Was ist denn eigentlich „Nachhaltigkeit“?

von Beate Seelinger

Thema: Nachhaltigkeit. „Was soll man denn dazu noch schreiben?“, war meine erste Reaktion, als ich diese Schreibaufgabe zu lesen bekam. Mir schien, dass darüber doch schon alles an allen Ecken gesagt sei, dass die Aufforderung zur Nachhaltigkeit die Vögel sozusagen von den Dächern pfiffen, und dass man sich dazu weiß Gott nicht mehr äußern müsse. Inzwischen – drei Texte zum Thema weiter – hat sich diese Einstellung einigermaßen geändert. Ich bin ans Nachdenken gekommen, und vor allem betrachte ich mich selbst immer wieder unter dem Aspekt des nachhaltigen Seins, Lebens, Agierens – ja, wie bezeichnet man ihn denn, den Umgang mit dem Wörtchen „Nachhaltigkeit“? Dieses Kunstwörtchen – denn eigentlich gibt es Nachhaltig“keit“ ja gar nicht. Ursprünglich kannten wir – die Älteren mögen sich erinnern – nur das Adjektiv „nachhaltig“, was bedeutete, „sich für länger stark auswirkend“. Die Umweltbewegung hat uns daraus die Vokabel „Nachhaltigkeit“ beschert und den Begriff mit ganz neuen Konnotationen belegt. Wir benutzen das Wort, das ursprünglich gar nicht so häufig in der Umgangssprache eingesetzt wurde, heute in allen denkbaren Zusammenhängen und so gut wie nur noch im ökologischen Kontext. Den Begriff „Nachhaltigkeit“ nicht zu kennen, bedeutet politisch inkorrekt zu sein und vor allem absolut und überhaupt nicht auf der Höhe der Zeit.

Es wäre also geklärt: „Nachhaltigkeit“ hat mit Umweltbewusstsein zu tun. Ich muss gestehen, dass für mich selbst das Wörtchen noch nie eine so große Rolle gespielt hat. Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe bisher immer versucht, in meinem höchst persönlichen Sinne „vernünftig“ zu leben. Mit der Schreibaufgabe wurde nun an diesem meinem Verständnis nachhaltig gerüttelt. Inwiefern ist mein Lebensstil nachhaltig? Gibt es überhaupt „Nachhaltigkeit“ in meinem Leben? Und wenn ja, wo und wie viel?

Also betrachtete ich erst einmal meinen Alltag. Was esse ich? Verlässlicherweise streikt mein System Körper sofort, wenn ich zu viel oder überhaupt Convenience Food zu mir nehme. Also koche ich so gut wie immer frisch und selbst, das heißt, die Menge der Verpackungen hält sich in Grenzen. Allerdings, einen Anteil am Verpackungsmüll habe ich schon, denn auf dem Markt und offen kaufe ich nicht, und im Supermarkt und beim Discounter sind die Dinge zum Teil eben verpackt. Mein ökologischer Fußabdruck erweist sich hier also als etwas zu groß, denn unverpackt und im Naturkostladen wäre besser, wenn auch die Discounter heute schon attraktive Bio-Linien haben. Nur, einen Naturkostladen gibt es hier nicht und er ist auch teuer – das ist einfach Wahrheit. Das überlege ich mir, das muss ich mir überlegen. Die Art der Lebensmittel bleibt bei mir – obwohl ich für alles Fremdartige offen bin – auf das Gängige beschränkt, mediterrane Genüsse einbezogen. So kaufe ich im Großen und Ganzen regional. Das ist dann schon eher gut.

Was die Hygiene angeht, kann ich nicht behaupten, dass es in meinem Badezimmer ohne Plastik zuginge. Duschgels, Shampoos, Lotionen kommen in Kunststoffverpackungen daher. Manchmal steht darauf, dass sie vorher etwas anderes waren. Aber da könnte ich besser sein. Höchstens Note drei.

