von Maria Schmelter
Heute habe ich den Auftrag zu meiner 1. großen Reportage erhalten. Ich werde mit einer Gruppe über 90jähriger nach Neuseeland fliegen und erleben, so die Ankündigung der Anti-Aging-Agentur, wie diese über 90jährigen sich ihres Lebens freuen und gemeinsam mit Jüngeren Höchstleistungen vollbringen.
Wir stehen an einem verregneten Januarmorgen am Frankfurter Flughafen. Eine adrett gekleidete, perfekt geschminkte Dame kommt mit einem Cocktail auf uns zu und verspricht, jeder Cocktail tilge 10 Jahre ihres Alters in 5 Minuten.
Ich halte mich diskret am Rand mit der Überlegung, sollte der Cocktail 10 Jahre meines Lebens tilgen, so wäre ich 15 – eine schreckliche Zeit, in die ich nicht zurückversetzt werden möchte. Und den Auftrag zu dieser Reportage hätte ich mit 15 auch nicht bekommen.
Die Gruppe steht zusammen und prostet sich zu; bei ihnen allen scheinen 10 Jahre entbehrlich zu sein. Ich komme mit meinem sportlich gekleideten Nachbarn ins Gespräch. Er ist 94 und hat vor 10 Jahren mit dem Bungeespringen angefangen. Sollte der Cocktail seine Wirkung zeigen, so könnte er nochmal 10 Jahre lang springen. Sein Arzt hatte ihm nämlich geraten, jetzt damit aufzuhören. Und so wollte er seine Karriere mit einem Sprung von der Kawarau Bridge in Queenstown krönen. Na ja, seine 94 Jahre sah man ihm nicht an, aber vielleicht hatte er ja auch einige Verjüngungsdrinks zu sich genommen.
Neben ihm steht Eliza, die gerade im Blitzlichtgewitter der Zeitschrift “For ever young” ihren 90. Geburtstag gefeiert hat. Sie wird auf einer Modenschau in Auckland Modelle vorführen, die so das eine oder andere Defizit von älteren Menschen, die sich noch nicht dem Anti-Aging verschrieben haben, überzeichnen; natürlich mit dem Hintergedanken, sie für die Anti-Aging-Bewegung zu gewinnen. In ihrer Nähe steht Brigitta, sie fährt total ab auf gesunde Ernährung. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, das die über 100jährigen in Japan – und dort leben die meisten 100jährigen -, sich überwiegend von Fisch ernähren. Aus den japanischen Fischen wurde ein spezielles Nahrungsergänzungsmittel entwickelt, das – 3mal täglich gemeinsam mit Rohkost genossen – auch uns dieses lange Leben bescheren soll.
Vor der Kontrolle hat sich ein kleines Grüppchen junger Protestierer versammelt. Auf ihren Plakaten steht: “ Verfliegt nicht unsere Zukunft“. Da kommt auch schon der Leiter der Delegation Herr Dr.Dr. Schönherr, um sich mutig der Diskussion zu stellen. Er erklärt den Jugendlichen, dass sie ja auch in ihrem Sinne forschen, ihnen im hohen Alter ein Leben ohne Einschränkungen zu ermöglichen. Aber – so das Argument der Jungen – bis dahin sei der Planet ja schon ruiniert. Doch Herr Dr. Dr. Schönherr versichert, schon heute setze die Anti-Aging-Bewegung einen Teil ihrer Überschüsse zum Erhalt der Umwelt ein. Schließlich müsse man ja global denken. Die Jungen staunen, in ihrer Panik haben sie immer nur 1 Jahrzehnt weiter gedacht, jetzt werden ihnen ganz neue Horizonte eröffnet.
Da geht die Tür zur WC Anlage auf. Herausgetragen wird die Leiche einer 60 jährigen, die hier jeden Tag geschuftet hat. Sie sieht wirklich alt aus. Nun hat sie das Zeitliche gesegnet. Sie ist an einem Herzinfarkt gestorben – na ja, geraucht hatte sie auch. Diskret wird die Leiche zur Seite geräumt. Ihr Tod aber wirft die Frage auf, welches Ende erwartet uns denn, nach dieser aktiven Phase, in der das Alter keine Rolle spielt. Herr Dr. Dr. Schönherr meldet sich zu Wort, auch daran werde geforscht, wie man das Lebensende so gestalten könnten, wie es sich die meisten Menschen wünschen: abends zu Bett zu gehen und am Morgen nicht mehr aufzuwachen. Jetzt wird die Gruppe zum Gate gerufen und der Chor “Heaven can wait longer” singt zum Abschluss die Hymne der Anti-Aging-Bewegung vom schönen neuen Alter.