Pilgern auf der Schwäbischen Alb

von Maria Schmelter

Der Titel dieser Lerncafe-Ausgabe „Anders Reisen“ erhält eine ganz neue Bedeutung, nachdem die Auswirkungen der Coronakrise unser Leben in unvorstellbarer Weise verändert haben. Ganz viele Geschichten vom Reisen in ferne Länder, mit wenig Geld und viel Abenteuerlust, hätte ich zu erzählen. Berichten möchte ich von meinem Pilgerweg über die Schwäbische Alb vor über 20 Jahren. Ausgangspunkt war das Städtchen Balingen. Weitere Etappen waren Nusplingen, Kloster Beuron, Meßkirch und Pfullendorf. Dazwischen lagen jeweils Wanderstrecken von 15 – 22 km.

Was hatte mich bewogen, mich auf diesen Weg zu begeben?

Ich wollte meine Angst, allein zu sein und allein zu laufen, überwinden und mein Gottvertrauen stärken.

Auf meinem Weg begegneten mir nur wohlwollende Menschen, die mir zu essen und zu trinken anboten und mir die nächste Wegstrecke erklärten, wenn ich vom Weg abgekommen war. Die guten Erfahrungen ließen mich über meine Ängste hinauswachsen.

Beim Schreiben dieses Berichts  taucht die Landschaft, die ich durchwanderte, wieder auf. Es ist eine besondere Erfahrung, tagelang zu Fuß unterwegs zu sein, durch Wald, Feld und Dörfer, über Hügel und weite Hochflächen  Alles, was ich brauchte (und noch viel mehr), trug ich in meinem Rucksack. Meine Übernachtungsquartiere hatte ich vorher festgelegt.

St. Peter und Paul-Friedhofskirche Nusplingen
St. Peter und Paul-Friedhofskirche Nusplingen (Poisend-Ivy, CC BY-SA 3.0 mit Link: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

In Nusplingen besichtigte ich die alte Friedhofskapelle, deren Gründung auf das Jahr 650 nach Christus zurückgeht. Mein Führer ließ mich an seinem Wissen teilhaben. Er zeigte mir die Figur vom „Veit auf dem Häfele“, zu dem die Menschen mit Bettnässproblemen das folgende Gebet gesprochen haben sollen:

„Oh heiliger Sankt Veit, weck mi bei Zeit, et zˋfria ond et zˋspot, dass ja nix ens Bettle nei goht.“

So entstand in mir eine Ahnung, wie sich die Menschen mit ihren Sorgen und Nöten über die Jahrhunderte hinweg an Gott gewendet haben und um Beistand und Hilfe flehten.

Meine eigene Geschichte mit Gott und der Kirche stieg in mir auf. Im katholischen Sauerland, hineingeboren in eine katholische Familie, gegenüber der Dorfkirche wohnend, war ich ein sehr frommes, gläubiges Kind. Als in der Pubertät – es war die Zeit der 68er – viele Fragen und Zweifel auftauchten, stand niemand zum Gespräch zur Verfügung. Ich rebellierte auf meine Weise, wollte mich in meiner Nonnenschule als Religionsmündige vom Religionsunterricht abmelden und erhielt den Bescheid, dann müsse ich die Schule verlassen. Es gab keine Alternative für mich, zumal meine Eltern so gar kein Verständnis für meinen Protest hatten. Erst viele Jahre später als Erwachsene habe ich die katholische Kirche verlassen und wurde evangelisch, auch weil ich dachte, dort seien alle Christen für den Sozialismus.

Auf diesem Pilgerweg hatte ich bei der Einkehr in das Benediktinerkloster Beuron nochmals Gelegenheit, diese Entscheidung zu überdenken. Ich begegnete einem jungen Pater, der für meine Konversion überhaupt kein Verständnis hatte und sich sehr missbilligend äußerte. Ich wurde darin bestärkt, dass meine damalige Entscheidung richtig war, hatte ich doch in der evangelischen Kirche längst meinen Platz gefunden.

In Pfullendorf begann die letzte Etappe meines Wegs. Ich wanderte über die Hochfläche, auf der auch die Europäische Wasserscheide von Rhein und Donau verläuft. Ich verlief mich noch einmal gründlich, gelangte aber, dank der Unterstützung von lieben Menschen, an mein Ziel.

Wenn ich mich heute in Coronazeiten an diese Erlebnisse erinnere, so denke ich, diese Art zu reisen bleibt uns unbenommen.

Schon Goethe sagte uns: „Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah.“

Aber all die schönen Erfahrungen, die ich bei meinen Fernreisen gemacht habe, die möchte ich auch nicht missen.