Früher, als ich noch in der Stadt wohnte, habe ich sehr häufig meine Kleidung in fantastischen Second-Hand-Läden, manchmal auch auf dem Flohmarkt gekauft. In der Stadt hatte man da wunderbare Möglichkeiten, und es gab oft neuwertige Kleidungsstücke mit winzigen Fehlern, die bekannte Marken diesen Geschäften überlassen hatten. Auch Hausrat bezog ich dort – und originellen noch dazu. Das war zu Zeiten, als man über Nachhaltigkeit noch gar nicht tagtäglich nachdachte. Ich tat es, weil mir das Stöbern und Auffinden von Schnäppchen ungeheuren Spaß machte und auch, weil ich um ein Vielfaches mehr für mein Geld bekam als anderswo. Ich fand so Schätze, die ich mir sonst gar nicht hätte leisten können. Und das Einkaufen ward um einiges aufregender. Da war ich jünger, jetzt kaufe ich Kleidung im Geschäft – Flohmärkte mag ich allerdings heute noch. Jedoch erstehe ich fast alles, was ich an Jacken, Hosen, Pullovern und Mänteln brauche, in einem ganz kleinen Kaufhaus hier auf dem Land. Und man wird es nicht glauben: was ich hier zu immens günstigen Preisen kaufe, ist von viel besserer Qualität als in den großen Kaufhäusern in der Stadt. Baumwolle und Viskose statt Polyacryl und flott und trendy noch dazu. Das ist ein wahrer Glücksfall, dieses Geschäftchen, und es spart mir noch dazu die längere Fahrt und das oft nicht nur erfreuliche urbane Shopping-Erlebnis. Die Dinge erweisen sich als haltbar, nicht übertrieben modern, aber jugendlich und formbeständig. Ich fühle mich mehr als wohl darin und möchte mit den Boutiquen auf der Einkaufsmeile in der nahegelegenen Stadt gar nicht tauschen.

Trotzdem muss ich manchmal – oder auch öfter – hin in die Stadt. Dann fahre ich mit der Bahn. Ich verfüge über ein Seniorenticket, das mir zu günstigem Preis die Fahrt bis ins Elsass erlaubt und zudem die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in der City. Auch dies resultierte weniger aus einer Überlegung bezüglich Nachhaltigkeit als vielmehr aus einer mein Portemonnaie betreffend. Diese Art der Vorwärtsbewegung ist so viel günstiger als das Autofahren und so viel angenehmer! Ich fahre dann immer fünfundzwanzig Minuten durch das Neckartal, und die Ausblicke aus dem Zugfenster sind zu jeder Jahreszeit grandios. So kommen zum nachhaltigen Fortbewegen noch Naturerlebnis und Muße hinzu. Ich kann mich ausruhen auf dem Weg hin und zurück, kann meine Gedanken baumeln lassen oder lesen oder – was allerdings selten vorkommt – mich mit meinem Gegenüber unterhalten.

Allerdings: ein Auto besitzen wir auch. Das steht jedoch meist in der Garage. Nur zum vierzehntäglich stattfindenden Einkauf auf der grünen Wiese wird es dann länger bewegt. Manchmal auch hier im Ort, wenn die Zeit für den Gang ins – übertrieben gesagt – Zentrum nicht reicht oder wenn es schüttet. Ansonsten erreicht man alles zu Fuß. Da sind ein paar Hügel inbegriffen, und so hat man auch ein wenig Bewegung – exercise, wie es heute heißt. 

Bedenke ich nun, dass ich erst einmal in meinem Leben geflogen bin (ich habe jedoch keine Flugangst) und auch noch nie eine Kreuzfahrt gebraucht habe, ist in diesem Bereich mein Umweltverhalten gar nicht so schlecht. Allerdings würde ich das alles immer so machen, auch wenn es ökologisch nicht opportun wäre. Ich finde es einfach vernünftig, in Echtzeit und individuell zu reisen – aus vielen Aspekten heraus, und Massentourismus liegt mir nicht. Dass ich mich da auch nachhaltig verhalte, ist eher ein Nebeneffekt.

Wie sieht es mit dem Energieverbrauch aus? Seit eh und je werden bei uns im Winter Räume, die nicht häufig benutzt werden, gar nicht oder gering geheizt. Schon immer betreiben wir das „Stoßlüften“ und haben unsere Raumtemperatur nie über einundzwanzig Grad eingestellt. Bei uns brennen keine Lampen in Räumen, in denen sich niemand aufhält, und die Türen werden im Winter, auch wenn es ein bisschen schwer fällt, geschlossen. Die Ratschläge, die ich nun in Bezug auf die Energiekrise in der Zeitung lese, kenne ich fast alle aus dem Mund meiner Eltern, als ich noch ein Kind war. Damals war von Umweltbewusstsein noch keine Rede. Man war ganz einfach sparsam, das war der treibende Grund. So muss ich mich heutzutage gar nicht verrenken – es war schon immer so. Und wenn mein Verhalten nachhaltig ist, dann umso besser.

Ich dusche ohnehin nicht zehn Minuten lang, ich habe ja noch etwas anderes zu tun. Vollbäder nehmen wir nie, es gibt in unserem ganzen Haus keine Badewanne. Das bedauere ich manchmal, vor allem, wenn ein Erkältungsbad anstünde. Jedoch unsere Badezimmer sind nicht überaus groß, und so haben wir aus der Not eine Tugend gemacht. Wir haben für den Garten Wasserfässer, die Regenwasser sammeln, allerdings reichen die – das muss man zugeben – in den trockenen Sommern heutzutage nicht aus. Man muss gießen, und zwar Leitungswasser. Das tut mir in der Seele weh, denn ich denke an die Menschen, die kilometerweit, vor allem an die Kinder, die meilenweit Wasser suchen und an halb ausgetrockneten Brunnen schöpfen müssen. Ein zweischneidiges Schwert: die Pflanzen in meinem Garten sollen überleben, jedoch ich möchte Wasser nicht vergeuden. Da fühlt man sich unwohl und gespalten. Aber das, so scheint mir, ist ein eher ethisches Problem.

