Bedroht  KI die Kreativbranche?

von Inge Kellersmann

Die Geschwindigkeit, mit der sich die Künstliche Intelligenz in Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft ohne Schutzvorrichtungen durchsetzt, ist beispiellos. Vor allem in den USA haben Profitinteressen leider auch im künstlerischen Bereich Vorrang. Auch deshalb streikten im letzten Sommer in Hollywood Drehbuchautoren und rund 160.000 Schauspielerinnen und Schauspieler. Der Streik hatte die Produktion in der gesamten Branche fast vier Monate lang lahmgelegt und existenzielle Fragen über die Zukunft der Unterhaltungsbranche aufgeworfen. Die Gewerkschaften verlangten nicht nur eine bessere Vergütung, wenn Filme oder Serien auf Plattformen wie Netflix, Apple und Amazon gestreamt werden.

Ein zentrales Thema war der Einsatz von KI. Autoren waren besorgt, dass Studios sie durch die Technologie ersetzen könnten. Schauspieler befürchteten, dass ihr Abbild ohne Entschädigung oder Zustimmung digitalisiert und simuliert würde. Gefordert wurde deshalb eine Vereinbarung mit den Studios, die deren “ungeregelten Einsatz” verbietet. Von einer “realen und unmittelbaren Bedrohung” spricht die Gilde und verweist darauf, dass schon heute mittels KI die Performance von Schauspielerinnen und Schauspielern täuschend echt imitiert werden könne.

Ein realistisches Szenario, meint auch der Bundesverband Schauspiel. Auch in der EU sei eine Regelung überfällig. Inwieweit die Stimme oder das Gesicht von Schauspielerinnen und Schauspielern in KI-Reproduktionen verwendet werden dürften, sei noch immer eine “rechtliche Grauzone”. Zum Beispiel gibt es jetzt schon eine Software, die potentiell jeden Synchronschauspieler überflüssig machen kann, weil sie “jede Stimme nehmen und imitieren kann, auch die der Originalschauspieler.”

Im EU-Parlament arbeitet man an einem Gesetz, das die “erste Regulierung der Künstlichen Intelligenz” verspricht.*)

Bahnbrechende Technologie

Auf meine  Frage bei ChatGPT, ob Schauspieler wegen KI Nachteile haben, wurde mir im Konjunktiv geantwortet. „Ein möglicher Nachteil für Schauspieler im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz (KI)) könnte die zunehmende Automatisierung von Charakteranimationen sein, was zu einer geringeren Nachfrage nach menschlichen Schauspielern führen könnt. Darüber hinaus könnte die Verwendung von KI-generierten Stimmen und Gesichtsanimationen auch dazu führen, dass menschliche Schauspieler in bestimmten Rollen ersetzt werden.”  

Dagegen ist Regisseur Nolan der Meinung, dass die Kreativindustrie wahrscheinlich den Kampf gegen die Künstliche Intelligenz längst verloren hat. KI sei inzwischen ein fester Bestandteil der Unterhaltungsindustrie. Aktuelle Beispiele dieser Kunst kann man im Kino und zu Hause sehen, wenn ein digital verjüngter Harrison Ford in Indiana Jones and the Dial of Destiny noch einmal gegen Nazis kämpft.

Die KI-Befürworter in Los Angeles preisen die bahnbrechende Technologie damit an, man würde so viele Kosten sparen. Denn man braucht nicht eine Menge Leute, eine Menge Ausrüstung oder eine Menge komplizierter Software mit teuren Lizenzen. Es soll Schauspielern mehr Flexibilität bieten. Ihr „Zwilling“ könnte gleichzeitig einen Film drehen, während sie um die Welt reisen und Werbung für einen anderen Film machen. Dank KI könnten die Schauspieler ihre Rollen immer wieder spielen, unabhängig vom Alter und unabhängig von der Verfassung. Sie könnten sozusagen „ewig“ leben, indem sie nach ihrem Tod digital rekonstruiert werden.

