von Dorothee Durka
Was für eine Gruppe könnte das sein, die seit 1957 jedes Jahr gemeinsam einen Teil des Urlaubs verbringt? Gibt es so etwas überhaupt ?
Ja, es gibt diese Gruppe!
Sie ist 1956 – 1957 entstanden an der Sorbonne in Paris, als deutsche und französische Studenten und Studentinnen, meist mit dem Ziel Lehramt, in der dortigen katholischen Studentengemeinde einen Freundeskreis bildeten und versprachen, sich jedes Jahr im Sommer zu treffen – abwechselnd in Deutschland und in Frankreich.
Das Ziel dieser Urlaube
Man wollte aber nicht nur plaudern und relaxen, sondern wollte sich jeweils einem Thema widmen, das im Rahmen der Gruppe vorbereitet und behandelt werden sollte. Außerdem wollte man in beiden Ländern möglichst viele Gegenden kennenlernen.
1957 fand das erste Treffen – franz. Session genannt – statt in Blois an der Loire mit dem Thema : Kirche und Staat in Frankreich und in Deutschland und die Auswirkungen auf das Schulwesen. Bis einschl. 1994 war immer ein Priester dabei.
Wo und wann gab es die Treffen ?
Seitdem gibt es die Treffen bzw. Sessionen ohne Unterbrechung Jahr für Jahr. Schwierig war /ist es oft, eine gemeinsame 10-tägige Urlaubszeit zu finden – für die Franzosen kein Problem mit ihren zentralen Ferien, aber für die Deutschen, wenn man die Ferien z. B. von Niedersachen und Bayern unter einen Hut bringen wollte. Dann musste ein Tagungshaus gefunden werden für bis zu 50 Personen. Jedesmal fanden und finden sich Mitglieder, die für das nächste oder inzwischen übernächste Jahr ein solches kennen und reservieren, und gemeinsam wählt man das nächste Thema aus.
Was habe ich damit zu tun ?
Als Lateinlehrerin habe ich als frankophile Deutsche mit einigen Französischkenntnissen Anfang der 90er Jahre meinen Lateinschüler/innen Französisch als AG angeboten und dadurch auch selbst wieder mein Französisch aufgefrischt. Eine Französisch-Kollegin, die schon lange an den Sessionen teilnahm und von meinen Französisch-Ambitionen hörte, schlug mir vor, einmal mitzukommen. Das war 1994 in den Pyrenäen, in Dax, Thema : Familie.
Meine persönliche Sessions-Geschichte
Die Gruppe, das Sprechen in Deutsch und Französisch, das Thema und die Erkundung der schönen Gegend gefielen mir auf Anhieb, und so bin ich seitdem fast immer dabei. Nur dreimal konnte ich nicht, z. B. weil meine baden-württembergischen Ferien nicht kompatibel waren mit den übrigen Ferienterminen. Im Sommer wollte ich an meiner 24. Session teilnehmen – aber das wird nun nichts.
Wo waren wir schon überall ?
Hier liste ich ein paar Orte auf, in denen ich selbst in den 23 Sessionen dabei war :
Die Bandbreite geht von den Pyrenäen bis zu den Ardennen und Vogesen, vom Elsass bis zur Bretagne und nach Saintes, vom Pariser Umland bis nach Marseille, vom Mont Saint Michel (2018) bis in den Raum Lyon, in Deutschland von Lingen bis zur Pfalz, von Brandenburg bis Essen (2009), von Bad Kösen / Naumburg bis Stuttgart, von der Donau bis zum Rhein.
Dieses Jahr waren wir am Rhein, nicht so weit von meiner rheinischen Heimat entfernt, und ich konnte dort meinen Bruder treffen, der auch ein paarmal dabei war, aber nun schon 90 Jahre alt war und mit Rollstuhl nicht mehr zum ganzen Treffen, aber mit Hilfe seines Sohnes wenigstens zu unserem Ausflug auf den Drachenfels kommen konnte.
Nie hätte ich ohne die Gruppe so viele Stätten nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland kennengelernt, und eben nicht nur einen Ort, sondern die jeweils umliegende Gegend auch.
Beispiele für Themen
Toleranz, Gesundheit, Medien- Macht – Moral, Geld, der Wald, Identität, Heimat. Vereintes Europa : Chance oder Alptraum? Glück, Kunst, Die Größe der kleinen Dinge, Mittelmeer, Kinder der Kriegskinder…….
Immer finden sich Leute aus der Gruppe, die sich in ein Thema einarbeiten, ihre Sicht dazu vortragen und zum Diskutieren anregen.
Die Entwicklung der Gruppe
Natürlich sind 63 Jahre nach der Gründung der Gruppe kaum noch Mitglieder der 1. Stunde dabei. Aber die Geschichte ging weiter : Es kamen Partner/innen, Freunde und Freundinnen, Kinder und inzwischen auch Enkel dazu. Das bedeutet allerdings, dass nicht mehr wie am Anfang alle zweisprachig sind, und um auch diese zu integrieren, werden alle Referate und Gespräche übersetzt bzw. gedolmetscht.
Naturgemäß müssen wir immer wieder von alten Freunden und Freundinnen Abschied nehmen. Dieses Jahr sind schon zwei Freunde gestorben, beide über 85, eine Freundin, 70, ist im April Corona zum Opfer gefallen im besonders gefährdeten Osten Frankreichs. Sie war zehn Tage im Krankenhaus, ihr Mann durfte sie nicht besuchen, erst am Ende, als sie schon im Koma lag. Solche Ereignisse werden schnell kommuniziert und lassen uns mitleiden.
Aber wir freuen uns jedes Jahr, doch noch viele wiederzusehen, uns über das vergangene Jahr auszutauschen, einige Neue kennenzulernen und zu erleben, dass es weitergeht.
Ausblick auf die Zukunft der Sessionen
In diesem Jahr sollte Ende Juli die 64. und für mich 24. Session im Elsass stattfinden, das Quartier für ca. 50 Personen war schon gebucht. Nun macht uns Corona einen Strich durch die Rechnung. Das Elsass gehört zum Gebiet Grand Est. Das Thema sollte lauten: Zukunft und Nachhaltigkeit. Dabei geht es natürlich auch um die Zukunft der Gruppe. Der Aufenthalt ist nun auf nächstes Jahr umgebucht, und wir hoffen, dass Corona uns bis dahin wieder unser geliebtes Treffen gönnt.
Die Gruppe ist informell, jede(r) darf mitmachen, jede(r) darf Angehörige, Freunde oder Bekannte mitbringen – auch ohne Französischkenntnisse.
Die Kommunikation läuft fast komplett über E-Mails. Fast alle von uns haben sich – trotz des z. T. hohen Alters – noch aufs Internet eingelassen.