Themen, über die man schreiben muss

von Beate Seelinger

In der Literatur gibt es Themen, an denen man einfach nicht vorbeikommt. Jeder hat schon einmal darüber gelesen, im Zweifelsfall auch schon selbst dazu geschrieben, jedem sind sie vertraut. Sie sind so urmenschlich, dass eigentlich jeder etwas dazu sagen kann. Und jeder, der etwas auf sich hält, sagt etwas dazu. Eines davon ist – wie könnte es anders sein – die Liebe. Die gesamte Weltliteratur hat sich bis heute nicht erschöpft, die Liebe in Gedichten, Dramen, Romanen, Kurzgeschichten und Essays abzuhandeln, sich in allen Variationen darüber auszulassen, und auch in der Musik und in den bildenden Künsten muss man nicht lange danach suchen. Nicht verwunderlich, dass sich die Thematik auch dem geneigten Amateur-Literaten geradezu aufdrängt. Mir selbst, ganz spontan und unmittelbar, als ich kürzlich das Cover eines Buches betrachtete. Man hätte alles Mögliche zu diesem Bildchen schreiben können, jedoch, obwohl nichts offensichtlich auf diese menschliche Befindlichkeit hinwies, hatte ich gleich eine Liebesgeschichte im Kopf. Keine übliche Liebe und nicht ganz die gängigen Versatzstücke, jedoch Liebe destotrotz. Liebe in der tierischen Welt, aber allzu menschlich. Und hier verhackstückt in einer nicht zu tierisch ernsten Geschichte:


Überzeugt!

Inzwischen waren vier Jahre vergangen, seit Rhadscha mit dem Zirkus „Konfetti“ durch die Lande zog. Einerseits liebte Rhadscha das Zirkusleben, andererseits jedoch hasste er es abgrundtief. Er mochte es, dass man von Stadt zu Stadt gefahren wurde und dabei viel Gegend sah. Jedoch, dass man versuchte, ihm seit all der Zeit Kunststücke beizubringen, die er vorführen sollte, während er von unzähligen Leuten begafft wurde, das verabscheute er. Und so kam es, dass Curry, sein Dompteur, schier an ihm verzweifelte. An sich war Curry ein begnadeter Trainer, jedoch an Rhadscha versagten all seine Künste. In vier Jahren hatte der gerade einmal gelernt, sich mit dem Rüssel am Schwänzchen des Vordermanns festzuhalten, während die kleine Herde in die Mange ein- und auszog. Keine Verbeugung, kein Kniefall – nichts. Und so schimpfte Curry in sich hinein, Rhadscha sei ungemein stur.

Ja, richtig geraten: Rhadscha war ein Elefant. Und zwar ein indischer. Kleiner als seine afrikanischen Kollegen, mit kleineren Ohren und auch sonst ein bisschen anders. Curry, sein Pfleger, stammte ebenfalls aus Indien und man sagte ihm nach, mit Elefanten besonders gut zu können. Wusste Curry doch viel von Elefanten zu erzählen, das hatte auch Rhadscha bereits herausgefunden. Wenn Lehrer und Schüler in der Mittagssonne dösten, hatte ersterer dem an sich sanftmütigen Tier hin und wieder erzählt, dass Elefanten in Indien für heilig gehalten wurden und dass ein solcher dort dem höchsten Gott als Reittier diente. Auch seien Elefanten ganz besonders intelligent, das sähe man schon an ihren großen Köpfen. Aber sie seien auch hervorragende Arbeiter und hätten ein außergewöhnlich gutes Gedächtnis. Und überhaupt: Elefanten seien toll.

Rhadscha hörte all das gerne und mit großen Ohren. Es machte ihn ein bisschen stolz, jedoch nicht deswegen wollte er keine Kunststücke lernen. Er mochte es einfach nicht, dass man ihm dabei zusah, wenn er etwas machte. Heimlich hatte er schon einmal einen Kniefall geübt, als er ganz alleine gewesen war. Und das hatte auch gut geklappt. Also unbegabt war er nicht. Nur diese gaffenden Leute…!