Digitale Doubles

In den vergangenen 25 Jahren ist es bei großen Medienproduktionen immer üblicher geworden, zumindest einige Gesichter und Körper von Darstellerinnen und Darstellern digital zu verdoppeln. Einige Firmen für Spezialeffekte setzen bereits KI ein, um das Aussehen von digitalen Doppelgängern schneller zu verändern bzw. Schauspieler in Filmen zu verjüngen. Allerdings gibt es bisher noch kein KI-Modell, das eine gesamte fotorealistische bewegte Szene von Grund auf erzeugen kann. Standbilder lassen sich viel einfacher erzeugen als Videos, die sich im dreidimensionalen Raum abspielen.

Dennoch besteht die Gefahr, dass die digitalen Doubles der Schauspieler missbraucht werden. Wenn man das Gesicht eines Menschen einfach mit dem eines anderen austauschen kann, was hindert die Filmemacher dann daran, einen Schauspieler in jede Einstellung eines jeden Actionfilms zu setzen? Oder 100 Statisten durch einen einzigen zu ersetzen und mit Hilfe von KI die Illusion von einer Menschenmenge zu erzeugen? Obwohl Personen in den meisten US-Bundesstaaten das Recht an ihrem Bild haben, so gibt es großzügige Ausnahmen für die künstlerische Nutzung, und das Filmemachen könnte leicht darunterfallen.

An welchen Merkmalen erkennt man KI-Fake-Bilder?

Papst Franziskus in einer schicken weißen Daunenjacke, Ex-Präsident Donald Trump, der sich gegen eine Festnahme durch Polizisten wehrt: Diese Bilder gingen in den zurückliegenden Wochen um die Welt. Auch wenn sie überzeugend echt aussehen, hat eine KI-Software sie erzeugt.

Solche Fälschungen tauchen in Bild- oder Videoform inzwischen immer häufiger auf und sind als „Deepfakes“ bekannt. Während überzeugende Ergebnisse früher sehr viel Aufwand und Mühen erforderten, ermöglichen heutige Programme ein Deepfake in nur wenigen Sekunden zu erzeugen: Man tippt eine kurze Beschreibung der Szene ein, die man darstellen möchte, und erhält nach kurzer Rechenzeit – sofern die Eingabe passend formuliert war – eine fotorealistische Ausgabe.

Gerade bei Händen hat KI nach wie vor große Probleme. Sie generiert etwa zu viele Finger oder die Hände wirken total unrealistisch. Auch Zähne sind schwierig für KI. Aber es gibt noch viele andere Faktoren, wie beispielsweise ein sehr verzerrter Hintergrund. Auch Beleuchtungen oder Schattenwürfe passen oftmals nicht zusammen.

Einigung mit den Filmstudios

In Folge des Streiks in Hollywood wurde ein Paket vereinbart, dass den Angaben zufolge ein Volumen von mehr als einer Milliarde Dollar hat und eine Laufzeit von drei Jahren sowie Mindestlöhne und einen neuen Beteiligungsbonus für Filme und Serien bei Streamingdiensten beinhaltet. Die Vereinbarung enthält außerdem Schutzmaßnahmen gegen das unerlaubte Nutzen von Bildern, die durch Künstliche Intelligenz geschaffen wurden.

Natürlich werden die Techniken der KI immer raffinierter. Und mancher KI-Profi rät Schauspielern, sich möglichst schnell digitalisieren zu lassen und sich die Rechte am eigenen Datensatz zu sichern.  

Eine Bühnenschauspielerin, mit der ich mich über die neuen Möglichkeiten des KI unterhielt, glaubt nicht, dass KI das unmittelbare Liveerlebnis mit echten Schauspielern ersetzen kann: „Jeder Mensch ist ein eigenes Individuum, hat eine Seele und ist nicht austauschbar. Was auf der Bühne oder auch vor der Leinwand in dem Moment passiert, ist lebendig. Das nimmt uns gefangen.“

*) Stand Dezember 2023. Mehr zu dem KI-Gesetz siehe:

Weltweit erstes KI-Gesetz – was das bedeutet

https://www.zdf.de/nachrichten/wissen/ki-kuenstliche-intelligenz-eu-gesetz-100.html#xtor=CS5-281