“Die Stadien des menschlichen Lebens”

Vom Wandel im Lauf des Alterns – Ein Bild aus einem Dorfmuseum auf Lesbos

von Michael Scheier

Altersbilder im Wandel – dazu gehört auch das Forschende Lernen, das uns Älteren und Alten heutzutage offen steht. In der zweiten Hälfte der 2010-er Jahre bin ich mit einer Studierendengruppe der Universität des 3. Lebensalters Frankfurt (U3L) mehrfach in dem Bergdorf Filia auf Lesbos zu Gast gewesen. Die Leiterin der Gruppe – die Kulturwissenschaftlerin Dr. Ulrike Krasberg – hatte dort seit den 1980-er Jahren gelebt und Feldforschung betrieben. Sie hat dort immer noch ein Haus, und durch sie bekamen wir auch Kontakt zur lokalen Bevölkerung, wurden in deren Häusern für die Zeit unseres zweiwöchigen Aufenthaltes freundlich aufgenommen und lernten ihren Lebensalltag kennen.

Wir nahmen während unserer Aufenthalte an einem Projekt teil, das zunächst auf die Erschließung des im Lauf der Zeit ziemlich verstaubten und zerstobenen Bestandes des Dorfmuseums ausgerichtet war. Dabei wurden die vorhandenen Objekte von uns – wo nötig und möglich – aufgearbeitet, inventarisiert und katalogisiert. Schließlich konnten wir der Dorfbevölkerung einen ersten Vorschlag zur Ausstellung des neu arrangierten und kontextualisierten Museumsbestandes präsentieren. Wir hatten damit Erfolg und konnten auch das Interesse der örtlichen Schule und eines wohlhabenden Sponsoren aus Filia an dem Projekt wecken. Die Ausstellung bleibt “Work in Progress”.

Das Museum liegt im ersten Stock eines Hauses an der Plateia, dem zentralen Platz des Dorfes. Es war um die vorletzte Jahrhundertwende das Wohnhaus des Archonten gewesen, des örtlichen “Bürgermeisters” und Lehnsherren. Die Familie des Archonten war wohlhabend und kam in der ganzen Welt herum. Man brachte immer etwas mit, aus Paris etwa die seinerzeit begehrtesten Parfums und neuesten Kleidermoden. So auch den zu jener Zeit populären Druck des Bildes “Les âges de la vie humaine”, einer Darstellung der “Stadien des menschlichen Lebens”, das Titelbild dieses Lerncafés ist.

Leider sind die Sockelinschriften auch auf dem Titelbild kaum zu erkennen, diese sind v. l. n. r.: “10 ans – Enfance” (Kindheit), “20 ans – Adolescence” (Jugend), “30 ans – Virilité” (Männlichkeit), “40 ans – Maturité” (Reife), “50 ans – Ètat Stationaire” (Stationärer Zustand), “60 ans – Declin” (Abstieg), “70 ans – Vieillesse” (Alter), “80 ans – Faiblesse” (Schwäche), “90 ans – Infirmités” (Gebrechlichkeit). Der sitzende Greis unter dem linken Sockel ist mit “100 ans – Möge Gott mir gnädig sein” betitelt. Die Darstellungen inklusive Inschriften zeigen – besonders deutlich bei “30 ans – Virilité “, Frau und Kind bleiben unerwähnt, sie werden wohl als Teil des Mannseins gesehen -, dass solche Abbildungen immer auch zeitgenössische Vorstellungen einer bestimmten Gesellschaftsform von sich selbst widerspiegeln. Das betrifft natürlich auch das Bild, das man sich vom Altern macht.

Im Original handelt es sich bei dem Bild um eine Chromolithografie aus dem Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Bilder wurden von Hausierern anlässlich religiöser Feiertage, Ablässe, Kommunionen, Jahrmärkte, Dorffeste usw. verteilt.

Eine unserer Arbeiten im Museum von Filia war die Inventarisierung der vorgefundenen Gegenstände und die Erstellung eines Bestandskataloges; zu diesem Zweck wurden alle Objekte fotografiert. Hier wurde das Bild “Les âges de la vie humaine” für den Katalog arrangiert und abgelichtet – mehr Details sind auf dem Titelbild dieser Ausgabe des Lerncafés zu erkennen.

Hier geht es zur Homepage des Museums mit mehr Infos über unsere Arbeit, den Ort und die Insel