war damals eine Propellermaschine, mehr weiß ich nicht mehr.
In Leningrad (Sankt Petersburg) beeindruckte mich vor allem der Zarenhof Petrodworez. Eine Pracht an vergoldeten Figuren und Fontänen. Im Park gab es viele Bänke mit Blumen aus Metall rundherum. Wenn man nicht aufpasste, konnte man nass werden. Meist stand etwas verdeckt eine kleine Hütte, in der jemand saß und Wasser spritzen lassen konnte. Auch in der Eremitage waren wir damals. Ich weiß nur noch, dass eine Vielzahl von Kunstwerken dort zu bewundern war. Ich war wohl zu jung, um das richtig würdigen zu können.
Ich verstand, dass unsere sowjetischen Studenten ein Jahr zuvor weniger Interesse an unseren schönen Parks wie Pillnitz bei Dresden gehabt hatten, sondern Festungen wie Schloss Königstein über der Elbe sehen wollten. Bewundernswerte Parks hatten sie selbst genug. Die Festung Königstein schien für sie etwas Besonderes zu sein.
Ja, damals war die Sowjetunion für uns in vielen Dingen noch das Bruderland. Um so schlimmer ist es jetzt für mich, wie sich die politischen Verhältnisse verändert haben. An die damalige Gastfreundschaft und die besonderen Eindrücke dieser Reisen denke ich immer noch gerne zurück. Ich könnte noch viele Zeilen mit Eindrücken von damals füllen. Auch das wir uns im zweiten Jahr über das Essen beschwerten – es gab fast jeden Tag „Kasha“, wahrscheinlich Buchweizenbrei, als Beilage.
Wir lebten damals in unserer kleinen DDR bereits viel luxuriöser als ein großer Teil der Einwohner dieses riesigen Landes. Trotzdem nahm man uns meist überaus freundlich auf. Auch diese Erinnerung nahm ich mit nach Hause. Meine Fotos aus dieser Zeit sind inzwischen verschollen. Leider.