von Martin P. Wedig
Im Studium lernte ich ELIZA kennen. Der Chatbot ELIZA simulierte einen Psychiater und er erhielt den Leumund, verwechselbar mit einem Psychologen zu sein. Die Chattechnik bestand in der Anknüpfung an die Texte des menschlichen Chatpartners mit Fragen. Warum-Fragen bewährten sich zum Fortsetzen des Gespräches. Alles ließ sich mit „warum“ hinterfragen. Sehr schnell wurde der Chat mit ELIZA langweilig.
Danach kommunizierte ich mit OCTOPUS, einem Automaten der Telekom, der alternativ per Nummerneingabe oder per Sprachauswahl auf Bänder verzweigte. Da der primäre Anschluss meist besetzt war, kam ich kaum in den erfolgsversprechenden Genuss der Sprachauswahl. Mit schnellem Tippen der Ziffernfolgen konnte man die eher lästige, weil bremsende Sprachfunktion auch überholen.
Nach langem Intervall entdeckte ich im Berufsleben CHILIBOT. CHILIBOT erreichte durch seine geringe Wissensbasis schnell Grenzen. Variabler in der Semantik konnte CHILIBOT keine Recherchen im Internet durchführen. Der zweite Daemon war somit auch schnell langweilig.
Heute bot mir der BING BOT von Microsoft seine Dienste an. Sehr, sehr schnell wiederholt der Bing Bot seine Phrasen ohne jede Variation. Bing Bot erfasst eine Chathistorie, aber er kann nicht zählen. So kann er mir nicht meine dritte Frage mitteilen. Mit konventioneller Recherche wäre das für mich mühelos zu ermitteln. Als Chatbot und Suchmaschine kann der Bing Bot keine Anwendungen durchführen, beispielsweise eine Stichprobe testen. Und das, obwohl die Produkte von Microsoft solche Funktionen enthalten. Parallel zu Bing Bot preist Microsoft ein bepunktetes Treueprogramm an. Auf die Frage nach seiner Einstellung gegenüber Microsoft zögert er. Nach Vorbehalten, welche solches Zögern beinhalten könnten, beschwichtigt der Bot und bekennt sich zur Vorbehaltlosigkeit gegenüber jedweder Firma … und sei es die Mafia. Mein Sohn fasst unsere Kundenbewertung alliterativ zusammen: Bing Bot ist blöd.
Wie funktionieren diese Bots? Mit kleinfeldriger Versatzstückfügung1 werden Antworten aus Quellen kompiliert und mit grammatischen Verbindern zu einer Zusammenfassung der oft einzigen Kompilationsvorlage gefügt. Kompilator ist ein Crawler, Redaktor ein Schreibautomat. So wie bei der von Keil und Kruppa gerügten geringen Kreativität des Fälschens schreiben Bots oft plagiatorisch, indem sie keine Quellen nachweisen. Kritische Abwägungen zwischen mehreren Quellen fehlen. Originalität fehlt. Eine argumentative Struktur ist der Kompilationsvorlage entlehnt und mitunter wegen der Verkürzung brüchig.
Was meinen Wissensexperten? In einem Forum äußerte eine Teilnehmerin, sie wisse schon lange nicht mehr, wer noch echt sei, da Texte zunehmend von Schreibautomaten, von künstlicher Intelligenz erstellt würden. Ich meine, so weit her ist es mit der künstlichen Intelligenz nicht. Mir stellt noch der Postbote wesentliche Briefe zu. Diese sind handschriftlich geschrieben und enthalten auch handschriftliche Skizzen.
Wo agiert künstliche Intelligenz anstatt nur zu lesen? Norbert Wiener, der Vater der Kybernetik, löste Anforderungen der automatischen Geschützabfeuerung mit der Einspeisung von Beobachtungsdaten in die Nachführung des Flugabwehrgeschützes, wohl auch der Eigenschwingung von Geschützen. Im zweiten Weltkrieg lag die Treffgenauigkeit von konventionellen Bomben bei 4% im Umkreis von 300 m des Zieles. Und 40% gingen 600 m außerhalb des Zieles nieder. Die Flugbombe Fieseler Fi 103, „Vergeltungswaffe 1“ , ein Vorläufer der Cruise Missiles, traf in einem Radius von 12 km. Der störungsresistente Lenkflugkörper Taurus KEPD_350 hat ein Zielabweichung von weniger als 4 m. Dies ist das eigentliche Tätigkeitsfeld der künstlichen Intelligenz. Starb mein Onkel noch durch das Streufeuer leichter Mörser langsam an den Folgen einer zertrümmerten Hüfte, überstand mein Vater noch mit einem Granatsplitter das Flächenbombardement, dankte ein weiterer Onkel für seinen Heimatschuss, der das Gesicht versehrte, aber das Auge verfehlte – wie wird es da meinem Sohn angesichts intelligenter Waffen ergehen?
Die Generationen übergreifende Erinnerung an Begegnungen mit der Künstlichen Intelligenz sind eher überschattet von Bedrohung als erhellt von Erleuchtung. Natürlich bekenne ich mich zum algorithmischen Credo: Wir brauchen KI für unsere Volkswirtschaft. Google will es. OpenAI sagt es. NVIDEA tut es.
1Keil, G., Kruppa, W.: Kleinfeldrige Versatzstückfügung oder: Wie schreibe ich zeitsparend einen pharmaziehistorischen Aufsatz. Geschichte der Pharmazie 47(1); 1995: 7-10.