Wunsch und Wirklichkeit

von Carmen Hill

Es gibt viele Dinge, die man sich wünschen kann und oft bekommt. Manchmal geht dann eine Türe auf oder auch wieder zu. Vielleicht war es dann besser, dass sich der Wunsch nicht erfüllt hat. Ja, und dann gibt es noch: Was ist, wenn der Wunsch sich erfüllt und du bekommst, was du willst?!

Vor etwa dreißig Jahren war ich zum ersten Mal in Tunesien, in Hammamet. Vom Hotel aus war die Besichtigungstour durch die „Medina Hammamet“ angesagt. Ich ging mit und verliebte mich sofort in die verwinkelte Altstadt mit ihren engen Gassen. Die weißen Häuser mit ihren türkisblauen Gittern vor den Fenstern und mit Ornamenten verzierten Türen. Das gefiel mir. Auf einmal wünschte ich mir: hier will ich mal wohnen. Aber wie und wann? Ich hatte Kinder zu Hause und ich war jung und musste arbeiten gehen. Na ja, Urlaub in Tunesien ist ja okay.

So begann das Abenteuer Tunesien, das mich auch noch heute fasziniert und zu meinem Leben gehört.

Der Weg war lang und manchmal sehr steinig, bis ich das Abenteuer wagen konnte, auszuwandern.

Als ich in Rente ging, erfüllte ich mir sofort meinen Wunsch und Traum. „Medina Hammamet“. Der Weg in Tunesien war allerdings nochmals sehr steinig.

Die Wohnung löste ich in Deutschland auf und den ganzen Plunder verschenkte ich. Ich behielt Fotos und etwas Schnickschnack. Auf einmal spürte ich eine große Freiheit und den Neuanfang. Diesen Schritt bereue ich nie.

Allerdings ärgert es mich bis heute noch: Abmeldung von der Gemeinde! „Jetzt bist Du wohnsitzlos“, bekam ich gesagt. „Wahlunterlagen haben wir demnächst für Sie.“ „Nein danke, die brauche ich nicht und will ich auch nicht als Wohnsitzlose in Deutschland.“ „Die werden doch nach Tunesien geschickt!“ „Nein danke, behaltet alles. Ich gehe!“

Mit tunesischen Freunden fuhr ich dann über Österreich, Italien und der Fähre nach Tunis bis Bou Arboub zu meiner Familie. Trotz Scheidung von meinem Ex-Mann – er war Tunesier – gehöre ich bis heute noch zur Familie.

Was für eine Überraschung – die Familie hat mir eine Wohnung zurechtgemacht! Allerdings war sie weit weg von Hammamet im Landesinneren in einem kleinen Dorf.  Ich hatte Familienanschluss und mit ein paar tunesischen Frauen Kontakt. Nur, mein Arabisch war so lala, Deutsch und Englisch sprach keiner. Nach zwei Monaten fühlte ich mich sehr alleine und einsam.

Was sollte ich tun, denn so ging es nicht weiter. Also „wie“ oder „was“ will ich tun? Zurück nach Deutschland, das will ich nicht. Aufgeben? Nein! So fuhr ich für ein paar Tage nach Hammamet in ein Hotel neben der Medina.

Ein Spaziergang durch die Altstadt – oh, wie ich die Medina liebe! Plötzlich stand ich bei einem Maler vor einem Atelier.

„Hallo, bist Du nicht von der Pfalz?“

 „Ja!“ Er sprach pfälzisch. „Warum?“

Er sagte, er habe in Landau gewohnt und wäre Diplomübersetzer.

„So! Ich bin aus der Nähe von Neustadt.“ „Kennst Du dann den…?“

„Ja“, sagte er, „das war mein bester Freund.“

„Ich kenne ihn auch sehr gut.“

Die Welt ist klein (auch ohne Smartphone) und ich sagte: „Ich will hier in der Medina wohnen.“

„Komm morgen wieder!“

Das tat ich. So hatte ich ein kleines Haus mit einer wunderschönen Terrasse (vom Preis erschwinglich) mit Sicht über das Meer, in die Berge und auf Hammamet. Am Abend schaute ich mir den Sonnenuntergang an, wie der Mond aufging, und wenn ich nicht schlafen konnte, setzte ich mich auf die Terrasse und genoss die sternenklare Nacht.

An der tunesischen Küste (Foto Maja Pree)

Drei Tage später zog ich ein. Meine Familie freute sich nicht so sehr, half mir aber doch beim Umziehen. Sie akzeptierte meine Entscheidung.

Zwei Jahre lebte ich dort, es war ein interessantes und abwechslungsreiches Leben am Meer und ich lernte viele liebe, nette einheimische Menschen kennen. Ich gehörte zur großen Familie dazu.

Dann kam die Wirklichkeit – mein Wunsch war erfüllt – mit der ich nicht rechnete. Es war ein ganz starkes Gefühl, es war zu stark und es hieß „Heimweh“. Das kannte ich noch nicht. Oft konnte ich es ausblenden, aber es war stärker als ich. So, was nun? Zu diesem Zeitpunkt kam auch noch dazu, dass es meiner Mutter schlechter ging, sie war doch schon alt und kränklich. Ich traf eine kurzfristige Entscheidung, wieder zurück nach Deutschland zu gehen, denn ich bekam innerhalb eines Tages die Zusage für eine Wohnung (im selben Haus, da wohnte ich vorher schon). So war ich innerhalb von einer Woche wieder zurück. Meine Wohnung war frisch renoviert und mit Second-Hand-Möbeln (da konnte ich innerhalb eines halben Tages wieder ausziehen) gestaltete ich mir eine gemütliche Wohnung und ich schaute nach meiner Mutter. Allerdings wusste ich nicht, dass kurz danach die „Freiheitsberaubung“ durch die Corona-Maßregelungen auf mich zukam.

Das Heimweh kehrte sich um, es hieß jetzt „Tunesien“.

Das letzte halbe Jahr war ich schon drei Mal in meiner zweiten Heimat im Hotel neben der Medina. Ich habe dort gute Freunde, Familie. Ich bin überall herzlich willkommen und bekomme immer gesagt: “Du gehörst zu uns, du bist eine halbe Tunesierin. Komm so schnell es geht wieder zurück!“

Heimweh hat auch seine guten Seiten und mein Wunsch ist es, so oft ich kann zu meinen lieben, netten Freunden, meiner Familie nach Tunesien zu reisen – pendeln zu können.