Meine Reise mit dem ‚Rollenden Hotel‘

von Dorothee Durka

9. – 23. 7. 1993: So fing es an: Ich weiß gar nicht mehr, wie ich darauf kam. Es muss mich wohl das Ziel angesprochen haben:

Das Baltikum und Königsberg – und das kurz nach der Wende. Und mutig war ich auch, denn ich hatte keine Begleitung und habe mich angemeldet, ohne jemand zu kennen.

1. Tag: Der Anfang war ungemütlich: Nachtfahrt mit dem Zug von Ulm nach München, Abfahrt von dort gegen 2 Uhr, zunächst mit zwei Bussen nach Travemünde (ca. 850 km), wo wir uns gegen 18 h auf der Finnjet einschifften und nach ca. 24 Std. Schifffahrt in Helsinki ankamen (2. Tag). Inzwischen hatte ich in der Gruppe von 36 Personen eine Frau aus Neu-Ulm, zufällig Lehrerin meiner Söhne, und ein Ehepaar aus meinem Wohnort getroffen und fühlte mich nicht mehr so allein (ca.1130 km mit dem Schiff). In Helsinki warteten die Hotel-Anhänger, die ‚Rotels‘, auf uns und wurden an die Busse angehängt. In Deutschland darf ein solches Gespann nämlich nicht fahren.

Das Rotel – Die Übernachtung

Das Gespann des 'Rollenden Hotels'
Das Gespann des ‘Rollenden Hotels’, Foto Durka

Ein Rotel hat 36 Schlafplätze, die aus Stockbetten für je drei Personen bestehen, Breite ca. 80 cm, Länge ca. 2 m. Es gibt auch Doppelkabinen. Jeder Liegeplatz hat am Kopfende ein kleines Kippfenster, sodass man immer Luft schöpfen kann. Die Kabinen sind mit Vorhängen vom Gang abgetrennt, was natürlich nicht verhindert, das Schnarchen von allen Seiten zu hören! Übernachtet wird normalerweise auf Campingplätzen, denn der Bus hat kein Wasser und keine Toilette. Deshalb muss das Rotel nachts offen bleiben. Die Koffer sind im Hauptbus untergebracht und nur jeden 3. Tag zugänglich. Ich hatte mir einen Platz im obersten ‚Stock‘ ausgewählt, sodass niemand an mir vorbeiklettern musste, sondern ich an den unteren beiden ‚Stockwerken‘.

Der 'Schlafwagen' des Rollenden Hotels
Der ‘Schlafwagen’ des Rollenden Hotels, Foto: Durka

Die Verpflegung

Im Bus gab es Biertische und -bänke, die – gendergemäß – von den Männern auf- und abgebaut wurden. Der Fahrer und die Reisebegleiterin waren für das Essen zuständig. Sie hatten etliche Konserven dabei, mussten aber auch jeden Tag schauen, dass sie Nachschub an frischen Lebensmitteln, vor allem Brot und Gemüse, kaufen konnten, meistens unterwegs auf einem Markt. Am Abend wurde auf einem Gaskocher im Bus in einem riesigen Topf eine kräftige Suppe gekocht, für die die Frauen das Gemüse putzten, und morgens bereiteten wir zusammen das Frühstück. Mittags sollten wir uns selbst versorgen, was bei den ständig wechselnden Währungen, meist nur für einen Tag, und mangelnden Sprachkenntnissen etwas unpraktisch war. Immerhin konnte man sich auf den Märkten auch sprachlos verständigen, und notfalls half unsere Reiseleiterin, die aus der ehemaligen DDR stammte und Russisch konnte. Unsere D-Mark, mit der wir gern bezahlt hätten, wollte niemand haben! Man kannte sie nicht – Touristen waren damals noch unbekannte Wesen.

Von Helsinki aus ging es richtig los – die Reiseziele

Am 3. Tag fuhren wir von Helsinki aus nach St. Petersburg (ca. 390 km), wo wir innerhalb von knapp 2 Tagen (Tag 3 – 5) u. a. die berühmtesten Sehenswürdigkeiten, also die Eremitage, die Isaak-Kathedrale und dann noch das Schloss Peterhof besichtigten.

