von Peter Schallock
„Alt werden strengstens verboten!“ Die österreichische Zeitung „Der Standard“ provozierte vor einiger Zeit mit der Frage, ob wir überhaupt noch „alt“ sein dürfen. Möglicherweise finden Sie, liebe Leser, die Frage albern. Aber dennoch: Heutzutage lehnen es viele Mitmenschen selbst in fortgeschrittenem Alter ab, als alt zu gelten. Und machen sich selbst und ihren Mitmenschen damit manchmal das Leben ein wenig schwer.
Montagmorgen, ich sitze im Zug, auf dem Weg zu meinem Arbeitsplatz in der Nachbarstadt. Zwei nicht mehr ganz so junge Damen sind im Gespräch vertieft, in ordentlicher Lautstärke. Das ganze Abteil darf mithören.
„Na, was hast Du denn am Wochenende unternommen?“ fragte die eine der Beiden. „Ach, nichts Besonderes. Wir waren die meiste Zeit zuhause. Du weißt ja, mein Mann ist nicht mehr so unternehmungslustig, seit er Rentner ist. Dabei ist er doch erst Mitte Sechzig!“ Ihre Begleiterin meint dazu, leicht ungläubig: „Mitte sechzig? Das ist doch heute kein Alter mehr!“ Ihr Gegenüber murmelt irgendwas, offensichtlich sind sich die Beiden einig.
Lange ist es her, aber das Gespräch hinterließ Eindruck bei mir. Ohne genau zu wissen wieso, empfand ich spontane Sympathie für den mir unbekannten Ehemann. Ich selbst war noch etliche Jahre vom Ruhestand entfernt. Mit dem ich eben auch tatsächlich so etwas wie ein ruhigeres Leben verband.
Früher war man anders alt
Über die Frage, wann man so richtig alt ist, streiten die Fachleute. Vielleicht war man gestern anders und vor allen Dingen früher „alt“. Als meine Mutter ihren sechzigsten Geburtstag feierte, dachte ich tatsächlich, sie habe bereits ein stattliches Alter erreicht. Heute ist „Sechzig“, wie man so hört, also „kein Alter“ mehr. Man spricht dagegen fast schon schwärmerisch von „Best Agern“ und „Silver Agern“. Je nach Verfassung holt einen das Alter eigentlich erst mit Siebzig oder noch später ein. Der Zeitraum zwischen dem Ende der „Ewigen Jugend“ und dem Ende unseres Lebens scheint kaum noch erwähnenswert.
Fit wie ein Turnschuh. Was sonst?
Sonntag, in aller Frühe: Auf dem Weg zum Bäcker begegnet mir mit forschem Schritt der eine oder andere Wanderer, mit passender Kleidung, Rucksack und offensichtlich jeder Menge Energie ausgestattet. Gelegentlich sehe ich auch schon das ältere Paar aus der Nachbarschaft auf ihren neuen E-Bikes.
Am Wochenende ist fast ganz Deutschland aktiv, entweder mit dem Rad oder auf Schusters Rappen. Vorausgesetzt natürlich, das Wetter stimmt. Die Jungen, die auf so etwas keinen Bock haben, oder die ganz Alten, die nicht mehr so gut zu Fuß sind, mal ausgenommen. Aber jede Menge ältere Menschen sind unterwegs. Die es den Werktätigen gleichtun: Sonntag war immer schon Ausflugstag. Und das bleibt auch so. Auf der faulen Haut liegen gilt nicht.
In den Nachrichten hören wir von Menschen, die im Alter von 70 Jahren Marathon laufen, mit 80 ständig um die Welt reisen, mit 90 noch täglich im Familienrestaurant arbeiten. Hundertjährige gibt es bereits wie Sand am Meer. Alt sein ist offensichtlich zunehmend eine Frage der persönlichen Einstellung geworden.
Man ist so alt, wie man aussieht
Aber wir alten oder älteren Menschen bleiben nicht nur rüstig und aktiv, wir sehen auch immer jünger aus. Damit meine ich nicht jene mit dem nötigen Kleingeld, die sich unter dem Messer ein Stück Vergangenheit zurückholen. Auch Otto-Normal-Verbraucher beweist, dass eine jüngere Erscheinung keine Frage des Alters ist. Cremes und Puder decken ab, ältere Menschen in junger, manchmal poppiger Mode verschönern das Straßenbild. Warum auch nicht?
Meine Rad fahrenden Nachbarn treiben Sport, wie es sich gehört: Im modischen Sportdress. Nun gut, nicht jede(r) findet beispielsweise enganliegende Höschen bei reiferen Männern sexy. Die joggende Dame, die sich den Berg hoch quält, ist für ihr Alter erstaunlich blond. Andererseits hat eine Bekannte von mir aufgehört, sich die Haare zu färben. Man trägt jetzt „grau“, meint sie, das sei modern. Wir Männer zeigen oft noch immer oben herum „Platte“, trotz aller bewahrten Jugendlichkeit. Dafür baumelt am Hinterkopf jetzt schon mal ein freches Zöpfchen und das Kinn ist männlich-herb mit Bartstoppeln verziert.
