KI – Eine Beziehungsgeschichte

von Beate Seelinger

In der jüngeren Vergangenheit erlebte ich mein erstes offenkundiges Encounter mit KI, genauer, mit KI als Korrespondenzpartner. Ich hatte mir im Internet bei einer darauf spezialisierten Firma ein „Etruskisches Mosaikset“ zum selber Gestalten bestellt. Voller Vorfreude auf die kreative Herausforderung erwartete ich die Lieferung. Welch eine Enttäuschung! Die Sendung war beschädigt – der Klebstoff ausgelaufen – und ich sah mich gezwungen, die Annahme zu verweigern. Schade, jedoch nichts sprach gegen die Beantragung einer neuen Lieferung.

Das Unternehmen konnte telefonisch nicht erreicht werden. Dies war mir gleich besorgniserregend aufgefallen. Also rief ich mein E-Mail-Programm auf und verfasste ein freundliches Schreiben, in dem ich klarstellte, dass ich die Zustellung vom vorangegangen Tag nicht bezahlen würde, da die Annahme wegen Beschädigung verweigert werden musste. Gleichzeitig bestellte ich den gleichen Artikel noch einmal.

Umgehend kam eine E-Mail zurück, dass ich mich betreffs Zahlungsangelegenheiten an den Finanzdienstleister zu halten hätte, der zwischengeschaltet sei. Die erneute Lieferung werde veranlasst.

Ich verfasste wiederum eine freundliche E-Mail gleichen Inhalts an den Finanzdienstleister, der natürlich auch nicht telefonisch erreicht werden konnte. Es dauerte keine fünf Minuten, bis eine Antwort seinerseits in meinem Postfach landete, die mir mitteilte, dass man sich freue, dass ich mit ihnen Kontakt aufgenommen habe und dass man sich bedanke. Es wurden weiterhin einige Artikelnummern und ein Lieferdatum genannt, auf die ich mich bei der fälligen Bezahlung zu berufen hätte.

Ich rief mein E-Mail-Programm auf und verfasste ein Briefchen, in dem ich ausdrückte, dass ich mich über die zügige Resonanz freute und ich mich bedanke, jedoch, dass offenbar ein Missverständnis vorliege, denn ich beabsichtigte, die Sendung aus genannten Gründen nicht zu bezahlen.

Umgehend erreichte mich nun wiederum eine Mail, in der einige weitere Artikelnummern aufgelistet wurden und ein vom ersten abweichendes Lieferdatum. Man drückte aus, dass  man sich freue, dass ich in Kontakt bliebe, und man sich bedanke und dass ich doch bitte bis zum angegebenen Datum die offene Rechnung begleichen möge.

Spätestens jetzt war mir klar, dass ich mit einer Maschine korrespondierte. Ich bedankte mich für die zügige Bearbeitung, erklärte, dass ich mich freue, von ihnen zu hören, und wiederholte, dass ich die Kosten aus erwähnten Gründen nicht erstatten wolle.

KI freute und bedankte sich, bestand jedoch auf Bezahlung.

Ich sann auf Rache. Zu Beginn meiner neuerlichen E-Mail betonte ich, dass ich mich freute und mich bedanke, verfasste dann jedoch einen hochkomplizierten Bandwurmsatz, in den ich alle mir zur Verfügung stehenden Artikelnummern und Lieferdaten einbaute. Ich war gespannt, was nun passieren würde.

KI hatte jetzt offenbar ein Problem. Es erfolgte keine umgehende Rückmeldung, sondern ich musste zwei geschlagene Tage auf eine Antwort warten. Man freue sich über mein Schreiben und bedanke sich – und: Hurra! (so stand es da!), die offene Rechnung sei beglichen und unser Deal sei abgeschlossen.

Die Freude ob dieser Antwort lag nun ganz auf meiner Seite, jedoch konnte ich mich an keine Überweisung, die ich getätigt haben sollte, erinnern und fand auch unter meinen Kontoauszügen nichts dergleichen. Ich schrieb also zurück, dass ich mich freute und bedankte, dass ich jedoch die Rechnung noch nicht bezahlt hätte.