St. Petersburg, Eremitage
St. Petersburg, Eremitage (Foto Durka)

Von da aus ging es nach Tallinn (ca. 370 km, Tag 5 und 6) ) mit einer Wartezeit von ca. einer Stunde an der Grenze, aber das war noch gar nichts, wie wir später noch merken sollten. Wie in jeder Stadt hatten wir eine Führung und konnten die Schönheiten der Städte kennenlernen. Tag 7 führte uns nach Riga (ca. 320 km), am Tag 8 ging es schon weiter nach Litauen, zunächst nach Palanka und Klaipeda (280 km) mit dem Bernsteinmuseum und zur Kurischen Nehrung, am Tag 9 zum Strand Rauschen bei Königsberg und am Tag 10 in die Stadt selbst (300 km). Eindrucksvoll für uns war dort vor allem die Ruine des Doms, der 1944 zerstört worden war, dessen Wiederaufbau gerade begann und 1998 vollendet wurde. Weiter ging es Schlag auf Schlag: Am Tag 10 noch nach Vilnius (370 km), wo wir am Tag 11 sehen konnten, wie sich die Stadt von ihrer besten Seite zeigte, da der Besuch von Papst Johannes Paul II. für September erwartet wurde.

Kathedrale und Turm in Vilnius
Turm St. Stanislaus vor der Kirche
St. Katharina in Vilnius (Foto Pixabay gemeinfrei)

Danach fuhren wir nach Minsk in Weißrussland (200 km) und am Tag 12 schon wieder weiter nach Brest (350 km, ohne Grenze und ohne neue Währung!). Dort parkten unsere beiden Busgespanne auf der Straße vor einem Hotel, wo der Veranstalter ein paar Zimmer zur Nutzung der sanitären Anlagen gemietet hatte. Nach einer sehr negativen Erfahrung auf einem Campingplatz bei Minsk waren wir sehr angetan von dieser Komfort-Lösung. Die ganze Nacht wurden wir von Polizisten bewacht. Die Reise ging allmählich dem Ende entgegen: Tag 13: Von Brest nach Warschau (240 km, Wartezeit an der Grenze 4,5 Std.!), Tag 14: durch Polen mit Aufenthalt in Posen nach Frankfurt/Oder (480 km), am Tag 15, dem letzten, ohne Anhänger nach München (670 km). Wir waren froh, nach dieser Gewalttour mit fast 5000 km Busfahrt in der Heimat angekommen zu sein.

Rückblick

Die einzelnen Stationen habe ich fast nicht beschrieben, das hätte zu weit geführt, ebenso wenig einzelne Erlebnisse. Es ging mir bei diesem Bericht mehr um das Ambiente, das ‚Anders‘, das Spezifische bei dieser Form des Reisens, weniger um die Darstellung der Ziele selber, die noch weit entfernt waren von einer Infrastruktur für Touristen. Schade war, dass wir kaum unterwegs mit Einheimischen Kontakt hatten – schon wegen der Sprachschwierigkeiten, aber auch wegen der rasanten Wechsel innerhalb der vielen Stätten. Aber keinesfalls möchte ich die Erfahrungen und Erlebnisse dieser Reise missen. Es war (auch) eine lehrreiche Zeit. Trotz des mangelnden Komforts in Bezug auf Schlafen und Essen waren wir zufrieden, in der Gruppe herrschte bei der gemeinsamen Arbeit fast immer gute Laune. Aber es war meine einzige Rotel-Reise. Es ging die Meinung um, dass man entweder nur einmal oder dann immer wieder so reist. Bei mir ist es bei dem einen Mal geblieben. Der älteste Teilnehmer war übrigens 84 Jahre alt!

PS: Die Kilometerangaben sind nicht exakt, da ich sie damals nicht aufgezeichnet, sondern heute mit Google-Maps ermittelt habe, aber nicht weiß, welche Routen wir genommen haben, zusätzlich gab es noch etliche Kilometer durch kleine Abstecher und Rundfahrten.

Nachlese

Wir haben 8 Länder besucht und 6 Hauptstädte, 9 Grenzen überquert (eine zweimal) und hatten es mit 8 verschiedenen Währungen zu tun. Und jetzt: Im Jahr 2017 verbrachte mein Sohn mit seiner Familie mit Wohnmobil sechs Wochen Sommerurlaub im Baltikum mit Durchfahrt durch Polen. Welch ein Fortschritt dank der EU mit Schengen und dem Euro: keine einzige Grenzkontrolle mehr, Geldwechsel nur für Polen. Und die Infrastruktur für Touristen hat sich enorm entwickelt (Für Russland und Weißrussland würden die Grenzen noch bestehen). Wie gut geht es uns heute – und sicher auch diesen Ländern geht es besser als damals.

Und Rotel-Reisen gibt es noch heute!