Vom Wünschen

von Vera Bümlein-Lees

Sicher kennen Sie das alle: Wenn Sie zum Beispiel zu Weihnachten oder zum Geburtstag nach Wünschen gefragt werden, sagen sie oft: “Ich habe doch schon alles“ oder “Ich bin wunschlos glücklich“ oder sonst irgendwas. Aber sicher gab es auch mal eine andere Zeit.

So war es bei mir.

Jeder weiß natürlich, dass Wünsche in Erfüllung gehen, wenn man eine Sternschnuppe sieht und sich dabei ganz fest etwas wünscht.

Eines Tages ergab sich diese Gelegenheit.

Wir hatten Onkel Max und Tante Hanna besucht. Als wir uns auf den Heimweg machten, war es schon so dunkel geworden, dass der Himmel mit Sternen übersät schien. Vielleicht, um uns den weiten Weg etwas zu erleichtern, machten uns unsere Eltern auf den großen und den kleinen Wagen aufmerksam.Während ich nach den beiden suchte, ergoss sich im Hintergrund eine Kaskade von Sternschnuppen. Auf so etwas hatte ich schon lange gewartet; denn ganz tief in meinem Herzen hatte ich einen großen Wunsch: ich hatte mir schon immer einen Tretroller gewünscht. So einen, wie Günter, der bei uns im Haus wohnte, besaß.

Ab und zu ließ er mich damit fahren. Aber nur, weil ich versprochen hatte, ihn später zu heiraten und Bäuerin zu werden. Denn Günter wollte später ein Bauer werden.

Wenn ich einen eigenen Tretroller hätte, könnte ich mir das noch einmal überlegen.

Und es gab noch einen weiteren Grund. So ein langer Weg, wie der, den wir gerade gehen mussten, wäre ein Vergnügen, wenn man ihn fahren könnte.

Kinder mit Tretrollern in Berlin (Bundesarchiv/Wikimedia)

Vielleicht sogar würden mich die Jungs, die bei uns in der Straße wohnten, in ihre Firma aufnehmen. Diese Jungs besaßen alle einen Roller. Einen Holzroller, einen Roller mit Ballonreifen oder auch einen Tretroller. Diese Roller konnte man für 5 Pfennige ausleihen und damit die ganze Anscharstraße bis zur Vicelinstraße und wieder zurück fahren. Leider hatte ich nie soviel Geld zur Verfügung, um mir dies Vergnügen leisten zu können. Umso toller wäre es, wenn ich einen eigenen Tretroller hätte. Nicht nur, dass ich so oft Roller fahren könnte, wie ich wollte. Nein, es würde sogar die Möglichkeit geben, mit ihm Geld zu verdienen.

Also, als ich die Sternschnuppen erblickte, wünschte ich mir so fest einen Tretroller, dass ich fast geplatzt wäre. Auf keinen Fall durfte man damit herausplatzen. Das wäre eine Katastrophe geworden.

Denn wie ja jeder weiß, muss man seinen Wunsch verheimlichen damit er in Erfüllung gehen kann.

War das etwa der Grund, warum ich bis heute keinen Tretroller besitze?

Es gibt verschiedene Arten von Wünschen.

Als erstes fallen mir die materiellen Wünsche ein. Die kann man sich sofort erfüllen oder ihre sofortige Erfüllung aufschieben. Man kann auf sie sparen, um sie sich später zu kaufen oder man kann sie sich von anderen Menschen wünschen. Üblicherweise sind Geburtstage, Weihnachten oder so herausragende Ereignisse wie Konfirmation, Hochzeit oder Geburt eines Kindes Anlässe, zu denen man sich etwas Materielles von anderen Menschen wünschen darf.

Weiterhin gibt es Wünsche, die einen selbst betreffen und für deren Erfüllung man nur selbst verantwortlich ist. Dazu gehört, mit Rauchen aufzuhören, dicker oder dünner zu werden, den Schreibtisch ordentlicher zu haben oder durch sauberere Fenster schauen zu können

Es gibt auch die Wünsche, die einen selbst betreffen und für deren Erfüllung jemand anderes zuständig ist. Beispiele hierfür sind, wenn man sich wünscht, dass der Partner anruft, wenn es einmal später wird, dass die Kinder ihre Sachen ohne Aufforderung selbst wegräumen oder dass die Freundin mal wieder einen Brief schreibt.

Dann gibt es die Wünsche, die einem sehr wichtig sind, doch die möglicherweise nie in Erfüllung gehen werden. Ein wenig sind wir zwar selbst für ihre Erfüllung zuständig. So richtig aber glauben wir nicht an unseren Einfluss. Eigentlich wissen wir gar nicht genau, an wen man sich mit diesen Wünschen wenden kann, wer genau dafür zuständig ist, dass unser Wunsch nach Frieden, auf größere Gerechtigkeit in der Welt oder Verschonung von Naturkatastrophen in Erfüllung geht.

Schließlich gibt es Wünsche, die zeigen, wie machtlos wir letztendlich sind, so sehr wir auch erhoffen, dass diese Wünsche in Erfüllung gehen. Dazu gehört, einen geliebten Menschen nicht durch den Tod zu verlieren, dass wir alle Gliedmaßen behalten oder dass wir körperlich und geistig selbständig bleiben können.

Die Wunscherfüllung von letzterem erhoffen wir uns manchmal durch ein Gebet.