von Ute Lenke
(Auszug aus „Meine unmaßgeblichen Memoiren“)
Heute ist der Erwerb der ersten „Tonne“ für die i-Dötzchen ein kostspieliges Vergnügen, an dem sich die ganze Verwandtschaft beteiligt und das das Budget mancher Familie sprengt. Und der Inhalt, den die Eltern bis zum ersten Schultag angeschafft haben müssen, wiegt dann oft mehrere Kilo. Da hatten wir es leichter:
Lesen und Schreiben hatte ich mir schon selbst beigebracht, aber weil ich „unterernährt“ und häufig krank war, kam ich erst 1948, mit fast 7 Jahren in den Genuss von Schul-Bildung. Dieses große Ereignis im Leben eines Kindes fand damals nach den Osterferien statt. Es gab einen Gottesdienst, so wie heute auch, aber keine Schultüte: angesichts der vielen Flüchtlingskinder (wohlgemerkt: Flüchtlingskinder aus dem 2. Weltkrieg) hatte der Rektor Schultüten für alle verboten. Doch welche Überraschung! Am Ende des aufregenden ersten Schultages überreichte mir meine Mutter feierlich:– eine Schultüte. Die war heimlich aus Tapetenresten gebastelt, und es waren sogar ein paar Süßigkeiten darin. Mein Ranzen – so hieß das Utensil für die wenigen Schulsachen – bestand aus einer Art Pappe, die mit graukariertem, wasserdichtem Material beschichtet war, so dass nicht der erste Regenschauer gleich die ganze Pracht wegschwemmte. Zum Schreibenlernen benutzten wir eine Schiefertafel, Kreidegriffel und einen Schwamm, der an einem Bindfaden am Ranzen baumelte, mit dem man alles wieder wegwischen und andere Kinder nassspritzen konnte. Die Hausaufgabe lautete: eine Tafel voll schreiben: rauf, runter rauf, Pünktchen drauf – hui, das quietschte bei den krakeligen Schreibversuchen so schön. Trotz der Papierknappheit gab es eine Fibel, in der wir „mit Genehmigung der britischen Militärregierung“ die spannenden Geschichten von „Willi und Dora auf dem Land“ lesen konnten.
Nach mehreren Wohnungs- und Ortswechseln lernte ich schließlich eine dritte und letzte „Volksschule“ kennen. Hier gab es sogar eine Turnhalle und Musikunterricht. Leider war der Unterricht eher zu modern: ich war in der 4. Klasse, vor dem Übergang auf eine Oberschule, konnte lesen, schreiben, rechnen. Mein Lieblingsfach war „Rechnen“ (sic!), Aufsätze konnte ich überhaupt nicht schreiben, fand der Lehrer, denn die Fantasie ging häufig mit mir durch – und „Schreiben“, im Sinne von „Schönschreiben“, was benotet wurde, war eine Qual: ich hatte längst eine eigene und wie ich fand schöne, saubere Handschrift; leider entsprach die nicht der neuesten Norm, die dieser Lehrer verlangte. Ich musste umlernen auf die lateinische Ausgangsschrift, mit dem Ergebnis, dass ich seitdem eine katastrophale, unleserliche Handschrift habe (ein Graphologe tröstete mich später: wenigstens sei diese Handschrift doch sehr individuell und Ausdruck von Kreativität – na gut, die Analyse war teuer genug).
Als später eine Nachkriegsanschaffung ins Haus kam – eine uralte Schreibmaschine – schrieb ich vieles mit dieser Schreibmaschine – später dann auf meiner heißgeliebten kleinen “Olympia”-Reiseschreibmaschine. Es ist doch was dran an dem Spruch: nicht für die Lehrer, sondern fürs Leben lernen wir – ohne Herrn Bruns wäre ich sicher heute weniger technikbegeistert.