von Beate Seelinger
Nachhaltigkeit oder das Glück zwei Apfelbäume zu besitzen
Vor etwa vierzig Jahren pflanzte mein Vater in unseren Garten um das Haus im Neckartal zwei Apfelbäume. Der eine sollte später einmal „Goldparmänen“ tragen, der andere die Oktobersorte „Idared“. Während es sich bei den Goldparmänen um einen der ältesten Tafeläpfel handelt, wurde Idared um 1935 in den USA gezüchtet und gilt somit als relativ modern. Die kleineren, grüngelben bis orangeroten Parmänen werden seit alters her hoch geschätzt. Es gibt sie seit etwa 1550. Im Französischen lässt man sich hinreißen, sie als „Reine des Reinette“, also „Königin der Äpfel“ zu loben. Sie gelten als säurearm, verfeinert mit leicht nussigem Aroma, während der dunkel- bis purpurrote Idared eher feinsäuerlich, ohne ausgeprägte Note daher kommt. Die tiefrote Sorte lässt sich gut lagern, die goldene neigt zur Glasigkeit und Schrumpfung.
Es dauerte ein bisschen bis zur ersten nennenswerten Ernte. Heute, fast vierzig Jahre später, atmen wir erleichtert auf, wenn einer der beiden Bäume in seinem dreijährigen Turnus einmal mit der Fruchtproduktion aussetzt. Ja, alle drei Jahre ruhen sich die Bäume nun aus – allerdings nicht im parallelen Rhythmus. Wir können das gut verstehen, denn sie tragen überschwänglich. Kommen sie beide zusammen, werden wir regelmäßig von einer Apfelschwemme überrollt, sei es, weil sie von der Frau meines Cousins kunstvoll, formschön und fachmännisch geschnitten werden, oder sei es, weil das Klima stimmt. Und da kommt die Nachhaltigkeit ins Spiel: Zwei kleine Bäumchen, die wir zu einem überschaubaren Preis erstanden, bescherten uns im Laufe der Jahre kistenweise Äpfel, die wir verarbeiten, verschenken und genießen dürfen! Sie machen uns, abgesehen vom jährlichen Schnitt, keine Arbeit und trotzdem beschenken sie uns so reichlich und so üppig! Und nicht nur das. Im Frühjahr werden wir Jahr für Jahr aufs Neue von ihrer Schönheit überwältigt, wenn sie in einem rosa-weißen Blütenrausch die ersten Bienen anlocken. Sie sind also nicht nur uns nützlich.
Später können wir dann an mehreren Tagen ernten, da die unter dem Laub versteckten Früchte später reifen als die, die dem Sonnenlicht ausgesetzt am Ast hängen. Wir pflücken in zwei Phasen. Erst die Goldparmänen im September, dann die Idared im Oktober. Schon im August backen wir den ersten Apfelkuchen vom Fallobst. Wenn wir dann ernten, holen wir die Früchte mit Hilfe einer Apfelbreche von den Bäumen und schichten sie in Obststeigen. Diese habe ich von verschiedenen Lebensmittelmärkten und vom Markt erbettelt, was ihnen ein vorschnelles Ende in der Presse ersparte. So wird weiterverwertet, was dem Müll zugedacht war, und was an sich eine praktische und sogar schöne Sache ist. In die Kisten verpackt lagern sie dann in der Garage und im Gartenhaus, die Goldparmänen bis etwa Ende Januar, die Idared-Sorte oft bis zum Mai, wann man sie zwar nicht mehr gut roh essen kann, wann sie aber noch sehr gut für Kompott und Kuchen zu gebrauchen sind. Wir müssen also von August bis Mai keine Äpfel fürs Müsli, für den täglichen Verzehr oder für Kuchen kaufen und Konfitüren, Kompotte, Sirups, Säfte, und Chutneys, die wir herstellen, halten übers ganze Jahr. Wir können einmachen: Marmeladen und Konfitüren in allen Variationen – Apfel-Kürbis, Apfel-Birne, Apfel-Pflaume mit Schuss, Apfel-Blaubeere, Apfel-Feige, Apfelgelee pur oder mit Gewürzen – der Möglichkeiten gibt es da schier unendlich. Wir können passierte Kompotte und stückige zu unseren Reibekuchen essen.
