Altersbilder im Wandel der Werte

von Martin P. Wedig

Altersbilder sind individuelle oder gesellschaftliche Vorstellungen vom Alter als Zustand, vom Altern als Prozess, vom älteren Menschen als Gruppe oder Person.[1]  Eine einheitliche Definition des alten Menschen fehlt. Kontextabhängig wird von alten Menschen mit Grenzziehungen des Alters gesprochen. In Industriestaaten gilt das 65. Lebensjahr als Beginn des alten Menschen. Gesetzliche Regelungen, der Rentenbeginn, Versicherungen orientieren sich an diesem Grenzalter. Die medizinische Gerontologie unterscheidet junge Alte (60 bis 85 Jahre), die relativ gesund sozial eingebunden und beruflich bis nachberuflich werktätig sind und alte Alte (über 85 Jahre), welche mit gesundheitlichen Einschränkungen häufig pflegebedürftig sind. Personen in der Altersgruppe zwischen 60 und 70 fühlen sich gegenwärtig jünger und würden sich mit 75 Jahren als alt ansehen. In der vorausgegangen Umfrage des Deutschen Gesundheitssurveys sahen sich die Befragten ab dem 71 Lebensjahr als alt an.

Das soziale Alterskonzept der WHO differenziert ältere Menschen normativ feiner:

  • 51–60 „alternde Menschen“,
  • 61–75 „ältere Menschen“,
  • 76–90 „alte Menschen“,
  • 91–100 „sehr alte Menschen“.

Der klinische Arzt spricht von GoGos, SlowGos und NoGos mit Blick auf die Mobilität seiner Patienten, wie sie auch Teil das geriatrischen Assessments ist.

Allen diesen Einteilungen ist gemeinsam die Abkehr von einem nicht-kalendarischen Konzept von Kindheit und Jugend, Reife und Alter als die drei Lebensalter (Abb.1). 

Abb. 1 Ernst Müller-Blensdorf: Die Familie. 1932
Gußeisen. Bahnhof Oberhausen (Foto M.Wedig)

Barbara Beuys [2] beschreibt den „Angriff auf die Familie“ durch den Nationalsozialismus, der Familienbande zerriß. Zuerst mit rassenidelogischem Ansatz, dann, indem Männer dem Kriege dienen und Frauen die Produktion aufrecht erhalten mußten, parallel mit einer Hitlerjugend, welche die Heranwachsenden kriegstauglich machte. Nach dem Kriege konnten die getrennten Welten von Mann und Frau noch gepflegt werden. In dieser Arbeitsteilung war für die Alten als Betreuer der Enkeln und später als Pflegebedürftige Platz. Mit der Gleichberechtigung gewannen Frauen das Recht auf Arbeit, ohne ihren Mann um Zustimmung bitten zu müssen. Mit steigendem Konsum und aktuell mit Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse wurden Doppelverdiener die Regel. Fürsorge für die Alten passte nicht mehr zum Haushalt, und Altenheime, Seniorenresidenzen übernahmen die institutionelle Fürsorge für Hilfsbedürftige. Unsicherheit der Berufswege veranlaßte spätere Eheschließungen, kinderlose Ehen und führte zum Single, der rein der Produktion des Wirtschaftswachstums diente. Gleichlaufend senkte die Familienplanung mit der Verhütungspille die Geburtenrate.

Abb.2 Baum des Alters. Ergebnis einer Gruppenarbeit (Foto M. Wedig)

Im Jahr 2025 sind 20% der Bevölkerung über 66 Jahre alt. Demgegenüber lag 2015 der Anteil der über 65jährigen bei 18,6%. Viele Staatsoberhäupte sind alte bis sehr alte Menschen (siehe unten Tab. 1). Die Medien äußern Überraschung der Wirtschaft von der Rentnerwelle der Babyboomer-Generation. Überwiegend von amerikanischen Auftraggebern initiierte Befragungen versuchen das Konsumverhalten der alten Menschen zu erschließen, denn dieses ist nicht so transparent, wie die mit Datenendgeräten in Echtzeit übermittelten Konsumleistungen der jüngeren Generationen. Ältere Menschen haben Rücklagen und Besitz. Diesen will sich die Wirtschaft mit Verrentungsverkäufen von Immobilien erschließen. Über die Inflation hat sich der Staat einen Großteil der klassischen Spareinlagen zu eigen gemacht. Die Alterswahrnehmung hat sich zwischen 2015 und 2020 mit einem zunehmenden Anteil der älteren Bevölkerung, wachsenden Herausforderungen und veränderten Einstellungen verändert. Es reicht nicht mehr, dass der alte Mensch als Rentner Urlaub und Freizeit konsumiert. Steigende Energie- und Lebenshaltungskosten lassen ihn seine Rücklagen aufzehren.

Abb. 3 Der Alte auf dem Dach. (Foto M.Wedig)
‘Immer für den Freund, niemals für den Ausbeuter”

In einem Seminar der Arbeiterwohlfahrt Herne am 21.7.2025 sammelten die Teilnehmer in vier Arbeitsgruppen (Lebensstile, Kompetenzen, Potentiale, Erwartungen) ihre Ideen, Vorstellungen, Wünsche an das Alter als Blätter in einem Baum des Alters (siehe oben Abb.2).

Alter wird mit einer postmateriellen Lebensweise verbunden, welche sich in Armut und Reichtum scheidet. Mit einer Berentung gewinnen alte Menschen Freiräume, welche sinnstiftend ausgefüllt wird. An die Stelle der Entfremdung in der Arbeitswelt tritt eine neue Selbstfindung, welche durchaus mit altersbegleitenden Behinderungen konfrontiert. “Wann ist man alt?”, lautete eine Frage. Dann, wenn man nicht mehr so handeln kann, wie man es möchte. Aus der im Stadtrat positionierten Gruppe wird eine harsche Ablehnung neu geforderter verlängerter Lebensarbeitszeit oder existenznotwendiger Arbeit neben Rente geäußert. Das wirtschaftlich und politisch proklamierte Bild des Alten auf dem Dach (Abb. 3)  ist ein Wunschbild und kennzeichnet die Veränderung der Zeichnung von Altersbildern in Form programmatischer Skizzen. Was sich 2015 auf 2025 veränderte ist weniger die Selbstwahrnehmung der Alternden und der Alten als vielmehr die Agitprop, welche Bilder vorgibt.





[1]Altersbilder – Lexikon der Psychologie, Hogrefe AG

[2]Beuys, Barbara: Familienleben in Deutschland. Neue Bilder aus der Vergangenheit. Rowohlt Verlag GmbH Reinbeck bei Hamburg. 1980: 472 ff.