Es ist doch nicht alles jung, was alt ist
Friedrich Merz übernahm im besten Rentenalter das Amt des Bundeskanzlers, mit 69 Jahren. Donald Trump war bei Antritt seiner zweiten US-Präsidentschaft sogar zehn Jahre älter. No Problem? Nicht immer: Joe Biden war nur drei Jahre älter als Trump, als die ganze Welt sehen konnte, dass er dem Präsidentenamt aus Altersgründen nicht mehr gewachsen war.
Denn ganz so unbeschwert ist das Älterwerden“ dann doch nicht, wie wir doch eigentlich alle wissen. Statistiken sprechen eine deutliche Sprache. So zum Beispiel beim Thema Mobilität. Bei Unfällen mit dem liebgewonnenen E-Bike oder dem unverzichtbaren Auto gehören ältere Menschen zu den häufigsten Verursachern. Und viele Alte oder Ältere, die mobil bleiben wollen, steigen gleich auf den Rollator um, was die stark steigenden Verkaufszahlen beweisen.
Dass die Versorgungslage im Pflegebereich immer kritischer wird, ist auch bekannt. Immer mehr Menschen werden immer älter, sind aber eben doch irgendwann auf Hilfe angewiesen. Alt sein heißt heute, möglichst lange rüstig zu sein? Offensichtlich nicht für jeden.
Nichts für Sensibelchen
Vorher schon gibt es die kleinen Tücken des Alltags, als freundliche, wenn auch weniger dramatische Mahnungen. Mir geht das beispielsweise immer öfter so, wenn eine Schrift zu klein geraten ist. Ohne meine mittlerweile unverzichtbare Lesebrille wäre ich dann völlig aufgeschmissen. Dumm nur, wenn ich sie mal wieder verbummelt oder zu Hause vergessen habe.
Jüngst am Flughafenschalter war ich völlig überfordert damit, den Bildschirm meines neuen Mobiltelefons heller zu stellen, damit man mein E-Ticket überhaupt lesen konnte. Glücklicherweise konnte meine jüngere Begleitung helfen. Moderne Technik ist bekanntlich gerade im Alter schon mal eine mysteriöse Sache.
Mein Gedächtnis ist auch nicht mehr, was es mal war. In meinem wöchentlichen Sprachkurs bin ich mit Abstand der Älteste. Dass es mir immer schwerer fällt, mich an Vokabeln zu erinnern, muss ja niemand wissen.
Es ist schon ziemlich lange her, als mir zum ersten Mal im Bus jemand seinen Sitzplatz anbot. Dass das eine junge Dame war, machte es nicht unbedingt schmeichelhafter, eher im Gegenteil. Offensichtlich sah Sie in mir einen älteren Herrn, dem das Stehen Mühe bereitete. Wie peinlich!
Das tägliche Treppensteigen bis rauf in den dritten Stock fällt mir wegen meines altersschwachen Knies auch nicht mehr so leicht. Aber so geht es nicht nur mir alleine: Wenn meiner bereits erwähnten Bekannten beim flotten Gang durch die Stadt die Puste ausgeht, dann angeblich nur, weil sie einen schlechten Tag erwischt hat. Und Treppensteigen würde doch fit halten und sei keine Quälerei! Glaubt sie jedenfalls. Auch Frau ist eben manchmal älter, als sie denkt.
Es wundert doch wirklich niemanden, dass Wartezimmer beim Arzt hauptsächlich von Älteren bevölkert werden. Auch ewige Jugend schützt scheinbar vor Krankheit nicht.
Und was soll das jetzt?
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Rückzug, Passivität und Isolation sind keine Alternative. Wir alle möchten Ruhestand und Alter als aktive Lebensphase erleben, mit regelmäßigen sozialen Kontakten und anregender Beschäftigung.
Aber Alter schützt vor Torheit nicht, und vor Eitelkeit schon gar nicht. So abgedroschen es auch klingen mag: Unsere Kräfte und Fähigkeiten lassen eben nach. Leugnen hilft nicht.
Dabei müssen wir weder uns noch andere von irgendwas überzeugen. Ein Vorteil des Alters ist es, nichts mehr „müssen zu müssen“. „Man muss nicht mehr, man darf nur noch“, wie ein Schweizer Autor einst so treffend schrieb. Statt fast schon verzweifelt jugendlich zu wirken und auf Teufel komm raus aktiv sein zu müssen – was wäre wirklich hilfreich?
Möglicherweise Tugenden wie Gelassenheit, Humor, und, ganz wichtig, Altersmilde, auch uns selbst gegenüber. Den letzten Lebensabschnitt als solchen bewusst zu erleben und zu akzeptieren, dass man manchmal vielleicht nicht mehr so kann, wie man möchte. Ändern kann man das sowieso nicht mehr.
Vielleicht ist das auch ein Stückchen Lebenskunst, das uns verloren ging.
Verwendete Quellen:
https://www.derstandard.at/story/2000134674856/alt-werden-strengstens-verboten
https://www.nzz.ch/gesellschaft/aktuelle-themen/lob-des-alters-endlich-nicht-mehr-muessen-ld.120671
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/03/PD24_N014_46241.html
https://www.mdr.de/wissen/psychologie-sozialwissenschaften/junge-und-alte-autofahrer-verursachen-die-meisten-unfaelle-100.html