„Now And Then“ – Die Beatles und KI

von Beate Seelinger

Letzten Donnerstag, am 02.November 2023 war es dann so weit: im Internet wurde 53 Jahre nach ihrer Trennung und 43 Jahre nach dem Mord an John Lennon der neueste und finale Beatles-Song vorgestellt! „Now and Then“ ist die Ballade betitelt und alle Fab Four sind darauf zu hören. Alle, auch John. Den Gesang übernimmt er, die zweite Stimme Paul, am Schlagzeug sitzt Ringo und die Gitarrenklänge stammen von George. Ein „echter“ Beatles-Song, produziert im Jahr 2023.

KI macht es möglich. Ursprünglich stammt die Ballade aus der Feder von John Lennon, der sie Mitte der 70er Jahre geschrieben und sie ganz privat in seiner New Yorker Wohnung, begleitet von seinem eigenen Klavierspiel, mit Hilfe eines Ghetto-Blasters eingesungen und aufgenommen hatte. In den 90er Jahren hatte Yoko Ono das unvollendete Demo-Band an Paul McCartney übergeben. Dieser schrieb es zu Ende und in den folgenden Jahren versuchten die drei verbliebenen Beatles, das Stück aufzunehmen. Jedoch gelang es mit der damaligen Technik nicht, Johns Stimme von seinem Klavierspiel zu isolieren. Jener hatte so auf seinem Instrument „herumgehackt“, wie die anderen feststellen mussten, dass es seine Stimme dominierte. George Harrison war es, der sich vehement gegen die schlechte Tonqualität wehrte und das Experiment ablehnte, bis sich schließlich alle drei demokratisch gegen die Aufnahme entschieden. Als George dann 2001 verstarb, schien das Unterfangen endgültig vom Tisch zu sein.

Nun, 27 Jahre nach dem letzten gemeinsamen Song „Real Love“ starteten die verbliebenen Bandmitglieder einen erneuten Anlauf. Als Produzent bot sich Giles Martin, Sohn des legendären Beatles-Produzenten George Martin, an. Mithilfe von einer für KI hergestellten revolutionären Software, die von Starregisseur Peter Jacksons („Der Herr der Ringe“) Team für die Disney Plus Dokumentation „Get Back“ entwickelt worden war, ließen sich nun alte Tonspuren aufarbeiten und Johns Stimme ließ sich sauber von seinem Klavierspiel isolieren. KI extrahierte Lennons Stimme aus dem Tape. Es entstand ein neuer Beatles-Song, in dem weder Gesang noch Instrumente von einem Computer stammen. Alles ist echt: Paul wirkt als Bassist und steht für den Johns Stimme begleitenden Gesang. E- und Akustik-Gitarre hatte George Harrison schon Mitte der 90er Jahre eingespielt, Ringo Starr steuerte die Schlagzeug-Rhythmen bei und Giles Martin ergänzte die Streicher-Arrangements. Glasklar herauszuhören ist John Lennons Lead-Stimme. Ein originaler Beatles-Song, der alle Fab Four wieder vereint.

Paul McCartney kommentierte die Neuerscheinung in einem kurzen Statement sinngemäß so: „…Noch dichter an das Gefühl, ihn (John) bei uns im Raum zu haben, werden wir niemals kommen. Es war wahnsinnig emotional. Es war, als wäre John wieder da…“. Sean Lennon, John Lennons Sohn, meinte auf die Frage, was wohl sein Vater zu dem neuen Song sagen würde, er hätte ihn sicherlich geliebt, weil er immer an neuen Aufnahmetechniken interessiert war. Die Verantwortlichen zeigen sich begeistert. Was sagt die Fangemeinde?

Ich kann nicht für die Fangemeinde sprechen. Ich habe am letzten Donnerstag den Song zum ersten Mal über meinen Radiosender gehört. Lange und umständlich wurde er immer wieder angekündigt, bis es dann endlich so weit war. Die Ballade wurde abgespielt und ich fand sie schön. Der sympathische Beatles-Sound, ein bisschen aus der Zeit, jedoch erfreulich vertraut. Ich war gespannt gewesen, was sie mit mir machen würde, wenn ich sie mit dem Wissen hörte, dass da der echte John Lennon mit Hilfe von KI einen neuen Song über den Sender brachte. Es machte erstaunlich wenig mit mir. Wäre die Aufnahme nicht vorher so ausgiebig angekündigt worden, hätte ich vielleicht gedacht, ich hörte ein Lied von früher, das ich nicht kannte. Es war nicht so wahnsinnig aufregend. Und dann forderte der Moderator seine Hörer auf, das, was sie da gerade gehört hatten, zu kommentieren. Whats-App-Adresse und Telefonnummer wurden angesagt und man sollte nun seinen Eindruck mitteilen. Was soll ich sagen? EINE Hörerin rief an, und der Moderator ließ die Geschichte im Sande verlaufen. Der erwartete Hype unter den Zuhörern blieb aus. Warum wohl? Weil die Beatles nun einmal nicht mehr so gefragt sind? Weil es anderen so ergangen war wie mir? Weil wir Ottos Normalverbraucher einfach noch zu wenig über die Möglichkeiten von KI wissen, um uns wirklich zu interessieren? Letzteres wäre fatal, denn da rauscht eine Woge über uns hinweg, von deren Möglichkeiten und Gefahren wir alles in allem viel zu wenig wissen und für die wir in der Community der Uneingeweihten auch gar nicht genug Interesse aufbringen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es für diejenigen, die den neuen Beatles-Song geschaffen haben, ein beeindruckendes Erlebnis gewesen sein muss. Allerdings frage ich mich, wie es für mich wäre, einen Verstorbenen „ganz nah im Raum“ zu haben. Wäre ich auch „enthusiastic about it“ oder „would it give me the creeps“? Ich weiß es nicht. Für die Beteiligten war es ein ausnehmendes Unterfangen. Und das Ergebnis ist schön. Und interessant. Und authentisch. In diesem Bereich droht uns ja auch nur begrenzt Gefahr. Wenn dies die einzigen Spielereien wären, die KI auf Lager hat – na, dann: Let It Be. Jedoch ich fürchte, KI ist ein weiteres Feld…