Es stapeln sich in meinem Küchenregal die Rezepte für Apfelkuchen aller Art, die uns ein gutes halbes Jahr lang immer wieder erfreuen. Die Konfitüren verschenken wir. Nicht alle natürlich, aber immer gern als Mitbringsel gesehen ist ein Sortiment in einem Körbchen, in ein kariertes Tuch gebettet. Und wir tauschen mit Nachbarn, nicht nur die Produkte, die unserer Ernte entspringen, nein, auch die Früchte, so wie sie geerntet werden. Denn jeder hegt andere Sorten, die zu wieder anderen Zeiten reif werden. Von rechts kommen Frühäpfel, Klaräpfel, die uns schon im August auf den Herbst hinweisen, wir mit unserer späten Art sind Ende Oktober gerne noch einmal gesehen. Die Herbstmonate verstehen sich eindeutig als Apfelmonate bei uns und was uns unsere beiden Bäume hergeben, ist wahrlich kaum zu bewältigen. Unsere Bekannten und Verwandten müssen helfen und uns ein paar Kistchen abnehmen. Früher war es selbstverständlich, heute gilt es als nachhaltig, einzukochen, zu verschenken, zu tauschen, zu lagern. Wir führen gerne die alte Gepflogenheit fort und freuen uns, damit auch noch politisch korrekt im grünen Trend zu liegen.
Sind die Äpfel erst einmal geerntet, fällt bald das Laub. Mühe macht es wenig, es zusammenzukehren, und man kann es als Winterschutz und Kompost auf die Beete verteilen. Wir häufen gelegentlich einen Hügel von Blättern in einer Ecke des Gartens an, damit vielleicht ein wohnungsloser Igel noch vor hereinbrechender Kälte einen Unterschlupf findet. Ein paar Äpfel bleiben auf den Bäumen hängen oder werden von uns auch auf der Wiese liegen gelassen. Die Vögel im Garten picken sie im Winter an, auch Kleintiere und Insekten – als willkommene Abwechslung und Nahrungsergänzung. In den Apfelbäumen hängen auch die Futtersilos und –häuschen für die gefiederten Wintergäste. So ist selbst das kahle Baumgerippe in der kalten Jahreszeit noch zu etwas gut. Wir haben Spaß daran, die Bewirtung im Vogelrestaurant zu beobachten und die quirligen Freunde im Geäst begrüßen zu dürfen. Das ganze Jahr über haben die Apfelbäume etwas zu bieten und mit welch zarten Setzlingen fing alles an…!
Mein Vater hat seine Apfelbäume sehr geliebt. Von seinem Platz im Esszimmer aus konnte er mitten in die Goldparmäne schauen. Er bangte wegen später Fröste, er entdeckte die erste Blüte, er war froh, wenn das Laub wieder so dicht wurde, dass man die Straße nicht mehr sah, er schätzte die Ernte ab, wenn die ersten Fruchtstände erschienen, und bevor es ans Pflücken ging, genehmigte er sich erst einmal einen Apfel direkt vom Baum. Er wischte ihn dann an seinem Blaumann ab und biss hinein, dass es krachte und der Saft spritzte. „Die Goldparmänen sind einfach gut!“, sagte er dann, „und man hat viel davon.“
Heute ernte ich die Äpfel, und ich mache es genauso. Der erste Apfel am Ernte-Tag wandert in den Bauch. So wie er vom Baum kommt. Und das ist immer der beste. Ich bin eigentlich gar nicht eine so große Obstesserin und an meinen Vater, der jeden Tag einen Apfel verputzte, reiche ich nicht heran. Er wurde recht betagt und war bis zuletzt auch bei guter Gesundheit. „An apple a day, keeps the doctor away.“, sagt der Brite. Bei meinem Vater hat sich das Sprichwort bewahrheitet. Und da hätten wir noch einen Nachhaltigkeitsaspekt: Äpfel sind einfach gesund. Und sparen Arztkosten.