von Beate Seelinger
Ich bin 71, also nicht mehr ganz jung. Ich besitze eine giftgrüne Sommerhose, sonnenblumengelbe Sneakers und rote Winterstiefeletten und höre gerne Kölsch-Rock, Ed Sheeran und Angelo Branduardi – neben Händel und Bach. Mein Haar ist weiß, meine Konfektionsgröße seit meiner Jugend um zwei Nummern gewachsen und im linken Knie zeichnet sich Arthrose ab. Meine Wohnung ist eine Mischung aus Tradition und Moderne, genauso meine Küche, und man sagt mir, das sei schön. Ich liebe Donald Duck und Shakespeare und schreibe gerne Leserbriefe an die örtliche Tageszeitung. Mit Freuden bin ich kreativ und ich schätze Kunsthandwerk aus aller Welt. Auch Kunst in allen ihren Erscheinungsformen, jedoch die ist mir manchmal auch zu elitär. Auf meinem Bett sitzen vier Schmusetierchen, die ich mir jedoch erst in den letzten Jahren zugelegt habe, umgeben von orientalischen Versatzstücken und tibetanischen Kultgegenständen, ohne dass ich buddhistisch angehaucht wäre. Ich bin christlich orientiert, lasse mich jedoch auch gerne von den anderen Weltreligionen befruchten. Ich schaue so gut wie nie fern, mag jedoch SWR-Kultur- und Klassikradio. Wenn ich shoppen gehe, denke ich auch gerne an mein Inneres Kind und stoße stets auf irgendwelche amüsierlichen Kleinigkeiten, die sich dann unerwartet irgendwo in meiner Wohnung wiederfinden. Als erklärter Englandfan habe ich ein faible für alles Britische und bedaure noch heute, nach einem längeren Aufenthalt auf der Insel, nicht dort geblieben zu sein. Ich träume von englischen Tea-Parties und besitze alles, was man dazu braucht – nur – mir fehlen die Gäste, denn ich bin aufs Land gezogen und noch immer nicht integriert. Ich lebe – wie gesagt – auf dem Land, muss jedoch einmal in der Woche in die Stadt – nur um froh zu sein, abends wieder meine Ruhe zu haben. Manchmal bin ich scharf auf CocaCola mit viel Eis, jedoch ein guter schwarzer Tee geht immer. Das alles hört sich an, wie eine etwas verrückte Kontaktanzeige und in der Tat habe ich meine nettesten Freundinnen über eine solche kennengelernt. Ute hatte eine grüne Strähne im Haar und Martina zwanzig Kilo zu viel. Das ist allerdings vierzig Jahre her. Hört sich vielleicht verrückt an, ist es aber nur ansatzweise. Mein Kleidungsstil ist flott, aber nicht durchgeknallt, meine Wohnung nach Bekunden anderer echt nett, meine Küche einfach nur abwechslungsreich, mein Inneres Kind meine Privatangelegenheit, meine Englandliebe legendär, meine Religion eher freigeistig und mein Musikgeschmack etwas breiter – mehr nicht. Alles mehr oder weniger normal. Ich darf mir das leisten, weil ich eine Single-Lady bin und kein Hahn nach mir kräht. So muss ich mich in meinen persönlichen Geschmäckern niemandem anpassen. Ein kleiner Luxus und eine kleine Freiheit, die ich mir in zunehmend unfreien Zeiten genehmigen darf. Auch mit 71. Im Alter freier zu sein als in der Jugend ist das glückliche Resultat eines nicht immer einfachen Lebens. Und das nicht nur, was meine Geschmäcker angeht. Eigentlich toll. Nichts Spektakuläres, jedoch kleine Fluchten. Was will man mehr? Für die großen ist es ja eh zu spät…!