Also es gibt einiges in meinem Lebensstil, das nachhaltig ist, ohne nachhaltig sein zu wollen. Es ist einfach so, schon immer und aus diversen Gründen. Das freut mich, jedoch bin ich nicht ohne Gewissensvorhaltungen, dass einiges besser sein könnte. Wir haben für zwei Personen drei Tüten DSD-Müll in vier Wochen. Ist das viel? Ich finde schon. Das Zeug muss irgendwo hin und wird verbrannt werden müssen. Und zu viel Plastik, noch immer in meiner Küche und im Bad, wie gesagt. Die Restmülltonne muss oft gar nicht geleert werden. Da produzieren wir wenig Müll, die Biotonne, schon wegen des Gartens – wir haben keinen Kompost – jede Woche. Aber wir benutzen eine kleine Tonne. Kompost wäre besser, jedoch das Grundstück lässt ihn nicht zu. Überall würden Nachbarn sich gestört fühlen, und die haben ihren abgeschafft, weil es Ratten gab. Zugegeben, sie haben etwas falsch gemacht. Aber seither wird Kompost hier kritisch gesehen.

Was also ist „Nachhaltigkeit“? Ist „Nachhaltigkeit“ wirklich etwas so Neues? Ist „Nachhaltigkeit“ nicht auch gleichzusetzen mit der altmodischen Sparsamkeit und der trockenen Vernunft? Hat es bei uns Älteren „Nachhaltigkeit“ nicht schon immer gegeben? Nur, nannten wir es „Nachhaltigkeit“? Wie sind wir dahin gekommen, dass wir den Jungen einen neuen Begriff als ein neues Lebensgefühl um die Ohren hauen müssen? Ist es wirklich nur die Schuld der Jungen? Haben da nicht wir Älteren etwas an den uns folgenden Generationen falsch gemacht? Waren nicht wir es, die ihnen unser Verhalten nicht adäquat und genügend vermittelt haben? Wollten wir nicht, dass sie es „besser haben sollten“, und sie sich nicht mit Sparen und zu viel Vernunft herumschlagen müssten? Was haben wir falsch gemacht, wir konnten „Nachhaltigkeit“ doch einmal? Wir haben die Konsumgesellschaft selbst geschaffen, der nun unsere Jungen auf den Leim gehen. Und wir haben sie zum Konsum erzogen. Jede Generation trägt an der Last der vorhergehenden. Wir haben da etwas vermasselt. Und zwar gründlich.

Da waren die Nachkriegszeit und das Wirtschaftswunder. Und mit dem nahm alles seinen Lauf. Die Generation unserer Eltern erlebte, wie es ist, sich etwas leisten zu können und erfuhr den Lustgewinn daraus. Und seither geht es so weiter, denn Lustgewinn befriedigt – wenn auch vielleicht nur in zeitlichen Grenzen. Und nun haben wir die Konsumgesellschaft, die nichts mehr als Lustgewinn kennt. Das mögen wir alle, ich selbst inbegriffen.

Wir werden das Rad nur langsam zurückdrehen, wenn überhaupt. Die Lage ist deprimierend. Die Nachhaltigkeitsbewegung scheint nicht an allen Fronten zu greifen. Noch ist sie nicht internalisiert. Alle reden von Nachhaltigkeit, aber die Müllberge werden und werden nicht kleiner, noch immer verbrauchen wir Energie ohne Ende. Wir tun uns so schwer, zurückzublicken und aus der Vergangenheit zu lernen, und unsere Verhältnisse lassen eine einfache Wende zurück natürlich auch nicht zu. Wir streben naturgemäß in die Zukunft und richten unseren Blick ungern zurück. Dabei wäre es jetzt so sinnvoll, die Vergangenheit zu betrachten und von den Vorfahren zu lernen. Was tun? Predigen nützt nichts. Und die Erinnerung stirbt aus.

Ich hoffe dennoch, dass wir ein wenig zuversichtlich sein dürfen, ein neugeschaffener Begriff könne etwas Neues bewirken. Wie dies genau vonstatten gehen soll, bleibt mir allerdings verborgen. An eine wirkliche revolutionäre Wende kann ich leider nicht glauben. Jedoch, steter Tropfen höhlt den Stein, sagt man. So tut sich vielleicht auf Dauer etwas – man kann es nur hoffen! Das wäre nicht nur zu wünschen, das wäre dringend notwendig, das wissen wir alle. Die Zeit läuft und die ökologische Uhr tickt. Nachhaltig.