Während Rhadscha und Curry noch darüber nachdachten, wie es mit dem zirkusungeeigneten Mitarbeiter weitergehen sollte, hatte sich Rolando Tusch, der Direktor vom Zirkus „Konfetti“, schon seine eigenen Gedanken gemacht und überlegt, einen weiteren Elefanten anzuschaffen, um den Flop mit Rhadscha auszubügeln. Im Stillen plante er, den kleinen Inder, wenn man einmal an einem Zoo vorbei kommen sollte, dort abzugeben. Als Zoo-Elefant würde er ja noch durchgehen, denn hübsch anzusehen war er ja. Eigentlich eine Schönheit. Es war eine Schande: dieser gut aussehende Elefant taugte so gar nicht für seinen Zirkus!

Und so kam es, dass Rhani zur Herde stieß. Rhani stammte ebenfalls aus Indien und kam beinahe zierlich daher für eine Elefantendame. Sie konnte schön mit den Ohren wedeln und galt als von ungewöhnlich freundlichem Gemüt.

Rhadscha pflegte immer etwas zurückhaltend zu sein, wenn es um neue Bekanntschaften ging. „Man weiß ja nie, um wen es sich da handelt“, sagte er sich dann, aber in Wirklichkeit war er ja nur ziemlich schüchtern. So beäugte er Rhani zunächst aus der Ferne. Zuerst fiel ihm auf, wie elegant sie mit den Ohren wedeln konnte. Er versuchte, es ihr in einem unbeobachteten Moment gleich zu tun. Das klappte allerdings überhaupt nicht. Und dann fiel sein Blick auf ihre Wimpern. Schier endlos lang bogen sie sich anmutig in die Höhe. Ihren Blick vermeidend, bestaunte er unter halb geöffneten Lidern hervor ihre riesengroßen Augen. Nach innen gerichtet wirkte Rhanis Schauen, entrückt beinahe, während sie auf einem Bündel Gras herum kaute. Sie schien ihn nicht zu sehen. Sie schien überhaupt niemanden zu sehen. Ganz in sich selbst ruhend stand sie da, während ihr Rüssel mit dem Grünzeug vor ihren Füßen spielte. Rhadscha hatte das Gefühl, sie sei ihm haushoch überlegen. Und immer wieder musste er sie ansehen.

Während der nächsten Tage versuchte Rhadscha ebenso unbeteiligt zu wirken, wie Rhani. Aber es gelang ihm nicht im Geringsten. Immer sah er vor seinem inneren Auge ihre charmant wedelnden Ohren, musste er unauffällig zu ihr hinüber blinzeln. Irgendwie fühlte er sich neuerdings auch ein wenig einsam. Es drängte ihn hinüber, in Rhanis Nähe. Die jedoch schien ihn rein gar nicht zu beachten. So fühlte er sich noch ein bisschen einsamer. Seine Melone schmeckte ihm auch nicht so wie sonst. Diese Ohren! Wenn nur diese Ohren nicht gewesen wären…!

Rhani hatte sich bald in die Herde eingelebt, blieb aber trotzdem seltsam für sich. Rhadscha indes hatte in den letzten Wochen einige Kilo abgenommen. Sein Futter schmeckte ihm gar nicht mehr so richtig. Und er schlief auch so schlecht. Irgendwie bekam er diese Ohren nicht mehr aus dem Sinn. Und dann diese Augen…!

Er machte sich Sorgen um sich. Dass er keinen Appetit hatte, das kam so gut wie nie sonst vor. Und normalerweise konnte er doch immer durchschlafen! Ob er krank war? Bekümmert betrachtete er die Falten an seinem Bauch. Ob es etwas Ernstes war? Curry machte sich auch Sorgen, das sah man. Er sagte zwar nichts, jedoch betrachtete er immer öfter stirnrunzelnd die übrig gebliebenen Kohlköpfe. Dann tätschelte er Rhadscha den Hintern und sagte: „Be a good boy, Rhadscha! Be a good boy!“ und zog kopfschüttelnd von dannen.

