Albrecht Dürers Mutter

Eine Bildbeschreibung von Ute Lenke

Albrecht Dürer – Bildnis der Mutter
(Public Domain)

Wir sehen auf dem Bild Dürers Mutter, Barbara Dürer, 2 Monate vor ihrem Tod: Eine alte Frau, abgemagert, von langer Krankheit und entbehrungsreichem Leben gezeichnet, die Stirn gefurcht, voller Falten, die Augen geöffnet, ziellos ins Leere blickend, die Wangen hohl, die Lippen verschlossen, aber mit einem leichten Lächeln, ohne Verbitterung. Eine Inschrift auf dem Bild gibt das Todesdatum an: sie war 63 Jahre alt und starb am 17. Mai 1514. Albrecht Dürer (1471–1528) beschreibt sie als „fromm und leidensfähig“, Mutter von 18 Kindern, von denen nur 3 überlebt haben, eine Frau am Ende ihres harten Lebens, das von Krankheiten, Seuchen, Unglücksfällen geprägt war. Das Gesicht der erst 63-jährigen Frau ist geprägt von einem Leben, zu dem ihr Sohn in seinem Gedenkbuch schreibt: “Meine fromme Mutter hat 18 Kinder getragen und erzogen, hat oft Seuchen gehabt, viele andere schwere Krankheiten, hat große Armut gelitten, Verspottung, Verachtung, höhnische Worte, Schrecken und große Widerwärtigkeit.”

Die letzten 10 Jahre ihres Lebens verbrachte sie im Haus ihres  zu Ruhm und Reichtum gekommenen Sohnes Albrecht, half im Haushalt und beim Verkauf der Dürerschen Werke; hier entstand 1514 auch die Kohlezeichnung der Mutter.

Das erste Portrait einer sterbenskranken Frau.

Das Bild wirkt auf den Betrachter erschütternd realistisch, weckt Emotionen und zeigt die schonungslose Wahrheitsliebe Dürers, der in seinen Werken selbst kleinste Details akribisch darstellte. Dieses Bild wirkt allerdings eher wie eine Skizze: Kleidung, Hals und Schulterpartie sind eher flüchtig, aber anatomisch so genau dargestellt, dass es aus ärztlicher Sicht Untersuchungen zur Todesursache gibt (*). Dürer hat wohl mehr auf das ihm vertraute und nun angesichts des nahenden Todes so veränderte Gesicht gesehen – zum Modellsitzen war die Mutter schon viel zu krank und zu schwach. Gezeichnet von einem harten Leben, krank, ausgemergelt, lebenssatt: das Gesicht dieser alten Frau strahlt dennoch Lebensruhe und Frieden aus.

Die Rezeption des Bildes in der Gegenwart

Die Reaktionen der „Kunstwelt“ waren und sind bis heute geteilt: von Ablehnung über Erschütterung bis zu ehrfürchtiger Anerkennung: von „hässlich“ bis zum größten Kunstwerk der Renaissance und Vorbereiter der Moderne reicht die Skala.

Dürer war sein Leben lang auf der Suche nach dem Schönen, Idealen. Er verfasste wie Leonardo da Vinci zahlreiche Bücher mit Berechnungen über menschliche Proportionen, die bis heute Gültigkeit haben. Die Ablehnung galt daher vor allem der Wahrheitsliebe Dürers: die schonungslose Darstellung von Alter, Krankheit, Gebrechlichkeit wurde als „hässlich“ empfunden. Aber Dürer hatte eine andere Auffassung von „Schönheit“: …“die unbedingte Ehrlichkeit“ macht nach Gombrich die Zeichnung zum großen Kunstwerk: „So entdeckt man bald, dass die Schönheit eines Bildes gar nicht so sehr davon abhängt, ob es auch etwas Schönes darstellt“ (**).

Auch zu Dürers Zeit war es nicht üblich, Menschen hässlich abzubilden, hässliche Menschen galten als schlechte Menschen, aber Dürer ging es in der Kunst um Genauigkeit, wie er in seinen Büchern schreibt: jede Falte, jede Ader, jede Sehne sagt mehr aus als ein ganzes Kunstwerk. Doch das Gesamtkunstwerk muss stimmen: die Proportionen, die Beobachtung nach der Natur, Alter, Bewegung, dann erst ist ein Kunstwerk „schön“. Das Bildnis „Die Mutter“ ist daher beides: ein Zeugnis seiner Proportionslehre und der darin geforderten Ästhetik, und eine private Erinnerung des Sohnes an seine nach ihrem Tod tiefbetrauerte Mutter.

Proportionslehre

Wie alle großen Kunstwerke musste sich die „Mutter“ im Laufe der Zeit viele „Deutungen“ gefallen lassen: vom sentimental verkitschten Trostbild im 19.Jahrhundert, über die Interpretation als Ideale „deutsche“ Mutter oder als „Kronzeugin für einen sozialistischen Realismus“ bis hin zu Verballhornungen im Vergleich mit einem Foto der gleichalten Sophia Loren im 20. Jahrhundert.

Und heute, im Zeitalter des Jugendwahns? Was empfinden Sie, wie sehen Sie das Bild, liebe Leser und Leserinnen? Mit voyeristischem Blick als „früh gealtert, schlecht gelebt, krank gestorben“?

Oder wie Albrecht Dürer: als Portrait seiner alten kranken, sterbenden Mutter, ohne jeden Anspruch auf Symbolik, Allegorie oder Deutung, die ihr Leben nach den Normen des Spätmittelalters in christlicher Frömmigkeit gelebt hat; ein Leben in Armut, Mühsal, Krankheiten, das erst im Jenseits belohnt wird? Als Werk eines großen Künstlers zwischen Zeitgeist – Spätmittelalter und Aufbruch in die Renaissance -, zwischen künstlerischem Anspruch und Sohnesliebe?

(*) Pirsig, Wolfgang: „Dürers Mutter“ – aus ärztlicher Sicht, ebd.
(**) Gombrich, Geschichte der Kunst, in Bushart, ebd.

Quellen und weiterführende Literatur:

Zu Dürers Portraitzeichnung seiner Mutter

Künstlerportrait Albrecht Dürer – Revolutionär der Renaissance

Google Arts & Culture BARBARA DÜRER (1514)

Roth, Michael u.a.: Dürers Mutter. Schönheit, Alter und Tod im Bild der Renaissance.
Sonderausgabe 175 Jahre Kupferstichkabinett 1831-2006. Staatliche Museen zu Berlin 2006
Darin: Magdalena Bushart „Dürers Mutter“ im 19. Und 20. Jahrhundert