von Ute Lenke
Erinnerungen kommen, Erinnerungen vergehen, Erinnerungen sind der jeweiligen Stimmung unterworfen: gestern schrecklich, heute sind sie manchmal selig, morgen: Können wir das nicht endlich vergessen? Manches dürfen wir aber nicht vergessen!
Das gilt vor allem für unsere Generation: in der Nazizeit zum Teil noch sozialisiert, den Krieg und Kriegsende miterlebt, die Nachkriegszeit mit Not und Elend erlebt und in der „Wirtschaftswunder-Zeit“ aufgewachsen. Was heißt das für unsere Erinnerungen? Zum ersten: niemals vergessen! Darum sei hier daran erinnert.
- Kriegsende
- Wirtschaftswunderzeit und kalter Krieg
- Die Wende
- Und morgen?
1. Kriegsende: Sie haben das zum Teil sicher noch selbst erlebt – ich versuche mich kurz zu fassen. Woran ich mich erinnere, sind die Bombenalarme, das Sirenengeheul, das mich auch heute – in „Friedenszeiten“ -noch nervös machen. Ich erinnere mich, dass ich nach einem Volltreffer aus einem Kellerfenster einer zum Bunker umgewidmeten Schule von meiner Schwester hinausgehoben wurde, von einem Mann im Blaumannanzug auf eine brennende Straße gezogen wurde, von oben fielen brennende Äste herunter, dann ein Filmriss, und meine Mutter wollte mit uns in den Stadtteich gehen, denn es gab für uns nichts mehr: keine Unterkunft, kein wohin, kein wie weiter. Folgen: lebenslange Abneigung gegen Sirenen, Alarmtöne und Feuer und den Geruch von (vom Löschwasser) feuchtem Mörtel. Und in dem zugewiesenen Notquartier wurde ich dann Zeugin (4 Jahre alt) vom Erschießen von Kriegsgefangenen, ausgerechnet an der Sprunggrube vom Sportplatz meiner späteren Schule. Wen wunderts, dass ich was gegen Sportplätze im Allgemeinen und Sport im Besonderen habe?
2. Wirtschaftswunder und kalter Krieg: eine schizophrene Zeit. Einerseits: Wir Wunderkinder (kennen Sie den Film?), wir sind wieder wer, andererseits die ständige Angst: Der Russe kommt. Und dann die Blockade von Berlin: sind wir jetzt alle vom Hungertod bedroht? Nein, der Ami rettete uns (s. LC 70 „Rosinenbomber für Berlin“ über die Blockade). In der Schule Revanchismus, idealisierte Erinnerungen unserer aus den Ostgebieten geflohenen Lehrer*innen: wir mussten alle Orte, Städte, Dörfer von Ostpreußen lernen, Gedichte von Agnes Miegel, das Stettiner Haff war uns bekannter als die bedrohten Halligen in der Nordsee oder die Heumahd im Allgäu; zu Weihnachten schickte man Pakete in die in die „DDR“ – „Geschenksendung-keine Handelsware“. Das Abitur war nur für „höhere Töchter“ (für Söhne natürlich ok), in der Tanzstunde lernte man, sich in „höheren Kreisen“ zu bewegen. Einen VW und einen Fernseher zu besitzen war Luxus, aber erstrebenswert! Im Radio gab es die „Stachelschweine“ und „die Insulaner“, die hofften, „dass unsere Insel (so nannte man den westlichen, freien Teil von Berlin) wieder ´n schönes Festland wird“; im Fernsehen lief „Familie Schölermann“, ja und die Teenagerseligkeit: die Beatles, Bill Haley, Bill Ramsay, Chris Howland. Im Kino bewunderte man Heimatfilme, heile Welt und Schnulzen: „Wenn bei Capri am Abend die Sonne im Meer versinkt“. Die Jeans: Einheitsschnitt damals, zu groß – man legte sich in die Badewanne, damit sie einlief. Die Mutter meiner Freundin bestand darauf: aber die Bügelfalte muss rein. Damals: herrlich, heute: peinlich, amüsant bis lächerlich, morgen: vergessen. Und über all dem schwebte die Furcht: Der Russe kommt: Dank Adenauer kam er nicht, stattdessen kamen viele Kriegsgefangene – das war 1955 -, die Krieg, Gefangenschaft in Sibirien und danach die Wiedereingliederung überlebt hatten.
3. Und dann die „Wende“: 1989 im Oktober. „Es wächst zusammen, was zusammengehört“ sagte Willy Brandt damals, und Bundeskanzler Kohl versprach „blühende Landschaften im Osten“. Nun ja, Geschichte braucht Geduld. DDR und BRD hatten über 40 Jahre eine eigene Entwicklung gehabt, kann das noch zusammenwachsen? Ich erinnere mich an damals: Begeisterter Empfang „unserer Brüder und Schwestern“.
4. Heute: Ernüchterung, es gibt sie noch: Ossies hier – Wessies da, manche wollen die Mauer wieder haben, am besten noch höher, tiefsitzende Vorurteile und Frust auf beiden Seiten, oft innnerhalb der eigenen Familien. Morgen: hoffentlich noch nicht vergessen, was uns einst getrennt und später wieder zusammengeführt hat.
Es liegt in der Natur der Erinnerungen und soll ein Erbe unserer menschlichen Entwicklung sein, dass vor allem die schlechten Erfahrungen und Erinnerungen im Gedächtnis bleiben: sie sollen uns helfen zu überleben – wer einmal vom Baum gefallen ist, klettert beim nächsten Mal vorsichtiger (oder gar nicht). Die angenehmen Erinnerungen dienen vielleicht als Entschädigung, damit wir nicht übervorsichtig werden und uns gar nichts mehr trauen. Aber was lernen wir daraus? Nie wieder Krieg oder „Es hätt´ noch immer juut jejange“?