Rhadscha mochte Curry sehr gerne und wollte ihm keine Sorgen bereiten. So entschloss er sich, Zumba, seinen afrikanischen Freund, ins Vertrauen zu ziehen. Zumba hörte aufmerksam zu, bis schließlich ein kleines Lächeln um seine Mundwinkel spielte. „Du bist nicht krank, Rhadscha!“, ließ er vernehmen, während er herzhaft einen Salatkopf zermalmte. „Du bist verliebt!“

Rhadscha stutzte. So fühlte es sich an, wenn man verliebt war? Er meinte, eindeutig krank zu sein. Das hatte er sich anders vorgestellt. „Was macht man denn da?“, fragte er Zumba. „Die Liebste erobern“, gab der lapidar zurück, kaute weiter und machte keine Anstalten, das weiter zu erklären.

„Und du glaubst, das könnte klappen?“, fragte Rhadscha unsicher. „Warum nicht?“, murmelte Zumba, während ihm ein Salatblatt aus dem Maul heraushing. „Clever bist du ja normalerweise. Wenn du jetzt noch das eine oder andere Kunststück könntest…“, fügte er als dumme Bemerkung hinzu, sehr zu Rhadschas Ärger.

Rhadscha trollte sich von dannen. So war er also verliebt. In wen, da brauchte er ja nicht lange zu überlegen. „Rhadscha und Rhani, Rhani und Rhadscha!“, sang es in seinem Kopf. Er versuchte einen kleinen Hüpfer. Das klang gut. „Rhani und Rhadscha!“ Das passte super.

Doch wie die Liebste erobern? Rhadscha überlegte angestrengt. Er könnte seine Melone mit ihr teilen. Oder sie ihr ganz überlassen. Oder ganz zufällig mit seinem Rüssel über eines ihrer Ohren streicheln. Nein, das wäre zu viel Nähe. Aber die Vorstellung…! Himmlisch!

Am Abend ließ Rhadscha wie zufällig seine Melone rüber zu Rhani rollen. Aber sie beachtete sie gar nicht. Am nächsten Abend schaufelte er mit seinem Rüssel ein paar Salatköpfe zu ihr hin. Sie nahm keine Notiz. Er zweifelte daran, dass man sie mit lautem Tröten überzeugen könne. Was also tun?

Rhadscha dachte nach. Das merkte man. Er stand ganz abgesondert von den anderen und hatte tiefe Denkfalten auf der Stirn. In der Manege war er noch geistesabwesender als sonst. Man konnte ihn nicht ansprechen. Er brütete etwas aus.

Am Mittwochnachmittag sollte wieder eine Vorstellung stattfinden. Rhadscha wirke auf alle, besonders auf Curry, höchst nervös. Dann ging die Elefantennummer los. Die Herde trottete Rüssel an Schwänzchen in die Manege. Alle zeigten ihre Kunststücke, auch Rhani das bereits gelernte. Nur Rhadscha trottete, wie immer, tatenlos im Rund herum. Schon wollte Curry das Signal zum Abtreten geben, da tönte plötzlich ein gewaltiges Tröten durch das Zirkuszelt und ein kleiner indischer Elefant gab sich einen riesigen Ruck und stand plötzlich, ohne dass er selber wusste wie, auf einem Bein – im Zentrum der Manege und im Zentrum des Interesses! Applaus toste auf, Bravo-Rufe ergossen sich über den schwitzenden Elefanten. Und noch einmal: jetzt auf dem anderen Bein! Rhadscha übertraf sich selbst und kostete zum ersten Mal, wie es war, von allen Seiten beklatscht zu werden. Jedoch das war ihm egal. Er nahm die Menschen um ihn her gar nicht wahr. Hatte er nicht ein bewunderndes Tröten von der anderen Seite der Manege her gehört? Als er in die Richtung schaute, aus der es geklungen war, sah er Rhani mit ihrem schönsten Lächeln auf den Lippen und mit applaudierend wedelnden Ohren. Rhadscha verbeugte sich. Nicht etwa vor dem tosenden Publikum! Er wagte einen Kniefall hin in Richtung Rhani und diese schlug auf reizende Art ihre Wimpern nieder. Curry stand fassungslos dabei. Vergaß sich zu verbeugen und gab das Signal zum Abzug. Rhani fasste zärtlich Rhadschas Schwänzchen und abends teilten die beiden unter freundlichem Ohrenwedeln ihre Melonen… .