von Peter Schallock
Einst hieß es: “Hast Du was, dann bist Du was!“, heute: „Shop till you drop!“ Die Slogans mögen sich über die Jahrzehnte geändert haben, sagen aber doch noch immer das Gleiche aus. Haben wir früher schon so fleißig konsumiert, wie wir es heute tun? Oder ist unsere Wegwerf-Gesellschaft mit allen bekannten Konsequenzen reiner Zeitgeist, während wir früher doch nachhaltiger und umweltfreundlicher lebten? Eine eindeutige Antwort fällt schwer.
„Wir Älteren haben schon immer nachhaltiger gelebt, sind mit unseren Besitztümern sorgsamer umgegangen. Haben weniger weggeworfen und damit auch die Umwelt geschont. Wir kennen uns aus!“ Hat mir eine reifere Dame erst in der letzten Woche mit mahnendem Unterton erzählt. Nicht zum ersten Mal.
Stimmt das? Keine Frage: Wer selbst Mangel erlebte oder von den Eltern erfuhr, wie es war, nach einem Krieg buchstäblich mittellos anzufangen, entwickelte ein anderes Verhältnis zu materiellen Dingen. Da überlegte man zweimal, warf nicht einfach weg. Nicht mehr Erwünschtes, das noch zu verwenden war, wurde an jene weitergegeben, die es gebrauchen konnten, es landete nicht einfach im Müll. Defektes wurde nur entsorgt, wenn es tatsächlich nicht mehr zu reparieren war. Viele Gegenstände im Haushalt, Möbel sowieso, waren noch aus wesentlich haltbareren Materialien. Da wurde nur neu gekauft, was ersetzt werden musste, und nicht, was gerade modern war.
Fast jedenfalls. Meine Eltern nutzten lange einen alten Allround-Küchenofen: zum Kochen, Backen und Heizen. Der Küchenschrank war aus massivem Holz. In der Waschküche stand ein befeuerbarer Steinzuber. Verfeuert wurde, was brannte. Kein Mensch dachte an giftige Emissionen.
Aber die Zeichen standen auf Fortschritt. Meine Mutter war heilfroh, das alte Zeug loszuwerden, das heute unter Liebhabern stolze Preise erzielen würde. Presspappe und Sperrholz hielten Einzug, Elektroherd und Waschmaschine. Stromfresser, die das Leben leichter machen. Nachhaltig leben, wenn man es aus heutiger Sicht als solches verklären will, war schon vergleichsweise mühsam.
Und, machen mir uns nichts vor: Manchmal war Konsumverzicht einfach nur ein Ausdruck von Mangel. Nicht jeder konnte so, wie er wollte.
Früher war alles besser, oder nicht?
Nicht alles, aber vielleicht manches. In dem Dörfchen, in dem ich aufwuchs, gab es einen Bäcker, einen Metzger – der sogar noch selbst schlachtete, einen Gemischtwarenladen. Die Milch holte man sich direkt beim Bauern. Der belieferte die Dörfler auch mit Kartoffeln. Der eigene Garten versorgte uns ganz passabel mit Gemüse, und das Kellerregal war gefüllt mit Eingemachtem und selbst gekochter Marmelade. Man musste nicht jedes Mal in ein Auto springen – das man ja auch gar nicht hatte – um zum Supermarkt auf der grünen Wiese im benachbarten Städtchen zu fahren. Und gesünder war es bestimmt auch. Auch wenn im Garten bei Schädlingen schon mal ordentlich die Chemiekeule zum Einsatz kam. Konnte nur helfen, denn es ging ja um Ungeziefer.
Nun gut, man heizte mit Holz, Kohle, Briketts, und auch die alten Pantoffeln, zuweilen auch die eine oder andere Plastikverpackung, landeten im Ofen. Dann kamen irgendwann die Ölöfen, die nicht immer so brannten, wie sie sollten, und die Wohnung verpesteten. In den Gärten wurde nach Lust und Laune gegrillt und gezündelt, und der ganze Haushaltsmüll landete auf der örtlichen Mülldeponie, Altöl und Chemikalien schon mal inbegriffen. War ja alles nur Abfall. Umweltbewusstsein beschränkte sich darauf, dass keine zusammengeknüllten Papierchen oder sonstiger Müll am Straßenrand lagen. Umweltschutz war hauptsächlich ein anderes Wort für „sauber und ordentlich“.