KI gab erst einmal keine Antwort. Auf diese Art von Resonanz auf seine freudige Mitteilung war er/sie/es offenbar nicht gefasst. KI hatte den Deal abgeschlossen und erwartete nun anscheinend nichts mehr. Es dauerte dann auch zwei, drei Tage, bis ich wieder eine Mail mit bekanntem Absender in meinem Postfach vorfand.

Man freue sich und bedanke sich und ich möge die Rechnung zu wiederum abweichenden Artikelnummern und neuem Lieferdatum doch binnen der nächsten vierzehn Tage bezahlen.

Entnervt freute und bedankte ich mich und versuchte es ein letztes Mal: ich würde zu keiner dieser Artikelnummern und keinem der angegebenen Lieferdaten eine Rechnung bezahlen!

KI freute sich und bedankte sich und ließ mich wissen, dass – Hurra! – die offene Summe ausgeglichen und unser Deal abgeschlossen sei.

Ich freute mich nicht mehr.

Da ich annahm, dass KI und ich irgendwann auffliegen würden, wenn ich es dabei beließe, entschloss ich mich, noch einmal hilfesuchend den Hersteller zu kontaktieren. Wieder schrieb ich eine E-Mail. Es dauerte, bis sich etwas tat, und ich sah mich schon vor dem Kadi, wegen unterlassener Zahlung und Geldhinterziehung. Dann erreichte mich die Mail des Händlers. Ja, ich hätte ein „Etruskisches Mosaikset“ bestellt mit der Artikelnummer so und so und dieses sei geliefert, jedoch nicht angenommen worden. Es sei nun ein zweites „Etruskisches Mosaikset“ unterwegs mit der und der Artikelnummer und ich solle mich bei Bezahlung auf diese und das genannte Lieferdatum beziehen.

Ich atmete auf. Es ging also doch. Offenbar hatte ein menschliches Hirn meine E-Mail gelesen und war in der Lage gewesen, die Zusammenhänge zu verstehen. Tatsächlich traf drei Tage später das zweite, unversehrte „Etruskische Mosaikset“ ein. Ich freute mich und war dankbar und überwies den Rechnungsbetrag. Für einen Augenblick dachte ich daran, den Finanzdienstleister, genauer, meine/n Freund/in, KI, darüber zu informieren. Irgendwie hätte ich ihm/ihr gerne gesagt, dass ich mich freute und ich dankbar sei, dass unser Handel jetzt endgültig abgeschlossen wäre. Wir hatten eine so freundliche Beziehung! Das ist nicht das Übliche heutzutage. Leider jedoch kam ich an dem Eindruck nicht vorbei, dass wir hinlänglich aneinander vorbei geredet hatten. Dies wiederum schien mir nicht besonders beziehungsfördernd und auf Dauer ein wenig ermüdend. Schweren Herzens sah ich davon ab, KI vom letztendlich geglückten Kauf zu unterrichten. Ich wollte unbedingt vermeiden, ihr/sein Arsenal an Repliken noch einmal zu verwirren und womöglich einen weiteren Korrespondenzmarathon zu bewirken. KI war wirklich sehr freundlich zu mir gewesen und vielleicht hatte es ja alles nur an mir gelegen? Mir hatte schon einmal jemand gesagt, ich sei vielleicht etwas schwierig. Oder war KI vielleicht doch nur ein bisschen stur und unflexibel…?

Das „Etruskische Mosaikset“ hat mich an die vierzig ausgedruckte Seiten gekostet, da ich im Falle eines Rechtsstreits etwas in der Hand haben wollte. Es liegt übrigens bis heute unberührt im Bastelschrank. Seit einem Jahr beschäftigt mich eine Sehnenscheidenentzündung am Handgelenk, die mir das Knacken der Mosaiksteinchen verbietet. Jedoch es kommt der Tag! Und dann freue ich mich und bin dankbar, dass ich KI dann doch noch ausgetrickst habe, obwohl wir eine wirklich ausnehmend freundliche Beziehung hatten… .