Dem Fortschritt kann keiner entgehen
Technischer Fortschritt und wachsender Wohlstand wurden natürlich auch auf dem platten Land begrüßt. Mit aus heutiger Sicht durchaus diskutablem Ergebnis. In meinem Dörfchen fuhr damals alle zwei Stunden ein Bus in das ein paar Kilometer entfernte Marktstädtchen. Heute gibt es neben dem Schulbus nur noch eine einzige Busfahrt, und meist sitzt niemand außer dem Fahrer im Bus. Damals war das ganz anders; besonders zu den Hauptverkehrszeiten war es schon mal schwierig, überhaupt einen Sitzplatz zu bekommen.
Dafür stehen heute vor jedem Haus Autos, und nicht immer die billigsten. Oft zwei davon, manchmal auch mehr. Das Dörfchen ist längst ein Dorf, es gab ja genug Land, das zugebaut werden konnte. Die schmuddeligen Ecken mit den alten Häusern, in denen niemand mehr leben wollte, sind verschwunden. Teuer wurden Bauen und Wohnen, denn nicht nur das benachbarte Marktstädtchen ist innerhalb von Minuten zu erreichen, auch die Fahrt zur mittelgroßen Kreisstadt dauert nur zwanzig Minuten – mit eigenem Auto, versteht sich.
Wirtschaftswunder und Sparsamkeit passten nicht besonders gut zusammen. Man wollte sich endlich mal was leisten können. Von Nachhaltigkeit sprach kein Mensch. Überhaupt sollten im Autoland Deutschland doch so viele Menschen wie nur möglich Auto fahren. Freie Fahrt für freie Bürger! Unsere Orte wurden oft so „modernisiert“, dass man mit dem Auto auch noch direkt vor dem kleinsten Laden halten konnte. Man war eben fortschrittlich, aber nachhaltig war das nicht unbedingt.
Heute retten die Jungen unseren Planeten
„Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt!“ plakatierten die Grünen bereits 1983, also vor beinahe 40 Jahren, in Abwandlung eines indianischen Sprichworts. Ihre damals für viele Zeitgenossen naiv wirkenden Aussagen waren nicht die ersten und einzigen Warnungen. Bereits 1972 schrieb der Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“. Wirklich zugehört haben nur wenige.
Heute sind es überwiegend die ganz Jungen, die an „Fridays for Future“ für eine lebenswerte Zukunft demonstrieren. Nicht alle Zeitgenossen sind davon begeistert. Schon gar nicht, wenn es die Jungen übertreiben, sich irgendwo festkleben oder anderen, manchmal gefährlichen Unsinn treiben.
Es gibt auch ein paar Sonderlinge, die bewusst Konsumverzicht üben und einen minimalistischen Lebensstil führen. Die nur besitzen, was sie wirklich brauchen. Da stehen nur noch ein paar Teller, Tassen und Töpfe in der Küche, liegen nur noch wenige Kleidungsstücke im Schrank, und die Wohnung ist äußerst sparsam möbliert. Angeblich hat das „Entrümpeln“ auch positive Auswirkungen auf unsere mentale Gesundheit. Vielleicht zeigen uns diese Menschen, wie wir verantwortungsvoller leben können. Aber ob das jeder will?
Vorwärts in die Vergangenheit?
Klimawandel und andere Veränderungen unserer Lebensgrundlagen werden zwar sichtbarer, zeigen aber nur örtlich oder vorübergehend Wirkung – wenn Flüsse über die Ufer treten oder bei langanhaltenden Hitzeperioden. Und gerade in schwierigen Zeiten wie heute muss die Ökologie eben warten, wird nachhaltiges Handeln zur Nebensache.
Denn im Moment wird anscheinend alles nur teurer. Es mag seltsam klingen, aber vielleicht hat es auch eine gute Seite, wenn wir uns weniger leisten können. Dann werfen wir weniger weg, flicken und reparieren wieder mehr. Und fahren wieder öfter Fahrrad oder Bus und weniger Auto.
Fast so wie früher.